Familiensynode: Papst bricht keinen Stab über gescheiterte Ehen

Ja, er revolutioniert die katholische Kirche wirklich: Papst Franziskus hat sein Schreiben „Amoris Laetitia“ (Über die Liebe in der Familie) vorgelegt, in dem er die Ergebnisse der großen Familiensynode zusammenfasst.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Von unserem Redakteur Michael Defrancesco

Ja, er revolutioniert die katholische Kirche wirklich: Papst Franziskus hat sein Schreiben „Amoris Laetitia“ (Über die Liebe in der Familie) vorgelegt, in dem er die Ergebnisse der großen Familiensynode zusammenfasst, die 2013 und 2014 im Vatikan getagt hatte. Die deutschen Katholiken hatten besonders auf zwei Punkte gewartet: Würde Papst Franziskus wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zulassen? Würde er die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe gutheißen?

Letzterem erteilt der Papst – wie von vielen erwartet – eine Absage. Es gebe keinerlei Fundament dafür, „zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn.“ Und weiter: „Es ist unannehmbar, dass auf die Ortskirchen in dieser Frage Druck ausgeübt wird“, notiert Franziskus in dem Schreiben. Die Gleichstellung mit der Ehe lehnt der Papst ab, unabhängig davon betont er aber, dass dem einzelnen homosexuell lebenden Menschen mit Achtung und Respekt zu begegnen sei.

Umfrage
Papst lehnt die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe ab

Die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe lehnt der Papst ab, unabhängig davon betont er aber, dass dem einzelnen homosexuell lebenden Menschen mit Achtung und Respekt zu begegnen sei. Was meinen Sie dazu?

Die Gleichstellung wäre ein Durchbruch gewesen, die Kirche muss sich an die gesellschaftliche Realität anpassen.
9%
58 Stimmen
Richtig so! Die Kirche muss nicht jedem Trend folgen.
85%
568 Stimmen
Was der Papst sagt, interessiert mich nicht.
6%
43 Stimmen
Anders sieht es jedoch in der Frage aus, wie die katholische Kirche in Zukunft mit wiederverheirateten Geschiedenen umgehen soll. Der Papst hat entschieden, keine allgemeingültige Regelung zu treffen, sondern die Betroffenen aufzurufen, mit einem Priester ihres Vertrauens zu sprechen, um individuelle Lösungen zu finden. Diese Entscheidung war von vielen erwartet worden, die Papst Franziskus kennen. Ihm ist das biblische Bild vom „guten Hirten“ – also dem „Pastor“ – heilig. Er möchte, dass die Hirten sich kümmern. Dass sie Wert aufs Einzelschicksal legen, dass sie in Einzelgesprächen wirkliche Seel-Sorger sind.

„Ich verstehe diejenigen, die eine unerbittliche Pastoral vorziehen, die keinen Anlass zu irgendeiner Verwirrung gibt“, schreibt der Papst mit Blick auf die Dogmatiker. „Doch ich glaube ehrlich, dass Jesus Christus eine Kirche möchte, die achtsam ist gegenüber dem Guten, das der Heilige Geist inmitten der Schwachheit verbreitet.“ Und weiter: „Daher darf der Hirte sich nicht damit zufrieden geben, gegenüber denen, die in irregulären Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben der Menschen wirft. (...) Es ist kleinlich, nur bei der Erwägung stehen zu bleiben, ob das Handeln einer Person einem Gesetz entspricht.“

Damit redet der Papst den Pfarrern vor Ort ins Gewissen, sich in die Lebenssituation der jeweiligen Betroffenen einzufühlen. Er möchte keine „Schreibtisch-Moral“, schreibt er. „In dem Glauben, dass alles weiß oder schwarz ist, versperren wir manchmal den Weg der Gnade“, schreibt Franziskus in Richtung störrischer Ortspfarrer. Und weiter: „Außergewöhnliche Situationen zu verstehen, bedeutet niemals, das Licht des vollkommeneren Ideals zu verdunkeln.“ Franziskus sieht keine Gefahr für die Institution der christlichen Ehe, wenn der Pfarrer in der Gemeinde barmherzig ist. Damit die ehelos lebenden Pfarrer sich in die Probleme der Eheleute eindenken können, wünscht sich Franziskus eine erweiterte Ausbildung in den Priesterseminaren. Explizit fordert er, dass auch Ehepaare künftig den Priesternachwuchs schulen sollen.

