Die Industrieregion im Nordosten Ohios wählt traditionell Demokraten – Das ändert sich

Foto: Thomas Spang

Allan Banner (67) träumt von besseren Zeiten. Bevor es im Mahoning Valley richtig kalt wird, hofft der Bauarbeiter, für immer von seiner Dampfwalze zu klettern. Deshalb nimmt er jede Überstunde an, die dazu beiträgt, noch in diesem Jahr das Soll für den Ruhestand zu erfüllen. Dann will er mit Ehefrau Patricia (61) mit einem Camper die USA erkunden. „Der Rest der Welt interessiert mich weniger“, gesteht der gesprächige Trump-Anhänger.

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Unser Washingtoner Korrespondent Thomas Spang ist in den Mittleren Westen der USA nach Ohio gereist. Dort erfährt Trump derzeit große Zustimmung.

Läuft am 8. November alles nach Plan, wird Banners erste Reise im Januar zur Amtseinführung Donald Trumps nach Washington führen. Hinter seinem Pick-up-Truck will er den selbst gebauten „Make America Great Again“-Anhänger herziehen – „Macht Amerika wieder groß(artig)“, Trumps Wahlslogan.

Foto: Oakozhan – Fotol

Erstmals rollte der Anhänger bei der St.-Patrick's-Day-Parade durch die Straßen des Steel Valleys, des Tals des Stahls. Das war während der Vorwahlen, als Trump in der traditionellen Hochburg der Demokraten im Nordosten Ohios für massiven Zuwachs bei den Republikanern sorgte. Stolz berichtet der örtliche Parteichef von Trumbull County, Randy Law, die Zahl der Wähler habe sich etwa verdoppelt – darunter vor allem Nichtwähler, ein paar Tausend Überläufer und auch Gewerkschafter. „Das ist ein Tsunami hier“, sagt Randy Law, während er Mark Owen ein paar Werbeschilder für den Rasen aushändigt. Er ist überrascht, wie viele Gewerkschafter kommen, die sich von Trump angesprochen fühlen.

Das beobachtet auch Banner bei seinen Kollegen von der International Union of Operating Engineers Local 66, die ihren Führern diesmal den Rücken kehrten. „Die Leute zeigen mir viel öfter den ausgestreckten Daumen als den Mittelfinger, wenn ich mit meinem Anhänger durch die Straßen fahre.“

Eine absteigende Industrieregion

Der als Mr. Ohio bekannte Politologe John Green von der Universität von Akron bestätigt den enormen Zuspruch, den Trump unter weißen Arbeitern ohne College-Abschluss bekommt. Der Milliardär könnte in Ohio „bis zu zwei Drittel“ der Stimmen der ehemaligen Stahlarbeiter, Kohlekumpel und Autobauer holen. Ein wesentlicher Grund, warum Trump in dem sogenannten Swing State, einem Wechselwählerstaat, die Nase knapp vorn hat. Ohne diesen Staat ist noch kein Republikaner ins Weiße Haus eingezogen.

„Es gibt in diesem Wählersegment erhebliche Ressentiments“, sagt Green. Er attestiert Trump, mit seinem Slogan „Make America Great Again“ in den angeschlagenen Industrieregionen des sogenannten Rostgürtels – von Michigan über Ohio bis Pennsylvania – „einen Nerv getroffen zu haben“.

Das Mahoning-Tal im Nordosten Ohios ist so etwas wie „Ground Zero“ für das Ende der Industriekultur, die einmal die amerikanische Mittelklasse hervorbrachte. Entlang des Mahoning-Flusses reihten sich einst die Stahlfabriken wie Perlen an einer Schnur auf. Erst lieferten sie den Rohstoff für die Waffenproduktion im Zweiten Weltkrieg, dann für die Automobilindustrie.

„Sie konnten aus der Schule direkt in eine Fabrik gehen und gut bezahlte Arbeit finden“, erinnert sich Beinaherentner Banner, dessen Familie in der siebten Generation zwischen Youngstown und Warren siedelt. Seine Vorfahren lieferten das Holz für die Kohlengruben. Sein Großvater und Vater verdienten ihr Geld in der Stahlindustrie. Er selbst arbeitete als Landwirt, im Tagebau und dann im Baugewerbe.

