Mainz

Experten streichen Fehler im Bildungspaket an

Viele Kinder brauchen in der Schule Nachhilfe, um Schritt halten zu können. Doch nach der aktuellen Schülerförderung wird diese erst unterstützt, wenn die Versetzung konkret gefährdet ist.
Viele Kinder brauchen in der Schule Nachhilfe, um Schritt halten zu können. Doch nach der aktuellen Schülerförderung wird diese erst unterstützt, wenn die Versetzung konkret gefährdet ist. Foto: picture alliance / dpa

Im Ansatz richtig, aber zu bürokratisch, zu willkürlich und zu wenig Geld: Das ist das Fazit, das Experten aus der kommunalen Praxis und der Wissenschaft zum Thema Bildungspaket derzeit ziehen. Vor allem wird ein häufiges Vorurteil bemängelt, dass auch hier bestimmend sei: „Die Umsetzung des Bildungspakets beruht auf Misstrauen und Entmündigung der Eltern“. Beim Fachtag in Mainz wurde klar: Es bleibt noch viel zu tun. Das gilt auch im Hinblick auf die allgemeine Versorgung der Schüler mit Unterricht: In Rheinland-Pfalz hat sich der Unterrichtsausfall im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

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Mainz – Im Ansatz richtig, aber zu bürokratisch, zu willkürlich und zu wenig Geld: Das ist das Fazit, das Experten aus der kommunalen Praxis und der Wissenschaft zum Thema Bildungspaket derzeit ziehen. Beim Fachtag „Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen in sozial benachteiligter Lebenslage durch Teilhabe – Bildungspaket & Co.?“ in Mainz wurde klar: Es bleibt noch viel zu tun.

„Arme Kinder sind schlechter dran und nehmen gesellschaftliche Angebote bundesweit weniger wahr als ihre Altersgenossen aus bessergestellten Verhältnissen“, fassen die Sozialwissenschaftler Werner Wüstendörfer und Dietrich Engels ihre Erkenntnisse aus zahlreichen Studien zusammen. Darüber hinaus ist auch das gesundheitlich-emotionale Risiko – Traurigkeit, Selbstverletzung oder Selbstmord – bei diesen Kindern und Jugendlichen nachweislich höher.

Im Ansatz ist das Bildungspaket also auf die richtige Zielgruppe zugeschnitten, Kritikpunkte gibt es dennoch: „Die Umsetzung des Bildungspakets beruht auf Misstrauen und Entmündigung der Eltern“, tadeln die Forscher die Tatsache, dass die auszahlenden Kommunen das Geld für die Leistungen nicht an die Eltern überweisen, sondern direkt an die Vereine oder Schulen. „Dieses Prinzip beruht doch auf dem weitverbreiteten Vorurteil, dass sich Hartz-IV-Eltern nicht kümmern und alles Geld verrauchen und versaufen“, empört sich Wüstendörfer. Das Gegenteil sei der Fall, hätten seine Untersuchungen ergeben. Auch Eltern, die Hartz IV beziehen, wollen Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, brauchen hierfür aber manchmal Hilfe von außen. Er fordert daher mehr sogenannte niedrigschwellige Unterstützung in Form von Angeboten, die im direkten Umfeld der Kinder und Jugendlichen angesiedelt sind, beispielsweise an Schulen und Kitas.

Ein weiterer Knackpunkt ist die Schülerförderung. Hier muss der Lehrer bestätigen, dass ein Schüler Nachhilfe benötigt. Nach den Vorgaben wird sie aber nur dann bezahlt, wenn der betreffende Schüler versetzungsgefährdet ist. „Wenn das absehbar ist, ist es für Nachhilfe oft viel zu spät“, gibt Wüstendörfer zu bedenken. Einen großen Stellenwert nehmen in diesem Zusammenhang lokale Verbände wie Caritas und AWO ein, die unter anderem Nachhilfe anbieten. Jupp Arldt, Geschäftsführer der Landeszentrale für Gesundheitsförderung in Mainz, betont: „Man darf nicht darin nachlassen, die Familien zu unterstützen. Wenn die Kommunen diese freiwilligen Leistungen streichen, wäre das fatal.“

Beanstandet werden auch die 10 Euro, die im Bildungspaket pro Kind als monatlicher Bedarf für den Bereich Kultur, Sport und Freizeit festgelegt sind. Das reicht für die meisten Vereinsbeiträge, aber wer zahlt etwa das nötige Musikinstrument? „Dieser Betrag ist willkürlich zustande gekommen, das reicht vorn und hinten nicht aus. Eine andere Bedarfsrechnung ist notwendig“, fordern die Experten deshalb einhellig.

Moniert wird das Paket auch aus kommunaler Sicht: Die Umsetzung ist zu aufwendig und zu bürokratisch. Es gibt zwar nur einen Grundantrag, in dem die gewünschten Leistungen angekreuzt werden müssen, aber in der Folge muss jede Familie für jede erbrachte Leistung einen Nachweis vorlegen. Aus seiner Praxis als stellvertretender Leiter des Jugendamts in Koblenz rechnet Gerd Strunk vor: „Allein 500 Anträge ausschließlich für Vereinsbeiträge sind seit Anfang des Jahres bei uns eingegangen. Nach der Mittagsverpflegung ist das die am häufigsten beanspruchte Leistung. Mit der Bearbeitung sind bei uns dreieinhalb Vollzeitkräfte beschäftigt, der Verwaltungsaufwand und die Kosten sind enorm.“ Laut Strunk erreicht das Bildungspaket in und um Koblenz im Moment 45 Prozent der Berechtigten, langfristig geht er von 60 Prozent aus. Bundesweit sieht es ähnlich aus, berichtet Engels: „Faktisch wurde in diesem Jahr nur ein Teil des Geldes abgerufen, was vielerlei und zum Teil unspektakuläre Gründe hat. Der Rest liegt noch zum Abruf bereit, ist aber keineswegs in die Verwaltung geflossen, weil die anders refinanziert wird, das ist gesetzlich geregelt.“

Von unserer Mitarbeiterin Antoinette Malkewitz