Paris

Frankreich sagt: Wir sind Charlie

„Ich bin Charlie“ – dieses Solidaritätsbekenntnis halten viele Demonstranten in verschiedenen Sprachen in die Höhe. Die Welt ist in Paris nach der islamistischen Gewalt vereint in Trauer, Anteilnahme und Wut.
„Ich bin Charlie“ – dieses Solidaritätsbekenntnis halten viele Demonstranten in verschiedenen Sprachen in die Höhe. Die Welt ist in Paris nach der islamistischen Gewalt vereint in Trauer, Anteilnahme und Wut. Foto: afp

Was für eine Mobilisierung gegen den Terror! Schon Stunden vor dem Marsch gegen den Terror ist der Platz der Republik in Paris schwarz vor Menschen. Nach der islamistischen Gewaltserie wollen mehr als eine Million Menschen Solidarität mit den 17 Opfern demonstrieren.

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Von Hanns-Jochen Kaffsack

Viele Staats- und Regierungschefs sind zu dem historischen Schweigemarsch gekommen. Sie stellen ihren Schulterschluss mit Frankreich und dem von einem schweren Attentat heimgesuchten Satiremagazin „Charlie Hebdo“ unter Beweis.

Die Mobilisierung ist beispiellos. Beispiellos waren aber auch die Verbrechen, die das Land über Tage in Atem hielten. Paris ist deshalb in einem Ausnahmezustand – es gilt die höchste Sicherheitsstufe.

„Paris ist heute Welthauptstadt“, Welthauptstadt der Solidarität und Geschlossenheit, ruft Staatspräsident François Hollande aus, bevor er sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas einreiht. Hollande und Merkel haken sich kurz ein. Viele internationale Medien sind präsent, wie TV-Kameras auf Kränen und Übertragungswagen zeigen.

Drei oder, je nach Route, dreieinhalb Kilometer sind es, die unter dem teils bewölkten Pariser Himmel zurückgelegt werden. Auf den Dächern wachen Scharfschützen über die Sicherheit der prominenten Demonstranten, Polizei und Militär begleiten die Menge. Die Kanalisation haben sie zuvor auf Bomben kontrolliert.

„Je suis Charlie, flic, juif“ (Ich bin Charlie, Polizist, Jude) steht auf dem Schild einer jungen Demonstrantin, die damit gleich an alle Opfer der schlimmen Serie von Attentaten und Geiselnahmen der vergangenen Tage erinnert. Denn in einem koscheren Geschäft tötete einer der drei islamistischen Gewalttäter vier Menschen. Seitdem geht ein Ruck durch Frankreich, gespeist von Entsetzen und Wut, vom Wunsch nach Anteilnahme und Solidarität. „Ich bin Charlie“, hat die Lehrerin Gudrun auf Deutsch gemalt, um sich in den großen Marsch zu der Place de la Nation einzureihen.

„Holt eure Stifte heraus“, fordern Schilder in Verbeugung vor den vier Cartoonisten, die neben acht anderen Menschen beim Anschlag auf „Charlie Hebdo“ kaltblütig umgebracht worden waren. „Die Franzosen sind stark in solchen Augenblicken“, sagt der 18-jährige Xavier Declerck, um ganz differenziert anzufügen: „Nicht der Islam hat uns angegriffen, es sind Terroristen, die uns angegriffen haben.“ Trotz wechselhaften Winterwetters fühlen sich die Franzosen durch die internationale Solidarität gewärmt. Und diesmal folgen sie ihrem sonst nicht sehr geschätzten sozialistischen Staatschef Hollande, der die Losung ausgegeben hatte: „Das Land muss sich erheben.“ Die nationale Einheit, das Zusammenrücken sollten manifestiert werden. Und so gehen nicht nur in Paris mehr als eine Million „Charlies“ auf die Straße, auch in vielen anderen französischen Städten gibt es große Demonstrationen.

Im „Hochsicherheitstrakt Paris“ kommt es zum Verkehrschaos: Zehn Metrostationen sind von vornherein geschlossen, Zehntausende müssen kilometerweit bis zum Platz laufen, weil die Transportmittel voll sind. In den langen Strom zur Kundgebung haben sich auch der kleine Yves und die kleine Claudine, etwas fröstelnd, eingereiht. Sie haben sich „Charlie“-Schildchen mit großen roten Herzen gebastelt. Auch schwarze „Charlie“-T-Shirts werden von vielen Demonstranten trotzig vorgeführt. Diese Solidaritätsbekundung, die um die ganze Welt gegangen ist, hat sich ein Mann auch auf die Stirn geschrieben. All das soll heißen: Hier ist ein Land aufgebrochen, in der Hoffnung, dass das nicht gleich wieder abebbt.

Speziellen Schutz genießen an diesem Tag die Journalisten. Auch kleinere Redaktionen werden von bewaffneten Gendarmen bewacht. „Hoffen wir, dass auf dem Marsch nichts passiert“, sagt ein Ordnungshüter zu einem Journalisten. Der bedankt sich für die Fürsorge – und bringt ihm Kaffee.