Seoul

G 20-Gipfel skizziert neue Weltordnung

Auf den ersten Blick ist der Gruppe der mächtigsten  Wirtschaftsnationen bei ihrem Treffen in Seoul kein großer Streich  gelungen. Doch die zentrale Botschaft des Gipfels ist eine andere: Die  Gewichte verschieben sich in Richtung Asien, die USA müssen ihre Rolle  neu definieren.
Auf den ersten Blick ist der Gruppe der mächtigsten Wirtschaftsnationen bei ihrem Treffen in Seoul kein großer Streich gelungen. Doch die zentrale Botschaft des Gipfels ist eine andere: Die Gewichte verschieben sich in Richtung Asien, die USA müssen ihre Rolle neu definieren. Foto: dpa

Angela Merkel, ein Gipfelprofi, mag es, hart zu pokern, sie liebt klare Entscheidungen, besonders bei Streitfragen. Auf dem G 20-Gipfel in Seoul aber werden Konflikte gnädig übertüncht, Differenzen wie die Sache mit den „Exportbremsen“ vertagt; das Reizthema China mit seiner Schwachwährung bleibt ungelöst.

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Seoul. Angela Merkel, ein Gipfelprofi, mag es, hart zu pokern, sie liebt klare Entscheidungen, besonders bei Streitfragen. Auf dem G 20-Gipfel in Seoul aber werden Konflikte gnädig übertüncht, Differenzen wie die Sache mit den „Exportbremsen“ vertagt; das Reizthema China mit seiner Schwachwährung bleibt ungelöst.

Von Peer Meinert und André Stahl

Dennoch kann die Kanzlerin dem Gipfel etwas abgewinnen. Ein neuer „Geist der Kooperation“ werde sichtbar, nennt sie das auf ihre schnörkellose Art – in Wirklichkeit blitze in Seoul ein Stück neue Weltordnung auf.

Dabei ist auf den ersten Blick kein großer Streich gelungen. In der leidigen Frage der Ungleichgewichte und Verzerrungen im Welthandel gab es keine echte Bewegung. Guter Wille, Absichtserklärungen, ansonsten wurde das Thema, das über Wohltand und Arbeitsplätze in ganzen Nationen entscheiden kann, an Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy weitergereicht, dem nächsten G 20-Statthalter. Eine Herkulesaufgabe selbst für den agilen Franzosen.

In Seoul treffen sich die Staatenlenker zum fünften Gipfel nach Ausbruch der Finanzkrise. Vor zwei Jahren, als das „Haus brannte“, stand den Teilnehmern in Washington der Schrecken ins Gesicht geschrieben, der Weltwirtschaft drohte der Kollaps. Es war die nackte Angst, die zum raschen Handeln trieb. Im Eilverfahren wurden neue Bankenregeln („Basel III“) gestemmt, der Internationale Währungsfonds (IWF) reformiert. Dort haben jetzt Länder wie China, Indien und Brasilien deutlich mehr Macht als zuvor. So ist innerhalb von zwei Jahren ein Stück „neue Weltordnung“ entstanden – und wenn einmal alles rund läuft, soll die Gruppe der 20 so etwas wie eine Weltregierung in Sachen Wirtschaftspolitik werden.

„Geist der Kooperation“ nennt das Merkel bescheiden, in Wahrheit handelt es sich um einen Riesenfortschritt. Es ist noch nicht lange her, da waren China und Indien bettelarme Staaten, abhängig von Almosen oder Entwicklungshilfe – jetzt sitzen sie am Tisch der Mächtigen. Obama spricht von „revolutionärem und evolutionärem Fortschritt“ – was sich machtpolitisch derzeit vollzieht, sind wahre Quantensprünge. Und Merkel hat gut lachen. Innenpolitisch mag sie bedrängt sein – zeitweise verdarben ihr in Seoul Spekulationen über eine Kabinettsumbildung die Laune – doch auf internationalem Parkett ist sie stärker als je zuvor. Wirtschaftsaufschwung „Made in Germany“, 20 Jahre neues, wiedervereinigtes Deutschland – Merkel demonstriert in Seoul neues Selbstvertrauen, etwa im Konflikt mit US-Präsident Barack Obama.

Der Streit Chinas und Deutschlands mit den USA beherrschte den Gipfel, der angeschlagene Präsident und die wirtschaftlich gebeutelte Weltmacht gegen die Exportgroßmeister und „Krisengewinner“ China und Deutschland – auch diese Konstellation spiegelt ein Stück neue Weltordnung wider. Kein Zweifel: Die USA müssen eine neue Rolle finden. Auch der „mächtigste Mann der Welt“ bekommt heute nicht immer das, was er will. Obama war nach der Schlappe bei den Kongresswahlen innenpolitisch angeschlagen nach Seoul gereist, hatte auf Beistand im Währungsstreit mit China gehofft. Stattdessen „fand er sich mehrmals in der Defensive wieder“, schreibt die „New York Times“.

Länder wie Brasilien ließen Breitseiten gegen die US-Politik des billigen Geldes los, Chinas Staatschef Hu Jintao erteilte Obama Lehren in Sachen Dollar und Stabilität, Merkel wehrte brüsk amerikanische Begehrlichkeiten nach „Exportbremsen“ ab. In Seoul kursierten Sätze wie „Die USA müssen lernen, dass sie nicht immer Nummer eins sind“. Auch das zeigt, dass sich in Sachen globaler Machtbalance etwas verschiebt.

Obama spricht bereits von „unvermeidlichen Differenzen“. Er sagt auch, der „Aufstieg Chinas“ freue ihn – Einsicht ins Unvermeidliche, Pfeifen im Walde? Obama ist in einer Zwickmühle. „China-bashing“, das Einschlagen auf vermeintlich unlautere Konkurrenz aus dem Riesenreich, gehört mittlerweile zum rhetorischen Standard amerikanischer Politiker jeder Couleur. Zu Hause ist ihnen Beifall sicher – auf internationalem Parkett rächt sich das bisweilen, merken bedächtige Geister in Seoul an.

Auch mit den Deutschen, ihrer angeblichen „Sparsucht“ und „zu hohen“ Exporten gingen die Amerikaner nicht immer pfleglich um. „Wir sagen den Leuten, dass sie dies und das tun sollen“, meint Jagdish Bhagwati von der Columbia University. „Das ist anmaßend. Und es schafft eine Atmosphäre der Feindseligkeit.“ Auch hier geht es um eine neue Rollenverteilung in einer neuen Welt – viele müssen sich erst daran gewöhnen.