Geheimdienst: Fall Snowden stellt die USA bloß

Vordergründig scheint es wie ein Katz-und-Maus- Spiel. Doch es geht nicht mehr nur um das Schicksal von Edward Snowden. Der Fall zeigt auch, dass die aufsteigende Weltmacht China der alten Weltmacht USA Grenzen setzt. Denn selten in der jüngeren Vergangenheit sind die USA derart brüskiert worden – und das in aller Öffentlichkeit.

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Von Peer Meinert

Ausgerechnet China und Russland haben die Supermacht im Fall des gesuchten Geheimdienst-Enthüllers Snowden geradezu an der Nase herumgeführt – samt Schützenhilfe aus Hongkong und dem mutmaßlichen Asylland Ecuador. Wut, Frust und Fassungslosigkeit herrschen in Washington. Vor allem aber ein Gefühl von Hilflosigkeit, das man in der „Hauptstadt der Welt“ seit Jahren nicht mehr gespürt hat. Wie konnte das passieren, warum ist die Sache nur so verdammt schiefgelaufen? US-Außenminister John Kerry warnte China und Russland vor „Konsequenzen“.

Es wäre „zutiefst beunruhigend“, wenn die Länder von Snowdens Reiseplänen gewusst und die von Washington angestrebte Auslieferung durchkreuzt hätten, sagte Kerry. Der Aufenthaltsort des 30-jährigen Snowden, der massive Spionage der USA im Internet enthüllt hatte und von der US-Justiz wegen Geheimnisverrat gesucht wird, blieb am Montag unklar. In einer Maschine nach Kuba wurde er nicht gesichtet. Während einige russische Medien berichteten, er habe das Land verlassen, behaupteten andere, Snowden halte sich im Transitbereich des Flughafens Moskau-Scheremetjewo auf.

Russland will nicht ausliefern

Für eine Festnahme und eine Auslieferung an die USA sehe Russland keinen Grund, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der russischen Regierung, Wladimir Lukin. „Die Amerikaner können nichts fordern. Wir können ihn übergeben – oder wir können ihn nicht übergeben.“ In den USA schlagen die Wellen der Empörung hoch. „Ich hoffe, wir werden ihn bis ans Ende der Welt verfolgen“, schäumt der republikanische Senator Lindsey Graham.

Auch sein demokratischer Kollege Chuck Schumer ist in Wallung: „Was wirklich ärgerlich ist“, meint Schumer, „ist, dass Wladimir Putin bei Snowdens Flucht Beihilfe leistet.“ Man habe den Eindruck, als wolle Putin den USA geradezu „Knüppel zwischen die Beine werfen“. Und dann droht der Senator in kalter Wut: „Das wird ernste Konsequenzen haben.“ Nur: Niemand in Washington vermag zu sagen, womit die USA Russland oder China schrecken könnten.

Die Beziehungen zu beiden Ländern sind derzeit ohnehin – gelinde gesagt – unterkühlt. Ganz offenbar hat auch Obamas jüngste Charmeoffensive beim neuen chinesischen Präsidenten Xi Jinping keine durchschlagende Wirkung gehabt. Als „größten Schurken unserer Zeit“ prangerte Chinas Staatsagentur Xinhua die USA an – das sind Töne, die man so lange nicht mehr gehört hat. Tatsächlich haben die USA hoch gepokert – und sind jetzt erwischt worden: Seit Jahren prangert Washington lautstark chinesische Hackerangriffe und Industriespionage in den USA an.

Und nun bringt es Snowden an den Tag, dass die USA die chinesische Universität von Hongkong angezapft haben. Dies sind peinliche Enthüllungen – die in der öffentlichen Diskussion in den USA allerdings eher unter den Teppich gekehrt werden.

Spionage rückt in den Hintergrund

Überhaupt: Amerikanische Medien scheren sich derzeit eher weniger um das weltweite Datensammeln durch den Geheimdienst NSA oder um die Kritik, die das auslöst.

Längst ist aus dem Thema der „Fall Snowden“ geworden. Selbstkritik angesichts des befremdenden Ausmaßes der Überwachung ist in Washington derzeit eine Rarität. Für US-Politiker ist Snowden ein Verräter, basta. Und statt kritische Fragen zu stellen, zeichnen US-Kommentatoren lieber die möglichen Fluchtwege Snwodens auf – will er nun letztlich nach Ecuador, Venezuela oder Kuba?

Peinlich sind auch die Nachrichten, mit denen die „New York Times“ aufwartet: Demnach haben die USA erst am Samstag Snowdens Pass annulliert – möglicherweise schon zu spät. Auch Interpol sei von den US-Behörden nicht informiert worden. Moskauer Medien berichten, dass Russland Snowden gar nicht festnehmen kann, weil er bei Interpol nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei.

Jetzt ruft die US-Regierung laut CNN händeringend alle möglichen Asylländer auf, Snowden keinen Unterschlupf zu gewähren. Doch die Chancen, dass sich Länder wie Ecuador, Venezuela oder Kuba dies zu Herzen nehmen, sind minimal. Bezeichnend für die schwierige Situation, in die die USA geraten sind, ist auch ein Hinweis der „New York Times“: Obama habe bisher noch keinen einzigen politischen Führer im Ausland persönlich kontaktiert und um Hilfe gebeten.