Für Tsipras bleibt nur ein warmer Händedruck

Für einen kurzen Augenblick stehen die beiden voreinander, als ob sie nicht wüssten, ob sie es tun sollen. Doch dann umarmt Jean-Claude Juncker seinen Gast Alexis Tsipras. Der Kommissionspräsident und der neue griechische Premier. Hand in Hand gehen sie schließlich von der Bühne.

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Zehn Tage nach der Wahl in Griechenland. Tsipras absolviert nach starken Worten einen Antrittsbesuch bei der EU. „Willkommen, wir gehören zusammen“, sollte diese Geste sagen. Für offene Worte und Unfreundlichkeiten blieb hinter verschlossenen Türen noch genügend Zeit.

Die neue Regierung hat sich genau dort eingefunden, wo sie vorher so gar nicht sein wollte: in den Armen der Gemeinschaft. „Es gibt schon zu viele Risse in Europa, um neue entstehen zu lassen“, hatte der neue griechische Hoffnungsträger am Abend zuvor in Rom gesagt. Während sein Finanzminister Gianis Varoufakis zunächst die Rolle des aggressiven „bad guy“ (bösen Jungen) übernahm, hatte Tsipras sich für die Besetzung des ausgleichenden „good guy“ (guten Jungen) entschieden. „Griechenland gehört zu dieser Gemeinschaft und wir wollen gemeinsam mit unseren Freunden und Partnern die Probleme lösen, damit beide Seiten vorankommen“, erklärte der 40-jährige Tsipras. Fast scheint es, als bettele die neue Regierung um Zeit, um eine Einigung zu finden, die dann ab 1. Juni umgesetzt wird. In Brüssel zeigte man sich erstaunt, dass nach Tagen scharfer Töne der Eindruck entsteht, Tsipras und seine Leute seien unvorbereitet in den Wahlsieg gestolpert. Schuldenschnitt – ja, dann wieder nein? Geld aus Russland? Wohl doch nicht. Nicht einmal der Rauswurf der Troika scheint noch zu stehen. Regierungssprecher Gavriil Sakellaridis stellte klar: „Es gibt keine Abwendung.“ Was denn nun?

Angela Merkel zu den Reformplänen der Griechen
Angela Merkel zu den Reformplänen der Griechen
Foto: picture alliance

Tsipras habe alle Hoffnungen auf den Mann gesetzt, den er am Dienstag aufsuchte: Italiens Regierungschef Matteo Renzi. Zwei Politiker unterschiedlicher Couleur, aber im gleichen Alter. Renzi, der als „Turboreformator“ gestartet war und im gleichen Sprachduktus wie Tsipras nach der Wahl davon gesprochen hatte, die alte Politikergeneration zu „verschrotten“. Er war mit der gleichen Antipathie gegen die eiserne Lady aus Berlin angetreten, deren Sparkurs er durchbrechen wollte.

Aufmacher
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Doch inzwischen soll Renzi bei jedem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs Angela Merkel ein kleines Booklet zeigen, in das er seine Reformschritte eingetragen hat. Als Tsipras in der Hoffnung auf Rückendeckung bei ihm antrat, gab es gelinde gesagt eine Abfuhr für den Griechen. „Wir haben die gemeinsame Idee, der Politik die Möglichkeit zurückzugeben, die Dinge zu ändern“, sagte der Italiener nach dem Gespräch, in dem er griechischen Erwartungen nach einem Schuldenschnitt eine Absage erteilte. Aber immerhin verpackte Renzi diese Zurückweisung nett. Tsipras, der stets ohne Krawatte auftritt, hatte vor ein paar Tagen gesagt, er werde sich, sollte die Krise vorbei sein, einen Binder zulegen. „Wenn es so weit ist, sollten Sie eine italienische Krawatte tragen“, meinte Renzi und schenkte ihm ein heimatliches Edelprodukt aus Seide. Doch Nettigkeiten können den tiefen Riss, den Griechenland in Europa provoziert hat, nur unvollkommen überdecken. Denn die Bilanz des Kommunikationschaos der ersten Tage fällt weniger verbindlich aus. Keiner weiß bisher genau, wofür die neue Führung steht.

