Berlin

Erstes Amtsjahr: Joachim Gauck hinterließ wenig Spuren

Bundespräsident Joachim Gauck wird den heutigen ersten Jahrestag seiner Amtszeit in Afrika begehen. Am Sonntagabend schon ist er in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba gelandet, heute Morgen trifft er dort mit Präsident Girma Wolde-Giorgis zusammen. Danach gibt es weitere Termine, viele Gespräche, es ist ein ganz normaler Staatsbesuch, wie ein Bundespräsident viele absolviert.

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Es ist seine erste Reise auf den Kontinent. Feiern will er den Jahrestag selbst nicht, hatte es vorher in seinem Umfeld geheißen. Das sei zu früh und im Übrigen ja auch noch gar kein echtes Jubiläum. Der Bundespräsident wird mit sich außerdem auch noch nicht ganz zufrieden sein. Nicht alles, was er in diesem ersten Jahr seit dem 18. März 2012 anpackte, wollte gelingen.

Mit seinen Herzensanliegen, der Freiheit, dringt er nicht immer durch. Die Erwartungen an ihn waren von Anfang an hoch. Denn Gauck trat vor einem Jahr, als die mehr als 1200 Wahlleute der Bundesversammlung ihn mit großer Mehrheit im ersten Wahlgang zum neuen Staatsoberhaupt kürten, kein leichtes Erbe an.

Sein Vor-Vorgänger, der Ökonom und frühere Direktor des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler, trat überraschend von seinem Amt zurück, nachdem er für ein Radiointerview, in dem er Auslandseinsätze zur Sicherung von Handelswegen verteidigte, heftig kritisiert worden war. Er vermisste daraufhin „den notwendigen Respekt für mein Amt“.

Nur eineinhalb Jahre später müssen Christian und Bettina Wulff das Schloss Bellevue verlassen. Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Vorteilsnahme im Amt. Wulff ist nicht zu halten. Das Amt selbst steckt in einer Sinnkrise: Was ist von einem Bundespräsidenten überhaupt zu erwarten? Wie weit reicht seine Autorität noch? Noch nie stand das höchste Amt im Staat derart infrage.

Es ist die Gelegenheit, einen Staatsmann neuen Typs zu erfinden. Gauck ist nicht die erste Wahl der Bundeskanzlerin, mit energischem Zutun der FDP aber wird er doch der Kandidat eines breiten Bündnisses. CDU, SPD, Grüne und Liberale stehen schließlich mehrheitlich hinter ihm.

Die Stimmung im Volk ist klar: Man hat genug von Strategiespielen um das höchste Amt im Staat. Kein altgedienter Politiker soll den Posten haben. Ein „Bürger“ soll es werden. Von Parteifunktionären hat man genug.

Gaucks erster Auftritt fällt dann auch gleich aus dem üblichen Rahmen: Er entschuldigt sich dafür, dass er „ungewaschen“ zur Pressekonferenz erscheint, bei der seine Kandidatur verkündet wird. Es kam alles so plötzlich. Ihm schlägt jedoch eine Welle der Sympathie aus der Bevölkerung entgegen. Endlich einer, der unsere Sprache spricht, meinen die einen. Endlich einer, der wirklich etwas zu sagen hat, versprechen sich die anderen. „Was für ein schöner Sonntag“, beginnt Gauck am 18. März seine Rede als neuer Bundespräsident.

Der frühere Pfarrer aus Rostock und spätere Leiter der Stasi- Unterlagenbehörde kündigt an, seine Lebensthemen Freiheit und Streben nach Demokratie auch zum Thema seiner Amtszeit machen zu wollen. Er will auch vermitteln zwischen Politik und Bürger, Gräben zuschütten. Er fordert den „mündigen Bürger“. Seine ersten Auftritte jedoch gelingen nicht ganz.

Einmal sagt er indirekt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts voraus, was im politischen Betrieb als anmaßend empfunden wird. Dann widerspricht er bei seinem Israel- Besuch der Bundeskanzlerin, was als überzogene Einmischung in die aktive Politik gedeutet wird. Das ging nicht spurlos an ihm vorüber: Gauck ist ein Jahr nach Beginn seiner Amtszeit deutlich vorsichtiger geworden, wägt seine Worte sehr viel mehr als zuvor.

Er achtet die Spielregeln. Die Sorge darüber, dass er dabei seine Ecken und Kanten verlieren und nicht mehr gehört werden könnte, dass er das große Versprechen, der sichtbare Präsident der Bürger zu sein, nicht halten könnte, treibt ihn allerdings merklich um.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann