Diese Folgen hat der Klimavertrag: Auch Deutschland muss sich anstregen – Autofahrer belastet?

Zum Schluss half auch noch der Papst. Franziskus ist am vergangenen frühen Samstagabend aus einer Messe gerufen worden, um ein Desaster zu verhindern. Der Pontifex, der sich mit seiner Umweltenzyklika selbst als oberster Klimaschützer positioniert hat, griff zum Telefonhörer und rief in Managua an, der Hauptstadt Nicaraguas. Denn an dem kleinen lateinamerikanischen Land wäre um ein Haar der fertige Weltklimavertrag noch gescheitert.

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Erst nach dem Anruf des Papstes konnten die 196 Staaten in Paris mit eineinhalbstündiger Verzögerung den historischen Vertrag beschließen. Nicaragua hatte seinen Widerstand aufgegeben. Quergestellt hatte sich dieses Land, weil der Weltklimavertrag erstmals nicht nur Industrie-, sondern auch Entwicklungsländern erhebliche Anstrengungen zur Reduzierung gefährlicher Treibhausgase abverlangt, um die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen. Doch gerade das Ende der Aufteilung der Welt in arme und reiche Länder beim Klimaschutz macht diesen Vertrag so zukunftsweisend. Allerdings werden die Industrieländer früher und durchgreifender ihren CO2-Ausstoß reduzieren müssen – auch Deutschland. Wir beantworten wichtige Fragen:

Was bedeutet der Klimavertrag für Deutschland insgesamt?

Wie 185 andere Staaten hat auch die Bundesrepublik in Paris ein nationales Konzept zur Reduzierung seiner Treibhausgase vorgelegt. Dabei konnte Berlin auf ehrgeizige Ziele der Energiewende-Gesetze zurückgreifen, die längst beschlossen sind. Darin steht etwa, dass Deutschland seinen CO2-Ausstoß bis 2050 um 95 Prozent und bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zurückfahren will. Stand heute sind aber erst knapp 30 Prozent erreicht. Der Ausbau der erneuerbaren Energien ging zwar schneller als erwartet voran, zugleich aber setzte die Energiewirtschaft mehr giftige Kohle zur Stromerzeugung ein. Zudem hakt es bei der Energieeffizienz im Gebäude- und Verkehrssektor. Deutschland wird also neu durchstarten müssen, damit es seine ehrgeizigen Ziele schafft. Ein Zurückdrehen der Ziele ist nach diesem Klimavertrag nicht mehr möglich.

Was kommt auf die deutschen Autofahrer zu?

Niemand wird zum Sprit- oder Schadstoffsparen gezwungen. Um aber die nationalen Ziele zu erreichen, sind neue positive und negative staatliche Anreize auch im Verkehrssektor zu erwarten. So dürften Autos mit starken Motoren und hohen CO2-Werten steuerlich nochmals teurer werden. Zudem sind Prämien für den Kauf von E-Autos zu erwarten, denn die Zahl der auf deutschen Straßen fahrenden Elektroautos liegt mit nicht einmal einer Million deutlich hinter den Erwartungen. „Damit die Verkehrswende gelingt, sind vor allem staatliche Anreize wichtig. Kaufanreize für Elektroautos sind für bestimmte Käuferschichten besonders in Ballungszentren sicher interessant“, sagte Ingmar Streese vom Bundesverband Verbraucherzentrale. Auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sprach sich erneut dafür aus.

Worauf müssen sich Mieter und Hauseigentümer einstellen?

Bisher schon bezuschusst der Staat energieeffizientes Bauen und Sanieren. Allerdings braucht es hier zusätzlichen Schub, denn auch die energetische Gebäudesanierung liegt deutlich hinter dem Plan. Hemmend wirken die niedrigen Heizölpreise: Viele Immobilienbesitzer sehen deshalb von einer Erneuerung ihrer Heizungen ab. „Die derzeit niedrigen Preise dürfen nicht täuschen. Weltmarktpreise für Öl und Gas können stark schwanken. Wer sich bei der neuen Heizung jetzt noch für das fossile Zeitalter entscheidet, kann es später noch bereuen“, warnt Streese vom Bundesverband Verbraucherzentrale. In drei Jahren könnten die Preise deutlich steigen, die Heizung stehe aber für 20 Jahre.

