Expertin: Bildungschancen sind ungerecht verteilt

Berlin/Rheinland-Pfalz – Die Bildungsforscherin und Soziologin Jutta Allmendinger hält Bildungschancen in Deutschland mehr als zehn Jahre nach dem Pisa-Schock weiterhin für ungerecht verteilt. „Wir schließen große Bevölkerungsgruppen auf Dauer aus“, sagte sie im Gespräch mit unserer Zeitung.

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Jeder vierte 15-jährige Junge könnte nicht richtig lesen und schreiben. Nach wie vor sei es für Kinder aus sozial schwächeren Familien und Migrantenkinder schwieriger, Abitur zu machen, als für Kinder von Akademikern. Die Pisa-Studie hatte 2000 belegt, dass Bildungschancen in Deutschland im internationalen Vergleich besonders ungleich verteilt sind.

Die Chance des Kindes eines höheren Angestellten, ein Gymnasium zu besuchen, war mehr als viermal so hoch wie die eines Facharbeiterkindes. 2009 waren die Chancen des Angestelltenkindes noch 2,5-mal besser. Allmendinger fordert eine möglichst frühe Förderung von Kindern aus sozial schwachen Familien. „Ein gewisser Ausgleich zwischen den sozialen Schichten ist vor der Schule noch möglich, später aber sehr schwer“, sagt die Expertin.

Um in benachteiligten Regionen mehr in Bildung investieren zu können, müssten Bund und Länder zusammenarbeiten. Für die Schulen sind die einzelnen Bundesländer in Eigenregie zuständig. „Dort, wo es sozial schwache Regionen gibt, muss eine Bund-Länder-Finanzierung möglich werden“, sagt Allmendinger. Auch die in vielen Bundesländern noch übliche Aufteilung der Kinder nach der vierten Klasse hält sie für falsch. Allmendinger plädiert für gemeinsames Lernen bis zum 16. Lebensjahr. Zahlen zu den Bildungschancen in Rheinland-Pfalz liegen laut Ministerium nicht vor.

Insbesondere Migrantenkinder haben in den vergangenen Jahren im Land aber aufgeholt. „Wir setzen auf möglichst langes gemeinsames Lernen und auf den Ausbau der Kindertagesstätten“, sagt SPD-Fraktionschef Hendrik Hering. Rheinland- Pfalz hat im bundesweiten Vergleich mit der Begrenzung auf 25 Schüler die kleinsten Grundschulklassen. Auch die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Landtag, Bettina Dickes, sieht im Land „eine hohe Durchlässigkeit im Bildungssystem“.

Nach der vierten Klasse auf eine verbindliche Empfehlung zu verzichten, hält Dickes allerdings für ungerecht. „Damit werden Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern eher benachteiligt.“ Diese würden seltener den Besuch eines Gymnasiums für ihr Kind ins Auge fassen. Dickes bewertet auch längeres gemeinsames Lernen über die vierte Klasse hinaus skeptisch. „Das bringt nicht mehr Gerechtigkeit. Die Spannungen in einer Klasse werden nur größer“, meint sie. Dass nicht behinderte und behinderte Kinder in Rheinland-Pfalz künftig gemeinsam lernen sollen, hält sie für verfrüht.

„Es gibt noch gar keine Rahmenbedingungen dafür. Das ist wirklich ungerecht gegenüber allen Beteiligten“, so Dickes.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann