Gaza-Krise: Israel braucht Friedensgespräche

Gaza/Jerusalem. Israel verhängt eine strenge Blockade gegen den Gazastreifen und gerät selbst in Isolation. Welchen Sinn ergibt eine solche Politik? Ehrlich gesagt, gar keinen. Eine Analyse der derzeitigen Nahost-Politik.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserem Redakteur Dietmar Brück

Im Gazastreifen leben offiziell rund 1,5 Millionen Palästinenser. Inoffiziell sind es noch viel mehr. All diese Menschen sind eingesperrt auf einem überbevölkerten Flecken Elend. Israelische Armee und Marine riegeln die Grenzen ab, neun Kilometer kontrolliert das ägyptische Militär.

Die Lebensbedingungen im Gazastreifen sind erbärmlich. Kaum einer hat Arbeit. Unzählige Palästinenser betäuben sich mit Drogen oder Schmerzmitteln. Kämpfe und Bombenangriffe haben Trümmerwüsten hinterlassen. Mittendrin hausen Großfamilien – in brütender Hitze.

Viel Sand, kaum Zement

Sand haben die Menschen in Gaza zwar genug, aber keinen Zement, um ihre Häuser aufzubauen. Er fällt unter die israelische Blockade. Begründung: Die radikal-islamische Hamas könnte damit Bunker errichten. Deswegen wurden im jüngsten Gaza-Krieg Ende 2008 auch alle Betonwerke zerstört.

Die Wirtschaftsblockade schnürt den Menschen im Gazastreifen das Leben ab. Bis vor wenigen Tagen durfte nicht einmal Marmelade oder Rasierschaum eingeführt werden. Unter massivem internationalem Druck wurde das Embargo inzwischen gelockert. Demnächst sollen auch Säfte und Obstkonserven über die Grenze gelangen. Damit haben die Pro-Gaza-Aktivisten mit ihren „Solidaritätsschiffen“ ein wichtiges Etappenziel erreicht – auch wenn dafür neun Menschen sterben mussten. Fragt sich nur, ob die die israelische Blockade dauerhaft durchbrochen ist, argwöhnen politische Beobachter.

Die Pro-Gaza-Bewegung will weitere Hilfsschiffe losschicken: Sie sollen Medikamente, medizinische Geräte und Spielsachen transportieren, aber auch tonnenweise Zement und ganze Fertighäuser. Für Israel ist das eine heikle Lage. Die blutige Erstürmung der türkischen „Mavi Marmara“ vor wenigen Tagen erwuchs sich zu einer verheerenden Niederlage an der PR- und Propaganda-Front. Daran ändert auch nichts, dass möglicherweise gewaltbereite Fanatiker an Bord waren. Nahezu die gesamte Welt hat das israelische Vorgehen als unverhältnismäßig empfunden. Da bleibt oft nur noch der Rückzug in die Wagenburg.

Ob das Kabinett unter Führung des konservativen Likud-Politikers Benjamin Netanjahu es nun wahrhaben will oder nicht: Israel braucht den brachliegenden Nahost-Friedensprozess dringender denn je. Um ihn in Gang zu bringen, sollte das Gaza-Embargo noch stärker und vor allem dauerhaft gelockert werden. Natürlich muss Israel unterbinden, dass die Hamas, die in Gaza regiert, ihre Rüstungsarsenale wieder auffüllt und mit Terrorkommandos Angst und Schrecken verbreitet. Das rechtfertigt aber nicht, den Palästinensern ein menschenwürdiges Leben zu verweigern. Im Gazastreifen ist fast die Hälfte der Bevölkerung unter 15 Jahre alt. Was können diese Kinder für den Nahost-Konflikt? Mit wieviel Hass im Bauch wachsen sie auf, wenn ihnen von Anfang an das Nötigste fehlt?

Zudem hat die Abriegelung des Gazastreifens nichts gebracht. Wer Geld und Macht hat, kauft Schmugglerware, die durch einen der vielen Grenztunnel aus Ägypten ins Land kommt. Und die einfachen Leute müssen zwar darben, gehen deswegen aber noch lange nicht auf die Straße, um die Hamas-Regierung zu stürzen. Widerstand ist gefährlich. Und selbst Regimegegner sind vom täglichen Existenzkampf vollkommen erschöpft.

Ein weiterer Punkt: Israelische Ängste, Gaza-Stadt könnte ohne strikte Abriegelung zu einer iranischen Basis werden, sind überzogen. Die Hamas nimmt zwar gern iranische Waffen und Gelder, lässt sich ansonsten aber wenig reinreden. Die Islamisten kämpfen um einen Palästinenserstaat. Teherans Machtspielchen sind für sie ausgesprochen zweitrangig.

Hamas nicht gleich Hamas

Innerhalb der Hamas gibt es durchaus moderate Kräfte, die den Konflikt mit Israel nicht eskalieren lassen möchten. Diese Leute haben Leitungsämter und Privilegien zu schätzen gelernt, tragen kommunale Verantwortung. Gewaltbereite Fanatiker bedrohen auch ihre Position.

Israel sollte diese Dialog-chancen nutzen. Denn eine reflexhafte Politik der harten Hand führt den Judenstaat in eine Isolation, die viel gefährlicher als die Hamas ist. Die USA und Europa gehen langsam aber sicher auf Distanz. Und die Türkei ist dabei, sich von einem Verbündeten zu einem Feind zu wandeln. Israel braucht aber starke Verbündete oder einen stabilen Frieden – am besten beides. Nur so kann es seinen Bürgern eine Perspektive geben. Ein Israel, das es mit dem Frieden wieder ernst meint, bringt die islamistischen Fanatiker eher in Bedrängnis, als ein Israel, das jeden Anspruch an ein Feindbild erfüllt. Der Nahost-Friedensprozess benötigt schnell konstruktive Impulse. Wenn der Juden-Staat die richtigen Konsequenzen aus dem Blutbad auf der Hilfsflotte zieht, könnte ein solcher sogar von der Regierung Netanjahu ausgehen.