Paris/Albertville

Ermittlungen: Schumacher war nicht zu flott unterwegs

Staatsanwalt Patrick Quincy ist ein Experte auf seinem Gebiet. 24 Jahre Berufserfahrung hat der Jurist hinter sich. In den Bergen kennt er sich bestens aus. Über das „Tiefschneefahren und die strafrechtliche Verantwortung“ hat der 62-Jährige ein Buch und einen Film herausgebracht.

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Von unserer Frankreich-Korrespondentin Sylvie Stephan

Dieses ältere Foto zeigt Michael Schumacher beim Skisport in den italienischen Alpen.
Dieses ältere Foto zeigt Michael Schumacher beim Skisport in den italienischen Alpen.
Foto: DPA

Als Quincy den Saal im ersten Stock des Justizpalasts von Albertville betritt und vor Dutzenden Journalisten erste Erkenntnisse zum Skiunfall von Michael Schumacher vorstellt, gibt er sich in juristischen Fragen denn auch sehr eloquent. Andere drängende Fragen bleiben offen. Klar ist nur: Der ehemalige Formel-1-Pilot war zwar im Tiefschnee, aber offenbar doch nicht zu schnell unterwegs.

Schumacher stürzte außerhalb der markierten Piste gegen einen Fels

Gleich zu Beginn stellt der Staatsanwalt klar, dass das Unglück für ihn und die beteiligten Ermittler nichts Außergewöhnliches ist: „Wir erleben jedes Jahr rund 50 solch schwerer Skiunfälle“, sagt er und versichert, dass die Experten alle Fälle „mit größter Sorgfalt und höchsten Ansprüchen“ behandeln. Die Ermittlungen sind „gut vorangekommen“, könnten sich aber noch über Wochen hinziehen, warnt der Jurist mit der kahlen Stirn und den grau melierten Schläfen und blickt über den Mikrofonwald hinweg in den vollen Gerichtssaal, bevor er schließlich zu den Fakten kommt.

Als Schumacher am Vormittag des 29. Dezember im Skigebiet von Méribel am 2738 Meter hohen Berg Saulire unterwegs ist, entscheidet er sich Quincy zufolge bewusst, in einen Abschnitt zwischen zwei präparierten Pisten einzufahren. Schumacher verlässt die rote, mittelschwere Piste Chamois, „überschreitet die Begrenzungslatten und befindet sich damit außerhalb der markierten Piste“. Eine Weile soll er drei bis sechs Meter abseits der Piste gefahren sein.

Dann „blieb er mit seinen Skiern an einem Felsen hängen, verlor das Gleichgewicht, stürzte vornüber und prallte mit seinem Kopf auf einen zweiten, dreieinhalb Meter tiefer gelegenen Felsen“. Spekulationen, wonach die Piste möglicherweise nicht ausreichend markiert gewesen sei, weist der Staatsanwalt zurück: „Die Markierung der Pisten entspricht den geltenden Normen“, versichert er.

Die Frage ist mit Blick auf mögliche Schadensersatzforderungen wichtig. Im Falle eines Regelverstoßes hätten die Verantwortlichen des Skigebiets zur Rechnung gezogen werden können. Auch die von Schumacher geliehene Skiausrüstung spielte bei dem Unfall offenbar keine Rolle: „Die Skier waren im perfekten Zustand, fast neu“, erklärt der Kommandant der Gebirgsgendarmerie Savoyen, Stéphane Bozon. Zuvor hatten Medien berichtet, dass sich möglicherweise eine Skibindung nicht geöffnet hat. Bleibt also die Frage nach der Geschwindigkeit.

Vor allem in französischen Medien war der Eindruck erweckt worden, als sei der siebenfache Formel-1-Weltmeister auch auf der Skipiste flott unterwegs gewesen. Das schien sich zunächst mit den Angaben der Ärzte in Grenoble zu decken, die Schumacher wegen seines schweren Schädel-Hirn-Traumas operiert und von einem „Aufprall mit hoher Geschwindigkeit“ gesprochen hatten. Schumachers Managerin Sabine Kehm erklärte dagegen, er sei „nicht allzu schnell“ gefahren.

Die Ermittler in Albertville äußern sich vorsichtig zu dieser Frage und wollen sich nicht genau festlegen. Es sei schwierig, die genaue Geschwindigkeit zu ermitteln, sagt Quincy. Diese spiele bei den Ermittlungen auch „keine besondere Rolle“. Erst nach mehrmaligem Nachfragen erklärt Gendarmerie- Vertreter Bozon schließlich: „Schumacher fuhr als guter Skifahrer für diese Art von Gelände auf absolut normale Weise“, er habe sein Tempo mit kleinen Schwüngen zu kontrollieren versucht.

Genauere Erkenntnisse erhoffen sich die Ermittler von der Helmkamera, die Schumacher am Unglückstag trug. Das rund zwei Minuten lange Video wurde bereits gesichtet, müsse aber „Sequenz für Sequenz, Bild für Bild“ ausgewertet werden.

Zweifel an Existenz eines weiteren Smartphone-Videos

Unklar ist dagegen, ob Schumacher die Piste verlassen hat, um einer verunglückten Freundin seines Sohns Mick (14) zu helfen. Das hatte Schumachers Managerin angegeben. In Albertville heißt es dagegen, die Ermittler hätten keinerlei Informationen in dieser Richtung. Auch auf den Aufnahmen von Schumachers Helmkamera ist nichts zu sehen, sagt Quincy.

Er räumt aber ein, dass das Sichtfeld sehr eingeschränkt sei. Mysteriös bleibt auch ein mögliches zweites Video, das ein deutscher Tourist mit seinem Smartphone gedreht haben soll. Der „Spiegel“ hatte berichtet, ein Steward habe seine Freundin und dabei zufällig auch Schumachers Unfall gefilmt. „Wir haben dieses Video nicht“, erklärt der Staatsanwalt, um schließlich anzufügen: „Ich persönlich habe große Zweifel in dieser Sache.“

Zum Gesundheitszustand Michael Schumachers gab es keine neuen Erkenntnisse. Er liegt nach wie vor in der Universitätsklinik von Grenoble im künstlichen Koma und ist noch immer nicht außer Lebensgefahr. Seit mehr als einer Woche war der helle Betonkomplex mit 2200 Betten von Hunderten internationalen Medienvertretern umlagert worden.

Am Dienstag hatte Schumachers Ehefrau Corinna die Journalisten aufgefordert, die Privatsphäre zu respektieren und die Klinik zu verlassen. Danach war der Medienpulk weitergezogen – zum Gerichtsgebäude im rund 80 Kilometer entfernten Albertville.