Gorleben

Gorleben bringt Röttgen in Bredouille

Friedliche Provokation im Angesicht der Staatsmacht: Die Castor-Gegner zeigten der Bundesregierung mit ihren Protesten die Grenzen ihrer Atompolitik auf. Auch Schwarz-Gelb konnte die Endlagerfrage bis heute nicht lösen. Gegen Alternativstandorte im Süden der Republik gibt es Widerstände. 
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Friedliche Provokation im Angesicht der Staatsmacht: Die Castor-Gegner zeigten der Bundesregierung mit ihren Protesten die Grenzen ihrer Atompolitik auf. Auch Schwarz-Gelb konnte die Endlagerfrage bis heute nicht lösen. Gegen Alternativstandorte im Süden der Republik gibt es Widerstände. Foto: dpa

Natürlich kam er nicht. Nach der 19-stündigen Schienenblockade von Tausenden Demonstranten forderte Jochen Stay, einer der Köpfe der Anti-Atom-Bewegung, dass Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sofort ins Wendland kommen muss.

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Gorleben – Natürlich kam er nicht. Nach der 19-stündigen Schienenblockade von Tausenden Demonstranten forderte Jochen Stay, einer der Köpfe der Anti-Atom-Bewegung, dass Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sofort ins Wendland kommen muss.

Doch Röttgen ließ nur ausrichten, dass er noch dieses Jahr ins Wendland kommen will. Er, der angesichts von Stuttgart 21 eine Sprachlosigkeit der Politik gegenüber den Bürgern kritisiert, wird Worte finden müssen, wie es nun in Gorleben weitergehen soll. Gerade weil der Protest sich nicht kriminalisieren lässt, betonen Castor-Gegner.

Zwar gab es heftige Ausschreitungen am Sonntagmorgen durch zugereiste Autonome, aber angesichts der friedlichen Gleisblockade spricht Stay von „einer Sternstunde“ des gewaltfreien Widerstands und so viel Unterstützung wie nie für die Wendländer.

Einmal mehr hat der Castor offenbart, dass die ungelöste Atommüllentsorgung das größte Problem der Kernenergie ist. Der Staat kommt hier an seine Grenzen – so viel bürgerlicher Widerstand lässt sich nicht einfach ignorieren. Mit jedem weiteren Castor-Behälter, der ins Zwischenlager nach Gorleben kommt, sehen die Wendländer ein weiteres Argument dafür, dass der Atommüll am Ende in ihrer Erde vergraben wird. Der Salzstock liegt nur ein paar Hundert Meter entfernt vom Zwischenlager.

Die ausufernden Strapazen für die Polizisten und die Kosten des Einsatzes – von bis zu 50 Millionen Euro ist die Rede – dürften auch eine Debatte über den Sinn der Castor-Transporte nach Gorleben auslösen. Die Kostenexplosion war ein Ziel der Demonstranten, damit Bewegung in die Debatte kommt.

Minister Röttgen betont, wie auch sein Vorgänger von den Grünen, Jürgen Trittin, dass Deutschland zur Rücknahme des Atommülls aus der Wiederaufarbeitung im Ausland verpflichtet sei. Röttgen findet die Instrumentalisierung des Castor-Protests durch die Grünen daher höchst unredlich. Greenpeace fordert, den Müll statt nach Gorleben gemäß dem Verursacherprinzip zu den AKWs zu bringen, wo er erzeugt wurde.

Röttgen setzt bei der Erkundung des Salzstocks für ein mögliches Endlager Gorleben wieder auf Enteignungen als Ultima Ratio. Nach zehnjähriger Unterbrechung hatte er zum 1. Oktober die Wiederaufnahme der Prüfung Gorlebens verfügt. Und da er gegen den Rat des Bundesamts für Strahlenschutz nach alten niedersächsischen Bergrecht erkunden lässt, ist eine Beteiligung der Bevölkerung zunächst ausgeschlossen. Die Atomindustrie hat bisher 1,5 Milliarden Euro in den Salzstock Gorleben investiert und hält ihn trotz vieler Bedenken für sicher, um die heiße, strahlende Fracht für Millionen Jahre sicher zu verschließen.

Röttgen betont indes, dass die Suche ergebnisoffen ist. Nun wird aber immer vehementer eine bundesweite Endlagersuche gefordert – doch Bayern und Baden-Württemberg gehen dagegen auf die Barrikaden. Die Bürger im Wendland rechnen nicht damit, dass es dazu kommen wird. Sie haben einen eigenen Vorschlag, wie an einer Straße zu lesen ist: „Endlager gesucht? Kanzleramt!“

Von Georg Ismar