Welche Folgen hat der Klimavertrag für die deutsche Wirtschaft?

Viele Wirtschaftsverbände befürchten Wettbewerbsnachteile gegenüber China, Indien oder anderen Schwellen- und Entwicklungsländern, die weniger ehrgeizige Pläne zur CO2-Reduktion vorgelegt haben. Demgegenüber eröffnet der neue Schub beim Klimaschutz gerade für deutsche Technologieunternehmen enorme Exportmöglichkeiten.

Was kommt auf die Energiewirtschaft zu?

Hendricks will den Umbau weg von den fossilen Brennstoffen, hin zu den erneuerbaren Energien nochmals beschleunigen. Sie strebt den Ausstieg aus der Braunkohle schon 2040 an, dagegen peilen die Industrie und das Land Nordrhein-Westfalen frühestens 2050 an. Ob sich Hendricks durchsetzen kann, wird entscheidend vom Rückhalt der Kanzlerin und des Vizekanzlers abhängen.

Foto: babimu – Fotolia

Wie muss sich der Strommix künftig ändern, um die Ziele zu erreichen?

Bei der Verfeuerung einer Tonne Braunkohle entsteht rund eine Tonne Kohlendioxid (CO2) – so viel wie bei keinem anderen Energieträger. Aber auch beim Einsatz von Steinkohle fällt viel CO2 an. Zur Einhaltung des Klimavertrags muss sich also der gesamte deutsche Strommix ändern. Denn alle Versuche, das CO2 abzuscheiden und zu vergraben, sind am Widerstand von Anwohnern der Lagerstätten gescheitert. Die Änderung des Strommixes ist eine gewaltige Aufgabe: Derzeit stammen 26 Prozent des deutschen Stroms aus Braunkohle, 18 Prozent aus Steinkohle.

Wie würde sich ein früherer Kohleausstieg auf die Stromriesen im Ruhrgebiet auswirken?

Die Braunkohle-Kraftwerke von RWE im rheinischen Revier zählen zu den größten Kohlendioxid-Emittenten in Europa. Intern spricht der RWE-Vorstand jedoch auch selbst von einem „Dying Business“, einem sterbenden Geschäft. Der zweitgrößte deutsche Energiekonzern erzeugt aber noch die Hälfte seines Stroms aus Stein- und Braunkohle, der Ökostromanteil liegt bei nur 5 Prozent. Beim Branchenprimus EON entfallen auf Kohle „nur“ 28 Prozent, der Ökostromanteil beträgt 15 Prozent. Unter dem Druck der großen Investoren wie dem Versicherer Allianz und dem norwegischen Staatsfonds, die sich von Kohleunternehmen abwenden, sind die Konzerne aber schon jetzt zu einem Kurswechsel gezwungen. RWE beschäftigt im rheinischen Revier noch 11 000 Mitarbeiter. Bis 2020 muss der Konzern bereits fünf Blöcke stilllegen, die in die Klimareserve gehen. Das wird etwa 800 bis 1000 Arbeitsplätze kosten.

Wer profitiert hierzulande von dem Klimavertrag?

Auch wenn sich das jetzt noch nicht in Zahlen fassen lässt: Positiv auswirken dürfte sich das Abkommen auf die Solarbranche, die Windkraftanlagen-Hersteller und alle Anbieter von „sauberer“ Anlagentechnik. Denn weil langfristig die Zahl der Staaten, die Klimaschutz betreiben, wachsen soll, steigt auch die Zahl ihrer potenziellen Kunden.

Birgit Marschall/Antje Höning/ Anne-Beatrice Clasmann