Berlin

Eine Verhöhnung der etablierten Parteien

Das Wahlergebnis in Berlin spiegelt ein ernsthaftes Problem der Demokratie wider. Nachdem schon in Mecklenburg-Vorpommern nur mehr knapp die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgab, schreibt Berlin den steigenden Unwillen des Wahlvolks, bei der Politik im Land mitzureden, weiter fort.

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Berlin – Das Wahlergebnis in Berlin spiegelt ein ernsthaftes Problem der Demokratie wider.

Nachdem schon in Mecklenburg-Vorpommern nur mehr knapp die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgab, schreibt Berlin den steigenden Unwillen des Wahlvolks, bei der Politik im Land mitzureden, weiter fort. Schuld daran ist zum großen Teil eine Politik, der der Mut fehlt, drängende Probleme auf ihre Agenda zu setzen und unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Lieber fängt man Emotionen ein, spricht dem Wahlvolk nach dem Mund und bleibt im Ungefähren, wo es konkreter Lösungen bedürfte. Nirgendwo wurde dies offensichtlicher als in den vergangenen Monaten des Wahlkampfs in Berlin.

Eine vor einem Jahr noch höchst motivierte und gewohnt kratzbürstige Renate Künast wollte Berlin zu Arbeitsplätzen verhelfen, indem sie die Hauptstadt zum Umwelttechnologie- und Klimastandort machen wollte. Während alle Bundesländer ihre Arbeitslosigkeit im Wirtschaftsboom ordentlich herunterfahren konnten, gelang dies in Berlin kaum. Ein weiteres Thema, bei dem es einer klaren Richtung bedürfte, ist die Bildung. In schöner Regelmäßigkeit zählt das Land Berlin in nationalen Vergleichen zu den Schlusslichtern. Künast legte auch hier den Finger in die Wunde. In den letzten Wochen jedoch las man ihren Slogan „Da müssen wir ran“ seltener. Stattdessen hieß es plötzlich „Berlin gewinnt“. Das ist zu begreifen als Pendant zu Wowereits inhaltsleerer Floskel „Berlin verstehen“. Emotionen statt Themen, Persönlichkeiten statt Ideen. Künast hat den Kampf um das bessere Konzept zugunsten eines Bauchgefühls aufgegeben. Und das in einer Stadt, die mit 63 Milliarden Euro Schulden am Rande der Handlungsunfähigkeit steht.

Wer von dieser inhaltlichen Ödnis bei den Großen profitierte, ist die Piratenpartei. Ihr Spitzenkandidat, der den Schuldenstand der Stadt in einer öffentlichen Runde auf „viele Millionen“ schätzte, sprich: keine Ahnung hatte, will ein Schulfach „Rauschmittelkunde“ einführen, freien Internetzugang für alle, ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden und kostenloses U-Bahn-Fahren. Wäre die Lage im Land nicht so ernst, könnte man den Erfolg der Piraten unter „Berliner Spezialitäten“ verbuchen. Nach dem Motto: In der Hauptstadt ticken die Uhren eben ein wenig anders.

Eigentlich aber kommt der Piraten-Sieg einer Verhöhnung der etablierten Parteien gleich. Außer den Piraten hat nach dieser Wahl deshalb niemand etwas zu feiern, am allerwenigsten die FDP. Rena Lehmann