Brüssel

Deshalb brauchen sich die beiden Länder

Von Detlef Drewes

Politisch mag zwischen Deutschland und der Türkei derzeit Eiszeit herrschen. Ökonomisch können sich die beiden langjährigen Partner einen Bruch eigentlich nicht leisten. Denn sowohl die Bundesrepublik als auch das Land am Bosporus profitieren seit Jahren voneinander. Besucher Istanbuls oder Ankaras kennen die Überraschung, wenn sie einen der vielen Shoppingtempel betreten. Tchibo und Saturn, Bauhaus und MediaMarkt, Deichmann, Rossmann und Real: Die deutschen Ketten sind längst in der Türkei vertreten. Schwarz-Rot-Gold ist der wichtigste Handelspartner Ankaras.

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2015 kaufte die Türkei für rund 22,4 Milliarden Euro hierzulande ein. Aber auch umgekehrt flossen 14,4 Milliarden Euro. Während die Kunden am Bosporus von deutschen Autos über pharmazeutische Produkte, Flugzeuge und Motoren nachfragten, bestellten die Deutschen Kfz-Zulieferer-Teile, Früchte und Nüsse. Ein besonderer Verkaufsschlager Ankaras sind T-Shirts und Hemden, für die hiesige Hersteller allein fast 3,2 Milliarden Euro auf den Tisch legten. Hersteller wie Boss und Adidas lassen am Bosporus nähen, weil dort die Lohnkosten niedrig sind. 6800 deutsche Unternehmen betreiben in der Türkei zumindest Filialen, wenn nicht sogar große Produktionsstätten. Und dabei ist ein zentraler Bereich noch gar nicht einbezogen, der für Ankara geradezu lebenswichtig ist: der Tourismus. 15 Prozent der Urlauber aus der Bundesrepublik buchten türkische Reiseziele, 5,5 Millionen Gäste waren es allein 2015 – ein Spitzenjahr. Doch zugleich zeigt kaum ein anderer Wirtschaftsbereich auch den Einbruch so deutlich. Nach den Anschlägen in Istanbul, dem gescheiterten Militärputsch mit den folgenden Verhaftungswellen brach die Zahl der Reisenden massiv ein. Auch beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) heißt es, dass die Geschäftsaussichten für alle Bereiche für 2017 „nur noch gedämpft positiv“ sind. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier: „Die Sicherheitslage erschwert die Reisetätigkeit von Wirtschaftsvertretern und verzögert die Durchführung von Projekten.“ Investoren scheuen politische Unsicherheiten. Insofern ist es die wenig verlässliche Politik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, die die Ökonomie des eigenen Landes in Gefahr bringt. Hinzu kamen Enteignungen von politisch oder religiös missliebigen türkischen Firmeninhabern, die undurchschaubare Strategie des Staatsoberhauptes, sich mal mit dem Westen und dann wieder mit Russland zu verbrüdern. Ergebnis: Im dritten Quartal des vergangenen Jahres schrumpfte die Wirtschaftsleistung der Türkei um 1,8 Prozent. Die türkische Lira stürzte regelrecht ab, die Inflationsrate hat zweistellige Höhen erreicht. Ankara braucht also eigentlich verlässliche Kunden. Die hätte man mit den deutschen Abnehmern, wenn die Politik diese nicht ständig vergraulen würde. Derzeit belegen hiesige Unternehmen bei den Direktinvestitionen am Bosporus Platz zehn. Sollte die aufkommende Unruhe zu mehr Zurückhaltung bei den Geldgebern führen, könnte Ankara den entstehenden Schaden kaum kurzfristig durch andere Finanzquellen decken. Insofern, so heißt es in Unternehmerkreisen, täte Erdogan eigentlich gut daran, seinem Land nicht weiter durch einen politischen Konfrontationskurs zu schaden. Denn genau das macht er gerade, obwohl die Arbeitslosenquote schon bei 12 Prozent liegt. Eigentlich müsste der Präsident alles tun, um für Ruhe und Verlässlichkeit zu stehen – und sei es nur im Sinne seines eigenen Landes.

Von unserem Brüsseler Korrespondenten Detlef Drewes