Euro-Krise: Der IWF hat Hellas fest im Griff

An Christine Lagarde führt schon seit Jahren kein Weg vorbei. Wenn die 19 Finanzminister der Euro-Gruppe in Brüssel zusammentreffen, steht ein zusätzlicher Stuhl für die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) bereit. Dass dies auch künftig so bleiben soll, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel morgen im Bundestag noch einmal ausdrücklich betonen – um damit für eine möglichst breite Zustimmung zum dritten Griechenland-Paket zu werben.

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Von unserem Korrespondenten Detlef Drewes

Die 59-jährige Französin dürfte das gern hören und gleichzeitig ihr eigenes Süppchen weiterkochen. Denn die Rolle des 1944 gegründeten IWF war über viele Jahrzehnte hinweg nicht unumstritten. Eigentlich wollten die USA und Großbritannien, die ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs in dem kleinen Örtchen Bretton Woods im US-Bundesstaat New Hampshire zusammenkamen, die Weltwirtschaft auf neue finanzpolitische Grundlagen stellen. Heraus kamen der IWF und seine „Schwester“, die Weltbank. Die Grundidee schien überzeugend: Um das globale Währungs- und Finanzsystem zu harmonisieren und zu regulieren, sollte der IWF mit seinen inzwischen 2400 Mitarbeitern die Politik der derzeit 188 Mitgliedstaaten verfolgen, bewerten und notfalls auch helfend unterstützen.

Missionarische Zwangsjacke

Lange war das einfach möglich: Wer Geld brauchte, bekam es. Erst später schuf man das Instrument, das im Fall Griechenlands für so viele Diskussionen sorgte: die Konditionalität. Wer frisches Kapital beim IWF mit Hauptsitz in Washington beantragte, musste gleichzeitig innenpolitische Reformen und marktwirtschaftliche Liberalisierung versprechen. Aus der uneigennützigen Hilfe für Not leidende Länder war eine missionarische Zwangsjacke zur Demokratisierung und ökonomischen Liberalisierung geworden. Es ist der vielleicht schwerste Vorwurf gegen den IWF, dem man fortan unterstellte, nationale Sozialprogramme fast schon systematisch unterlaufen und aushebeln zu wollen, sobald jemand Geld brauchte.

Dabei bleiben die Summen, die man in Washington zu verteilen hat, weit hinter den Beträgen zurück, die Europa zugunsten Athens aufgebracht hat: Derzeit kann der IWF über 294 Milliarden Euro verfügen, weitere 464 Milliarden sind kurzfristig über Darlehen aktivierbar. Wenn demnächst die Beiträge erhöht werden, soll diese Finanzbasis allerdings verdoppelt werden. Dabei handelt es sich um Einzahlungen der Mitglieder – allen voran der USA, die 17,7 Prozent der Einlagen überweisen. Es folgen Japan (6,6 Prozent) und Deutschland (6,1 Prozent) sowie Großbritannien (4,5 Prozent). China (4,0 Prozent) und Russland (2,5 Prozent) gehören ebenfalls dazu. Da der IWF dieses Geld nur verwaltet, besteht er bei Hilfsprogrammen wie allen drei Griechenland-Paketen auf einem wichtigen Zusatz in den Verträgen: Washingtons Darlehen müssen bevorzugt und vor allen anderen bedient werden.

Das rückt Lagardes jüngste Forderungen nach einem Schuldenschnitt in ein fahles Licht: Denn obwohl die IWF-Chefin stets betont, sie sei „der festen Ansicht, dass Griechenlands Schuld untragbar geworden ist“, würde Athen im unwahrscheinlichen Fall eines Schuldenschnitts der Euro-Gläubiger die bisher ausgezahlten 19 Milliarden Euro aus Washington trotzdem abstottern müssen. Und das zu deutlich schwierigeren Bedingungen: Denn während die Euro-Familie lediglich 1,35 Prozent Zinsen verlangt und inzwischen sogar über eine 60-jährige Rückzahlungsdauer nachdenkt, besteht der IWF auf 3,6 Prozent Zinsen bei sofortiger Begleichung der Raten.

Ausgeglichene Kasse ist ihr Ziel

Experten sehen dafür vor allem zwei Gründe: Zum einen hat sich der Fonds, dessen Direktorium mehrheitlich in europäischer Hand ist, bei Athen weit aus dem Fenster gelehnt. Normalerweise darf der IWF nämlich höchstens das Fünf- oder Sechsfache der Einlagen eines Landes als Hilfskredite auszahlen. Die Hellenen erhielten mehr als das 30-Fache. Und dieses Geld will Lagarde zurückholen. Denn – dies wäre der zweite Punkt – die IWF-Chefin möchte gern im kommenden Jahr für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden. Und das dürfte nur möglich sein, wenn sie eine ausgeglichene Kasse vorweisen kann. Lagarde ist also keineswegs plötzlich weich geworden und zeigt sich bemüht, den aktuellen griechischen Schuldenstand von 200 Prozent zugunsten der Hellenen aus den Büchern zu tilgen. Sie will vor allem ihre eigene Bilanz sanieren.

Der Fonds sei also längst eine „Weltmacht“ geworden, bilanziert der Finanzexperte Ernst Wolff in seinem gleichnamigen Buch, weil er einen fast schon tödlichen Zirkel auslöse: So bleibt überschuldeten Staaten kaum eine andere Möglichkeit, als die Bedingungen Washingtons anzunehmen, um an frisches Geld zu kommen. Das führe aber zu einer immer weitergehenden Verstrickung in Zins-, Zinseszins- und Tilgungszahlungen. Die sich daraus ergebende Schuldenspirale für die Staatshaushalte nutze der IWF, um weitere Sparhaushalte durchzusetzen, die von der Politik auf abhängig Beschäftigte und Arme abgewälzt würden.

„Auf diese Weise haben IWF-Programme Millionen Menschen den Arbeitsplatz genommen, ihnen den Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung, einem funktionierenden Bildungswesen und menschenwürdigen Unterkünften verwehrt“, schreibt Wolff. Tatsächlich fällt die Bilanz des IWF nicht gerade strahlend aus: In den 80er- und 90er-Jahren scheiterte der Fonds mit der Sanierung lateinamerikanischer Staaten. Und ob er in Griechenland erfolgreich sein kann, ist noch offen.