Experten: Pandemie-Warnung war richtig

Experten: Pandemie-Warnung war richtig
Warten auf die Pandemie: Zwar breitete sich das H1N1-Virus angesichts der Globalisierung in rasantem Tempo rund um den Globus aus. Doch die befürchtete Welle mit einer riesigen Zahl von Todesopfern blieb gottlob aus. Nun muss sich allerdings die WHO für ihre drastische Warnung rechtfertigen. Foto: dpa

Genf. Anfangs zögerte die Weltgesundheitsorganisation, die Neue-Grippe-Welle zur Pandemie zu erklären. Dass sie es schließlich doch tat, bringt ihr im Nachhinein heftige Kritik ein. Doch die WHO verteidigt sich energisch.

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War die Pandemie-Warnung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wegen der „Neuen Grippe“ überzogen? Die Frage belastet die Verantwortlichen in Genf schwer, nachdem die Grippewelle letztlich vergleichsweise glimpflich ausging. Doch die WHO verteidigt sich: „Den Verlauf konnte niemand voraussagen“, heißt es dort. Die Beschäftigten im Hauptquartier der Organisation sind zudem überzeugt davon, dass ihre schnelle Reaktion zum eher milden Verlauf beigetragen hat.

Dennoch versuchten nun 30 unabhängige Experten, Lehren für die künftige Reaktion der WHO auf solche weltweiten Infektionskrankheiten zu ziehen. Ihr Fazit: Vieles müsse wieder genauso ablaufen wie in den vergangenen zwölf Monaten. Zu groß bleibt aus Sicht der Experten die Gefahr hoher Opferzahlen bei der weltweiten Ausbreitung eines Virus.

Die Zahl von rund 17 800 Menschen, die laut Laboranalysen nachweislich in den vergangenen zwölf Monaten an dem aggressiven H1N1-Virus gestorben sind, mutet im weltweiten Maßstab eher niedrig an. Allerdings sind darin wohl bei Weitem nicht alle Opfer erfasst. Am 24. April 2009 berichtete die WHO offiziell über erste Fälle in Mexiko und den USA. Binnen weniger Monate rasten die Viren dann über weit mehr als 200 Länder hinweg.

Die WHO habe sich gegen das Virus stemmen müssen, ist man in Genf überzeugt. Schließlich griff auch die Grippeangst rasant um sich – alle schienen in Gefahr, nicht nur die Schwachen wie bei der „normalen“ Grippewelle.

Zum ersten Mal seit 40 Jahren rief die Weltgesundheitsorganisation deshalb ihre höchste Alarmstufe aus und warnte vor einer Pandemie. Leicht hat sich die Organisation ihre Entscheidung nicht gemacht. Was mittlerweile fast in Vergessenheit geraten ist: Anfangs wurde die WHO sogar dafür gescholten, sie gehe zu zögerlich vor. Als sie am 11. Juni die Neue Grippe zur Pandemie erklärte, waren schon fast 30 000 Infektionen in 74 Ländern registriert worden, mehr als 21 000 Fälle allein in Nordamerika. 140 Patienten waren gestorben.

Unermüdlich hatte der WHO-Sonderberater für Grippe-Pandemien, Keiji Fukuda, bei weltweit übertragenen Pressekonferenzen auf die Unwägbarkeiten einer solchen Pandemie verwiesen – es gebe keine Gewissheiten. Erst als sich Ende des Jahres abzeichnete, dass die Erkrankungszahlen nicht weiter steigen, ruderte er zurück: „Es ist natürlich möglich, eine Pandemie der milderen Art zu haben.“

Kritiker vermuteten angesichts millionenfach gelagerter und ungenutzter Impfstoffe eine Kumpanei mit der Pharmaindustrie, die Rekordgewinne meldete. Die WHO wies diesen Vorwurf scharf zurück; aus ihrer Sicht gibt es überhaupt keine Hinweise auf ein unredliches Verhalten.

Ein Jahr nach Ausbruch der Infektion steht fest, dass es auf dem amerikanischen Kontinent die meisten H1N1-Opfer gegeben hat. Mindestens 8200 Menschen sind dort an der Neuen Grippe gestorben. In Europa waren es fast 4800, in Asien mehr als 3500.

Der Impfstoff ist in manchen Ländern gar nicht erst angekommen. Dem Ziel, einem Viertel der Weltbevölkerung den Schutz zur Verfügung zu stellen, kam die WHO trotzdem nahe. Die erste große Bewährungsprobe für die Mitte 2007 in Kraft getretenen Internationalen Gesundheitsvorschriften (World Health Regulations) hat die WHO also durchaus bestanden. Die Regeln sehen vor, dass für die öffentliche Gesundheit bedeutende Ereignisse auf schnellstem Wege ausgetauscht werden müssen – in Europa beispielsweise unter 40 Vertragsstaaten. Mit den Regelungen soll die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten verhütet und bekämpft werden. Heinz-Peter Dietrich