EU-Gipfel: Eine Hand 
wäscht die andere

Die Kanzlerin zeigte sich aufgeräumt. „Das war ein guter Tag“, bilanzierte Angela Merkel am Dienstagmorgen nach fast zwölfstündigen Beratungen den Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs zur Flüchtlingsfrage. „Aber es bleibt noch viel Arbeit bis 18. März.“ Und sie hat Recht. Denn bis die europäischen Staatenlenker Ende kommender Woche den Deal mit Ankara endgültig besiegeln wollen, müssen noch jede Menge Details geklärt werden. Trotzdem gab sich Merkel überzeugt: „Viele glauben, dass das ein Durchbruch ist.“

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Tatsächlich nannte sogar die als EU-kritisch eingeschätzte polnische Regierungschefin Beata Szydlo das Erreichte „einen großen Schritt hin zur Lösung der Flüchtlingskrise“. Frankreichs Staatspräsident François Hollande sah Anzeichen dafür, dass die Flüchtlingsfrage jetzt endlich „auf solidarische Art und Weise in Europa“ angegangen werde. Lediglich der griechische Premier Alexis Tsipras erinnerte noch einmal an die „schrecklichen Bilder vom Grenzübergang Idomeni“ und warnte vor zu viel Euphorie. Die Ergebnisse sind für ihn lediglich ein Schritt nach vorn.

Keine Rücksicht auf nationale politische Termine

Dass Merkel gern mit mehr konkreten Beschlüssen nach Hause gefahren wäre, um vor dem Superwahlsonntag zu punkten, ist ein offenes Geheimnis, auch wenn sie selbst in der Nacht feststellte, dass das Weltgeschehen, die Flüchtlingskrise und die EU eben „keinerlei Rücksicht auf nationale politische Termine“ nehmen. Dabei konnte die Kanzlerin durchaus zufrieden sein. So gelang es ihr, den umstrittenen Satz „Die Balkanroute ist geschlossen“ durch die weitaus offenere Formulierung zu ersetzen: „Irreguläre Ströme von Migranten entlang der Route des westlichen Balkans müssen nun enden.“

Die Formulierung, die nun im Schlussdokument steht, wirft allerdings auch Fragen auf. Heißt das jetzt Schotten dicht? Merkels Antwort: Das sei „eine Sachstandsbeschreibung, die allerdings zu einer Situation geführt hat, die nicht nachhaltig ist“. Deswegen, so Merkel weiter, wird in dem Dokument auch festgehalten: „Um diese Situation, wie wir sie heute auf der Balkanroute haben, nachhaltig zu machen, muss mit Griechenland gearbeitet werden.“ Das versteht womöglich nicht jeder. Denn unterdessen haben Slowenien und Serbien bereits Fakten geschaffen. Die beiden Länder lassen seit Mitternacht nur noch Menschen mit gültigen Pässen und Visa einreisen. Damit ist die Balkanroute praktisch geschlossen. Slowenien will in Zukunft pro Monat nur noch 40 bis 50 Menschen Asyl gewähren.

Angela Merkel
Angela Merkel
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Ein Schlag gegen Schlepper?

Die Aussage der Kanzlerin, man sei einen „qualitativen Schritt weitergekommen“, erscheint auch in einem anderen Licht, wenn man sich die Vorschläge des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu genauer ansieht: Ankara nimmt demnach illegale Auswanderer wieder zurück. Dafür erlaubt die EU die Einreise legaler Asylbewerber – ein Schlag gegen die Schlepper. Und die visafreie Einreise könnte schon ab Sommer gelten. Bislang war nur von Visaerleichterungen ab November die Rede. Und die Beitrittsgespräche bekommen zusätzlichen Schwung.

Ganz so überraschend dürfte dieser Katalog zumindest für Merkel nicht gekommen sein. Schon am Sonntag, so heißt es in Brüssel, habe der türkische Premier bei einem immerhin fünfeinhalb Stunden dauernden Gespräch die Stichworte „auf einem kleinen Zettel“ eingebracht. Mehr noch: Ein nahezu identisches Konzept geisterte schon im vergangenen Herbst durch Berlin, herausgegeben von einer politischen Stiftung, aber unter dem Stichwort „Merkel-Plan“.

Ahmet Davutoglu
Ahmet Davutoglu
Foto: dpa

Kein Wunder, dass sich in Brüssel (gegen hartnäckige Dementis des Kanzleramtes) hartnäckig Spekulationen halten, dass die Davutoglu-Liste zumindest mit Wissen und Unterstützung Merkels präsentiert worden ist. Zumal die Kooperation mit Ankara immer so etwas wie das Schlüsselelement in der Konzeption der Berliner Regierungschefin war. Merkel stellte allerdings in der Nacht noch einmal klar, dass zumindest eine Erwartung Ankaras auf die lange Bank geschoben wird: „Die Beitrittsfrage stellt sich nicht.“

UN-Generalsekretär lobt die Kanzlerin

Trotz aller Harmonie drohten die Beratungen zwischendurch zeitweise zu scheitern. Denn nicht nur Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi forderte in deutlichen Worten eine Verurteilung der Türkei wegen der jüngsten Attacken auf die Pressefreiheit. Am Ende blieb es allerdings bei der schmucklosen Formulierung im Schlussdokument, es habe eine „Diskussion über die Situation der Medien in der Türkei“ gegeben. Den neuen Partner wollte man sich dann doch nicht gleich wieder vergraulen. Und so konnte Ratspräsident Donald Tusk am Ende des Gipfels feststellen: „Die Tage irregulärer Einwanderung sind vorüber.“ Die Details folgen am Donnerstag und Freitag nächster Woche. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ist jedenfalls voll des Lobes. Merkel sei „eine wahre moralische Stimme – nicht nur in Europa, sondern in der Welt insgesamt“, sagte der 71-Jährige in Berlin.

Detlef Drewes, dpa