Leipzig

Fall Al-Bakr: Typisch Sachsen?

JVA Leipzig: Immer wieder wird der Freistaat zum Schauplatz erschreckender Szenen von Hass und staatlicher Überforderung. 
JVA Leipzig: Immer wieder wird der Freistaat zum Schauplatz erschreckender Szenen von Hass und staatlicher Überforderung.  Foto: dpa

Diese Sachsen, die haben aber auch immer so ein Pech!", sagte ein Berliner Koalitionspolitiker, als er vom Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr hörte. Der Syrer war den Behörden schon beim ersten Versuch der Festnahme durch die Lappen gegangen. Überwältigt und gefesselt wurde er letztlich von syrischen Landsmännern.

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Von unserem Korrespondenten Gregor Mayntz

Die Ironie bei dem Berliner Koalitionspolitiker steckte somit nicht nur im Unterton. Schon im Februar hatte die Bundespolitik besorgt in Richtung Sachsen geblickt und sich gefragt, ob da ein „failed state“ droht, ein gescheiterter Staat im Innern der Bundesrepublik.

Am Anfang der Schlagzeilenwelle verwies Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) noch vehement darauf, dass es ähnliche Vorfälle auch in anderen Bundesländern gibt. Tatsächlich war 2015 nicht Sachsen Spitzenreiter bei rechtsextremistischer Gewalt, sondern Nordrhein-Westfalen. Aber bezieht man die Gewaltstraftaten rechtsmotivierter Verbrecher auf die Bevölkerungszahl, dann waren es im Vorjahr 16 je 10 000 Einwohner in Nordrhein-Westfalen, jedoch 49 in Sachsen.

Hinzu kommt eine Häufung besonders perfider Szenen in den vergangenen Monaten. Da ist im Februar die johlende Menge, die den Brand einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen feiert und auch noch die Löscharbeiten der Feuerwehr behindert. Da sind die „Demonstranten“, die in Clausnitz einen Bus mit Flüchtlingen umstellen und die verängstigten Menschen anbrüllen: „Weg mit euch!“ Auf dem Bus prangt der Schriftzug „Reisegenuss“. Als sich die Flüchtlinge nicht raustrauen, fasst die Polizei mindestens einen hart an.

Im September ist Bautzen erneut Schauplatz einschlägiger Szenen: Zusammenstöße zwischen einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen und einer großen von organisierten Rechtsextremisten löst man in Sachsen auf unerwartete Weise – nämlich mit einer Ausgangssperre für die Flüchtlinge.

Sachsen droht nicht nur zu einem ‚failed state‘ im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu werden, sondern nun auch im Justizvollzug.

SPD-Innenexperte Burkhard Lischka

„Eins, zwei, drei, danke Polizei“ ist ein in Sachsen immer wieder zu hörender Ruf, mit dem sich vor allem Teilnehmer von Pegida-Protesten für Serviceleistungen durch die Polizei bedanken. Wenn sie ihnen etwa ihre abendlichen Sammlungspunkte beleuchtet oder Versammlungsauflagen per Polizeilautsprecher übermittelt, obwohl die Veranstalter das selbst machen müssten.

Wie weit dieses gegenseitige Verständnis reicht, konnten Teilnehmer der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Sachsens Hauptstadt Dresden am eigenen Leib erfahren. Den Zugang zum Gottesdienst organisierte die Polizei mitten durch Pegida-Anhänger. Die zeitlichen und räumlichen Demonstrationsverbote setzte die Polizei gegenüber linken Gruppen kompromisslos durch, doch die Pegida-Truppe ließ sie unmittelbar neben den offiziellen Feiern gewähren. Die Plakate und Trillerpfeifen interpretierte sie nicht als Kundgebung, sondern als spontane Meinungsäußerung von Passanten. Bis hin zum „Fotze“-Geschrei für Bundeskanzlerin Merkel, „Volksverräter“-Gebrüll für Bundespräsident Joachim Gauck und „Bimbo“-Rufen mit Affenlauten für einen farbigen Veranstaltungsbesucher. Alles blieb ohne Beanstandung. Mit einem Grinsen beobachteten Polizisten, wie sich Gäste der Feiern ihren Weg wie bei einem Spießrutenlauf durch die Protestler suchen mussten, die ihnen aus nächster Nähe mit Trillerpfeifen in die Ohren pfiffen.

Wer das erlebt an einem Ort, an dem sich Sachsen im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit von seiner besten Willkommensseite präsentieren will, der mag sich lieber nicht vorstellen, wie die Zustände im Dunkeln der Provinz sein mögen, wenn keiner hinguckt.

Ein zumindest problematisches Beziehungsgeflecht zwischen Polizei, Verfassungsschutz, Justiz und Politik steckte schon hinter den jahrzehntelang nie ganz geklärten Vorgängen, die unter dem Stichwort „Sachsensumpf“ in die Geschichte eingingen. Es begann 1993 mit der Erstürmung eines illegalen Wohnungsbordells in Leipzig mit minderjährigen Zwangsprostituierten, nahm zwischenzeitlich die Dimension eines Abgrundes an organisierter Kriminalität mit verdächtigen Beteiligten im Staatsdienst an, hatte viel mit Vorwürfen von Vertuschung zu tun und endete mit einer Serie von Anklagen wegen Verleumdung.

Das bedeutet nicht, dass nicht auch in Sachsen viele Tausend Staatsdiener untadelig und engagiert ihren Dienst tun und unerschrocken für den Rechtsstaat eintreten. Doch das Muster, das sich nun gleich zweimal im Zusammenhang mit der Terrorbedrohung in Chemnitz und Leipzig zeigte, ist kein neues, in Sachsen schon gar nicht: an alle Vorschriften halten und hinterher erklären, warum alles schieflief. Man könnte es auch Überforderung nennen.

SPD-Innenexperte Burkhard Lischka erinnert daran, dass sich Sachsen gern als „Musterknabe“ präsentiert. Doch nun erweist sich aus seiner Sicht, „dass das Land offenbar massive Probleme hat – von der Polizei bis hin zum Justizvollzug“. Ihm schwant Schlimmes: „Sachsen droht nicht nur zu einem ‚failed state‘ im Kampf gegen den Rechtsextremismus zu werden, sondern nun auch im Justizvollzug.“

Das weiß man über Dschaber Al-Bakr

Dschaber al-Bakr wurde am 10. Januar 1994 südlich von Damaskus geboren. Der Syrer kam am 19. Februar 2015 als Flüchtling nach Deutschland, wurde in München registriert und in die Erstaufnahme nach Chemnitz weitergeleitet. Im Oktober 2015 erhielt er eine befristete Anerkennung für drei Jahre. Ab 
10. März 2016 war er in Eilenburg nordöstlich von Leipzig gemeldet und zunächst nicht auffällig. Zwischenzeitlich war er wieder in Syrien. Das soll die Familie mitgeteilt haben, berichtete der MDR. Demnach reiste al-Bakr im Herbst 2015 zweimal in die Türkei und hielt sich auch einige Zeit in der syrischen Stadt Idlib auf.

Nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte er einen Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen geplant und offenbar schon weitestgehend vorbereitet. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Syrer Kontakt zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hatte. 
Al-Bakr soll zur Herstellung von Sprengsätzen im Internet recherchiert und sich die Grundstoffe dafür beschafft haben. Die Ermittler fanden in der Chemnitzer Wohnung, in der sich der 
22-Jährige zuletzt aufhielt, „rund 1,5 Kilogramm extrem gefährlichen Sprengstoff“. Nun wurde al-Bakr erhängt in seiner Leipziger Gefängniszelle gefunden.