Endlager-Suche: Zurück auf Los

Hoch radioaktive Abfälle sind im atomaren Zwischenlager in Gorleben untergebracht - werden sie ganz in der Nähe auch auf ewige Zeiten "begraben"? Die Debatte ist neu entbrannt.
Hoch radioaktive Abfälle sind im atomaren Zwischenlager in Gorleben untergebracht - werden sie ganz in der Nähe auch auf ewige Zeiten "begraben"? Die Debatte ist neu entbrannt. Foto: dpa

Plötzlich ist die Landkarte wieder weiß. Es ist für die deutsche Atomgeschichte eine kleine Revolution, die Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) am Freitag zu verkünden hat.

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Plötzlich ist die Landkarte wieder weiß. Es ist für die deutsche Atomgeschichte eine kleine Revolution, die Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) am Freitag zu verkünden hat.

„Wir sind uns einig, dass diese Verantwortung nicht ins Ausland abgeschoben wird“, betont Röttgen mit Blick auf 29 000 Tonnen hoch radioaktiven Mülls aus deutschen Atommeilern. „Es gibt eine weiße Landkarte, kein Tabu“, sagt er. Das bedeutet: Bundesweit wird wohl bald nach einem geeigneten Endlager gesucht.

35 Jahre lang galt der Salzstock im niedersächsischen Gorleben gerade bei Union und FDP als alternativlos. Nun aber haben sich Vertreter der 16 Bundesländer in Röttgens Haus dazu bereit erklärt, zurück auf Los zu gehen. Selbst die Bayern, die jahrelang mantraartig wiederholt hatten, bei ihnen gebe es keine geeigneten Standorte, rücken nun vom Credo ab, dass Gorleben schon irgendwie passen werde. „Die Geologie ist das Entscheidende, nicht die Geografie“, betont Umweltminister Marcel Huber (CSU) jetzt und ergänzt mit Blick auf die weiße Landkarte: „Bayern ist stolz, zur bundesdeutschen Landkarte zu gehören.“

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU), der mit dem für Sommer 2012 geplanten Endlagersuchgesetz rechtzeitig vor der Landtagswahl 2013 das Gorleben-Dilemma etwas entschärfen könnte, betont: „Wir müssen in jedem Fall ergebnisoffen und ohne Vorfestlegungen in diesen Prozess hineingehen.“ Es geht hier nicht mehr um Geografie und Ideologie. „Wir sollten diese möglicherweise nur einmal vorhandene Chance zum Konsens bei der Endlagerung auch nutzen.“ Zu klären sei auch, ob der Müll in Salz oder Ton gelagert werden soll, in tiefen Schichten oder nicht – und ob er notfalls rückholbar sein soll.

Doch eines macht Röttgen auch klar: Gorleben wird trotzdem weitererkundet. Das löst bei SPD, Grünen, Linken und Atomgegnern starken Protest aus. Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die den Widerstand gegen Gorleben organisiert, hält den Neustart ohne Stopp für Gorleben für höchst unehrlich. Es sei ohnehin schon viel Zeit verschenkt worden: „Pünktlich zum Karnevalsbeginn verkündet der Bundesumweltminister, dass er bis heute untätig geblieben ist, um die Endlagerfrage neu anzugehen.“

„Es gibt eine weiße Landkarte, kein Tabu.“

Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU)

Kritiker fürchten, ohne Erkundungsstopp lande man am Ende wieder bei Gorleben. Jeder Vergleich müsse hinken, da in Gorleben bereits 1,6 Milliarden Euro investiert worden sind. Ein fehlendes Deckgebirge und damit drohende Wassereintritte sowie Gasvorkommen machen Gorleben aus Sicht der Gegner zu einer schlechten Wahl. Röttgen will nicht schätzen, wie lange es bis zum Endlager dauern wird – das Bundesamt für Strahlenschutz rechnet jetzt schon damit, dass Deutschland nicht vor 2035 ein Endlager haben wird.

Egal, ob Gorleben am Ende noch dabei ist oder nicht: Es soll auf jeden Fall eine Entscheidung zwischen den beiden besten Standorten geben. Die Bürger sollen von Anfang an eingebunden werden, zudem soll das Endlager nach höchsten wissenschaftlichen Kriterien ausgesucht werden. Die Schweiz macht ein ähnliches Verfahren, etwa 2020 stimmt dort das Volk über das Endlager ab.

Just auf den Tag genau vor 35 Jahren war bei einem Treffen von Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) mit den Bundesministern Hans Friderichs (Wirtschaft/FDP), Hans Matthöfer (Forschung/SPD) und Werner Maihofer (Innen/FDP) am 11. November 1976 das an der Grenze zur DDR gelegene Gorleben aus dem Hut gezaubert worden – obwohl andere Standorte favorisiert worden waren. Der 11. November 2011 markiert nun ein vorsichtiges Abrücken von Gorleben.

Matthias Edler von Greenpeace hat Hunderte Akten ausgewertet und geht fest von einer politischen Beeinflussung aus, damit Gorleben als bisher einzige Option durchgesetzt werden konnte. Ein Abteilungsleiter in Niedersachsens Wirtschaftsministerium habe damals wegen geplanter Milliardeninvestitionen der Atombranche von der letzten Chance für die arme Region Lüchow-Dannenberg gesprochen.

Niedersachsens Problem: Bei einem Neustart könnte statt Gorleben ein anderer Ort in dem Bundesland ausgewählt werden. Nach Studien der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe liegen in Niedersachsen mit Abstand die meisten möglichen Standortgebiete. Für Umweltminister Hans Heinrich Sander (FDP) kämen als Alternative Bunker oder stillgelegte Atomkraftwerke als Lager infrage. Bei der Einlagerung müsse man nach dem Verursacherprinzip von Atommüll vorgehen. „Dann wären auch Bayern, Baden-Württemberg und Hessen als Standorte gefragt“, sagt er. Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sieht dabei allerdings „eklatante Sicherheitsgefahren“.

Georg Ismar