Die Zahlen bleiben unverändert dramatisch: Athen steht mit 320 Milliarden Euro in der Kreide, der Schuldenstand liegt bei rund 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Um davon herunterzukommen, drängt die neue Regierung auf einen Nachlass oder vergleichbare Maßnahmen. Letztlich sei es egal, welches Wort man dafür finde, betonte Finanzminister Varoufakis. So kann sich Athen offenbar vorstellen, die ohnehin schon auf 30 bis 50 Jahre gestreckten Laufzeiten der Kredite noch einmal zu verlängern und die heutigen Zinsen von 1,5 Prozent, die die Geldgeber für ihre Bürgschaft einstreichen, zu senken.

Solche Vorschläge dürften sogar Gnade in den Augen des strengen deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble finden. Er trifft heute mit seinem neuen griechischen Gegenpart zusammen. Gleichzeitig denkt man in Athen offenbar daran, die Finanzhilfen der europäischen Partner durch Papiere zu ersetzen, die ans Wirtschaftswachstum des Mittelmeerlandes gekoppelt sind. Griechenlandbonds, die die Europäische Zentralbank (EZB) gekauft hatte, sollten durch Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit ersetzt werden. Zudem habe Tsipras in Brüssel zugesagt, die Steuerhinterziehung hart zu bekämpfen und alle Landsleute schärfer zu besteuern. Da merkte sogar EU-Ratspräsident Donald Tusk auf. Schließlich ist die Steuerfreiheit für milliardenschwere Reeder den Europäern schon lange ein Dorn im Auge. „Es gibt noch kein Agreement“, betonte Tsipras. „Aber ich kann Ihnen nach allen Gesprächen, die wir geführt haben, versichern: Wir sind auf einem guten Weg.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt sich mit einer Bewertung erst einmal zurück. „Ich möchte das jetzt nicht kommentieren“, sagte sie. Und auch alle anderen Mitspieler hüllen sich in Schweigen, dafür laufen in Brüssel die Telefondrähte heiß. Vor allem Juncker stehe in „ständigem Kontakt“ mit dem Patron der EZB, Mario Draghi, mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, und mit den wichtigsten europäischen Partnern.

Ein Austritt der Griechen aus dem Euro ist keine Option mehr, betont man in Brüssel. Athen wiederum revanchierte sich mit der Klarstellung, zum Euro-Raum zu gehören. Die zunächst auseinanderdriftenden Kräfte bewegen sich erkennbar wieder aufeinander zu. Der große Showdown steht am Donnerstag kommender Woche an. Am Mittwoch treffen sich die Finanzminister der Euro-Gruppe zu einer Sondersitzung. Einen Tag später kommen die 28 Staats- und Regierungschefs zum EU-Gipfel nach Brüssel. Es wird wohl auch die erste Begegnung der Kanzlerin mit dem Athener Premier werden.

Die Misstöne haben jedoch tiefe Spuren hinterlassen. Zwar gibt es einen gemeinsamen Nenner aller Europäer: das klare Nein zu einem Schuldennachlass. Über alles andere scheint man reden zu wollen. Frankreichs Finanzminister Michel Sapin jedenfalls zeigte offen „großes Verständnis für die Sorgen“ der neuen griechischen Führung und erklärte sich bereit, Athen bei seinen Bemühungen um eine „neue Finanzpolitik“ zu unterstützen. So könnte, das wird in Brüssel befürchtet, eben doch so etwas wie eine Front zwischen denen entstehen, die mit ihren Schulden ringen, und jenen, die von sich behaupten, solide gewirtschaftet zu haben und wirtschaftlich über den Berg sind.

Deutschland steht da nicht allein. Doch bevor EU und Griechen über langfristige Wege aus der „Schulden-Leibeigenschaft“ (Varoufakis) sprechen, müssen beide Seiten eine andere Frage beantworten: Wie soll verhindert werden, dass Griechenland nicht in vier oder fünf Wochen pleite ist? Denn das Hilfsprogramm der Europäer läuft Ende Februar aus. Wenn die hellenischen Banken kein Geld mehr bekommen, bricht das Sozialsystem zusammen. „Helft uns, unser Land zu reformieren!“, sandte Athens Kassenwart Varoufakis einen Hilferuf an die Partner. Ansonsten werde sein Land „ersticken“.