Banners erster Job auf dem Bau war 1968 die Konstruktion eines Schmelzofens für das Unternehmen Youngstown Sheet and Tube. „Arbeit gab es satt“, erinnert er sich an die Tage, als der Stahl den nächtlichen Himmel feuerrot erleuchtete und so viele Menschen hierhin zogen, dass es nicht genügend Wohnraum gab. Youngstown wuchs zu einer wohlhabenden Stadt mit 165 000 Einwohnern an. Es gab vornehme Kaufhäuser, gute Schulen, einen Vergnügungspark und eine Straßenbahn. Frank Sinatra und Dean Martin gehörten zu den vielen Stars, die hier regelmäßig auftraten. „Wir haben den amerikanischen Traum gelebt“, schwärmt Banner.

Die goldenen Zeiten endeten an einem düsteren Septembertag 1977, der sich als „schwarzer Montag“ in das kollektive Gedächtnis des Steel Valley eingegraben hat. „Ich kann mich genau an die Ankündigung von Republic Steel erinnern, an einem einzigen Tag 7000 Stahlwerker zu entlassen.“ Ausländische Konkurrenz, hohe Produktionskosten und sinkende Nachfrage hatten das Aus gebracht. Und das war nur der Anfang. In den nächsten fünf Jahren verlor die Region mehr als 50 000 Jobs. Fast jeder Vierte hatte plötzlich keine Arbeit mehr. Banner hatte Glück im Unglück. „Mein letzter Job für die Branche bestand 1983 darin, denselben Ofen abzureißen, den ich damals gebaut hatte.“

Seitdem hat sich der Nordosten Ohios nie wieder erholt. In seiner bitteren Ballade „Youngstown“ besang Bruce Springsteen, wie der Vater seines Protagonisten die Hochöfen für „heißer als die Hölle hielt“, die den Stahl für „die Panzer und Bomben“ lieferten, die „in den Kriegen dieses Landes siegten“. Die Söhne seien auf den Schlachtfeldern Koreas und Vietnams gestorben, und jetzt fragten sich die Leute „warum“.

Der Arbeiterforscher und Mitautor des Buchs „Steeltown U.S.A“, John Russo, verfolgt eine Geschichte des Abstiegs, die von Protest über Ohnmacht bis hin zu Ressentiments führte. „In den drei Jahren nach der großen Rezession 2008 verlor Youngstown 22 000 Jobs, mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt.“ Die Stadt schrumpfte auf 65 000 Menschen zusammen. Deindustrialisierung und Entvölkerung sind die Kehrseiten ein und derselben Medaille.

Wie der amerikanische Traum mit der Industriekultur zum Leben kam, verschwindet er mit deren Weggang. An seine Stelle tritt Unsicherheit, die Trump in diesem Wahlkampf geschickt ausbeutet. „Er spricht damit nicht nur die Arbeiter an“, gibt Russo zu bedenken. Der Autor findet es ironisch, dass die beiden treibenden Kräfte von Privatisierung und Globalisierung, Großbritannien und die USA, als erste die Konsequenzen zu spüren bekommen. „Viele fürchten, Privilegien zu verlieren, oder sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder.“

Don Skowron (67) gehört dazu. „Das ist nicht mehr das Amerika, in dem ich aufwuchs“, klagt der pensionierte Polizist, der eine Hypothek auf sein bereits abbezahltes Haus aufnahm, um die Ausbildung seiner drei Kinder zu zahlen. „Wir hungern nicht, müssen aber den Gürtel enger schnallen“, erzählt Skowron, der sich seit Jahren keinen Urlaub mehr leistet. Das Problem sei die Regierung, die mit ihren Umweltauflagen und Steuern das Wachstum hemme. Und die Einwanderer, „die sich hier reinschleichen und auf unsere Kosten leben“.

Während der Katholik im Wahlkampfbüro von Mahoning County ein „Pro-Life for Trump“-Schild malt („Gegen Abtreibung, für Trump“), klagt er über seine Kirche, die bis zu 50 Flüchtlinge aus dem Kongo und Syrien in Youngstown ansiedeln möchte. „Warum bekommen die alles umsonst“, beschwert sich Skowron, der es in seiner Wut mit den Fakten nicht so genau nimmt. „Ich habe 15 Jahre für das College meiner Kinder gespart und muss noch sieben Jahre zahlen.“ Trump werde damit Schluss machen.

Da ist sich auch sein Freund Ty Everhard (66) sicher. „Die Mauer wird kommen“, meint der ehemalige Stahlwerker, der stolz einen Stein zeigt, der die Unterschrift Trumps trägt. Er ist Teil der Mauer, den die Trump-Anhänger auf der Herbstkirmes von Canfield errichtet haben. Für 5 Dollar konnten Besucher des Jahrmarkts einen roten Ziegel mit Namen erwerben, für 20 Dollar gab es sogar einen goldenen. Es kamen rund 8000 Dollar zusammen.