„Ich lade die Gläubigen, die in komplexen Situationen leben, ein, vertrauensvoll auf ein Gespräch mit ihren Hirten zuzugehen“, schreibt Franziskus. „Nicht immer werden sie bei ihnen Bestätigung für ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche finden, doch sie werden einen Weg der persönlichen Reifung entdecken. Und ich lade die Hirten ein, liebevoll zuzuhören, mit dem aufrichtigen Wunsch, mitten in das Drama der Menschen einzutreten und ihren Gesichtspunkt zu verstehen, um ihnen zu helfen.“

Der Papst macht somit wahr, was er bereits in seinem ersten Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ angekündigt hatte: Er möchte weg von einem Zentralismus in der katholischen Welt, der den Vatikan als Mittelpunkt sieht. Erneut schreibt er nun: „Ich möchte darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen.“ Außerdem könnten in jedem Land oder jeder Region besser Lösungen gesucht werden, die die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen.

Hebt der Papst damit Normen auf? Nein. Sie sollen aber auch nicht mehr auf Teufel komm raus gelten. „In ihren Formulierungen können sie unmöglich alle Sondersituationen umfassen“, sagt Franziskus. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch für den Papst, dass eine Sondersituation und eine Einzelfallentscheidung nicht in den Rang einer Norm erhoben werden kann. Der Papst delegiert Entscheidungen auf niedrigere Hierarchiestufen – diese Methoden modernen Managements sind nach wie vor ungewohnt für so manchen Katholiken und Würdenträger. Der Papst als Zuhörer, der Fragebögen unter den Katholiken verteilen lässt und sich ihrer Sorgen spürbar annimmt – auch dies muss bei vielen erst noch sacken. Wie die Basis mit dieser neuen Verantwortung umgehen wird, das wird die nahe Zukunft zeigen.

Denn „Amoris Laetitia“ enthält noch eine weitere Aufgabe für die Katholiken: Der Papst wirbt für eine intensive Begleitung von Verlobten und Eheleuten. Nein, viel mehr: Er fordert diese Begleitung ein. Für ihn ist es essenziell, dem Scheitern der Ehe vorzubeugen. „Die Scheidung ist ein Übel“, schreibt der Papst. „Darum besteht unsere wichtigste pastorale Aufgabe in Bezug auf die Familien darin, die Liebe zu stärken und zur Heilung der Wunden beizutragen, sodass wir dem Vordringen dieses Dramas unserer Zeit vorbeugen können.“ Franziskus plädiert dafür, vor allen Dingen während der Verlobungszeit als auch in den ersten Ehejahren nah an der Seite des jungen Paares zu stehen. Das ist sowohl Aufforderung für die Priester und engagierten Laien am Ort als auch für die jungen Paare selbst: Sie sollen sich mehr um die Pflege ihrer Liebe als um die rein materielle Vorbereitung der Hochzeit kümmern. „Liebe Verlobte, habt den Mut, anders zu sein, lasst euch nicht von der Gesellschaft des Konsums und des Scheins verschlingen. Das, worauf es ankommt, ist die Liebe, die euch eint. Ihr seid fähig, euch für ein schlichtes Fest zu entscheiden, um die Liebe über alles zu setzen“, bittet Franziskus.

Der Papst blickt auch auf die Gründe, warum Ehen scheitern, zum Beispiel wenn Träume und Wirklichkeit nicht zusammenpassen. Auch hier nimmt er die Ehepaare ins Gebet, nicht zu schnell aufzugeben, sich gegenseitig zu verzeihen und wieder neu aufeinander zuzugehen.

So ist „Amoris Laetitia“ päpstliches Lehrschreiben und Gruppenstunde für jeden einzelnen in einem. Typisch Franziskus.

Das vollständige Schreiben des Papstes finden Sie im Internet unter der Adresse ku-rz.de/vatikan