Der Autor Russo glaubt, dass sich die Fremdenfeindlichkeit aus derselben Quelle speist wie die Wut auf den Freihandel und die Eliten. „Das ist die Politik der Ressentiments, die nicht nur unter Arbeitern verbreitet ist.“ Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass Trumps Anhänger älter, weißer und im Schnitt wohlhabender sind als der Rest der Bevölkerung.

Youngstowns Bürgermeister John McNally (47) ist besorgt über das Mob-Klima, das der Rechtspopulist erzeugt hat. In seinem Büro zitiert er aus Drohungen, die er im Internet auf Twitter mitten in der Nacht erhielt, weil er die Ansiedlung der Flüchtlinge unterstützt. „Wo sollen wir hinkommen, um zu protestieren: vor dein Büro oder dein Haus?“, fragt der Schreiber und fügt mit drohendem Unterton hinzu: „Ich glaube, wir kommen besser zuerst zu deinem Haus.“

Der Demokrat McNally versteht die Wut auf Washington und hat auch kein Problem mit derber Sprache, die einst schon der demokratische Kongressabgeordnete Jim Traficant pflegte. Ein großspuriger Typ wie Trump, der seine Zuhörer nicht rätseln ließ, was er dachte. Doch Trump sei nicht Traficant, sondern vergifte das Klima. Umgekehrt habe Hillary Clinton nicht die Unterstützung, die Barack Obama in Youngstown genoss, sagt McNally. Sie sei unten durch, weil Ehemann Bill im Wahlkampf 1994 Tausende Jobs einer Verwaltungsbehörde in Aussicht gestellt habe, die anschließend nach Cleveland gingen. „Das haben die Leute ihm nie verziehen.“ Die frenetischen „Sperrt sie ein“-Rufe während der vier Trump-Kundgebungen im Nordosten Ohios demonstrieren die tiefe Abneigung gegen eine Kandidatin, in der viele die Verkörperung der technokratischen Eliten sehen.

Clinton punktet in reichen Vororten

Während Clinton im Mahoning Valley Schwäche zeigt, punktet sie bei den Frauen in den wohlhabenderen Vororten von Columbus und anderen Städten Ohios, die in der Vergangenheit moderate Republikaner wählten. „Es bilden sich neue Koalitionen“, beobachtet Politologe Green, der bei diesen Wahlen nicht nur in Ohio nachhaltige Verschiebungen in der Wählerschaft erwartet. Vieles davon hat mit dem demografischen Wandel zu tun, der die Dominanz der weißen Männer beenden wird. Der Census-Behörde zufolge kamen in den USA eine Woche vor der Ankündigung der Kandidatur Trumps erstmals mehr farbige Babys als weiße zur Welt. Schon bei diesen Wahlen wird es schwierig, ohne die 27 Millionen wahlberechtigten Latinos zu gewinnen.

Trump erweist sich als die Verkörperung der Prognose des Politologen Samuel Huntington, der 2004 in seinem Essay „Who Are We?“ („Wer sind wir?“) eine Bewegung wie die des Rechtspopulisten vorausgesagt hatte. Filmemacher Michael Moore stimmt in der Analyse mit dem kontroversen Wissenschaftler überein. „Acht Jahre Obama waren ein Tiefschlag für sie“, sagt er in „Trumpland“ über die Angst der weißen Männer. „Dass nun eine Frau gewählt werden könnte, macht sie ganz verrückt im Kopf.“ Eine in der „New York Times“ veröffentlichte Wahlkarte illustriert eindrucksvoll, wie die Präsidentschaftswahlen ausgingen, wenn nur weiße Männer abstimmen dürften. Trump würde mehr als 90 Prozent der Bundesstaaten gewinnen.

Beinaherentner Allan Banner kennt das Thema aus der eigenen Familie. Seine drei Töchter denken nicht im Traum daran, Trump zu wählen, Sohn Jeff schon eher. Ob es genug Wähler gibt, die empfinden wie er, könnte am Dienstag darüber entscheiden, ob der Mann ins Weiße Haus kommt, der verspricht, Amerika wieder großartig zu machen. Falls nicht, denkt Banner über eine andere Reise nach: Statt zum Amtsantritt nach Washington zu kommen, fantasiert er über die Flucht vor Clinton. Das Problem: wohin? Freunde von Banner wohnen schon jetzt in Mexiko. Dort können sie mit ihrer US-Rente bequemer leben.