Der Unterschied: Verhältnisse bei Gabriel und Merkel nach Parteitagen

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel erklärt den Unterschied zwischen CDU und SPD gern mit einem kleinen Scherz. Er sagt dann: „Die wollen Macht haben, Sozialdemokraten wollen recht haben.“ Die Konsequenz aus dieser Haltung bekam Gabriel beim Parteitag in der vergangenen Woche zu spüren.

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Die Partei demontierte ihn mit einem Wiederwahlergebnis von 74,3 Prozent, obwohl er zwar nicht in allen politischen Fragen, aber doch im Amt des Parteichefs als unangefochten gilt.

Bei Merkel ist das genau umgekehrt: Noch nie gab es so viel öffentliche Kritik aus den eigenen Reihen an der Kanzlerin wie in der Flüchtlingskrise. Doch ihr Parteitag bescherte ihr eine Huldigung, bei der die Kommunistische Partei Chinas glatt neidisch werden könnte.

Verhältnisse verschoben

Die Parteitage von CDU und SPD haben die Verhältnisse für die Parteichefs in der Großen Koalition so verschoben, dass die künftige Zusammenarbeit komplizierter wird. Im Kabinett trifft nun eine gestärkte CDU-Chefin auf einen geschwächten SPD-Chef. Bislang waren für Gabriel – das Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag im Rücken – seine Partei und ihre Sensibilität ein gutes Druckmittel, sozialdemokratische Politik in der Großen Koalition umzusetzen. Nun ist offensichtlich, dass ein Viertel der Partei ihm trotz seiner Anstrengungen nicht folgt.

Damit ist Gabriel, bevor er als Kanzlerkandidat überhaupt starten konnte, schon das, was die Amerikaner eine „Lame Duck“, eine lahme Ente, nennen. Wenn er sich wieder ins Spiel bringen will, wird er in der Großen Koalition fleißig Punkte für die SPD sammeln müssen, ohne dabei den von ihm angestrebten Kurs der Mitte zu verlassen. Das ist doppelt schwer: Erstens hat sich die Kanzlerin in der Mitte und ein bisschen links davon derart breit gemacht, dass kein Platz mehr ist für Gabriel. Und zweitens kann man in der SPD mit den Themen Wirtschaftsfreundlichkeit und innerer Sicherheit nicht punkten.

Alternative gesucht

Von Gabriel sagen seine Leute, dass er immer dann besonders gut ist, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht. Doch nach den sechs Jahren im Tal der 25-Prozent-Umfragen und einem Parteitag wie eine Ohrfeige könnte auch einer wie Gabriel genug haben. Es gilt nicht als ausgeschlossen, dass er sich nach einer Alternative zu sich selbst als Kanzlerkandidat umsieht. Sein Freund Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, käme für 2017 am ehesten infrage. Zumal die Fraktionen im Europäischen Parlament verabredet hatten, dass sie Schulz nur für die halbe Amtszeit von zweieinhalb Jahren tragen. 2017 hätte er also Zeit für Wahlkampf.

Merkel macht schon seit zehn Jahren Politik gegen den konservativen Kern ihrer Partei: von Kitaplätzen bis Atomausstieg und vom Mindestlohn bis zur Flüchtlingskrise löst sie immer wieder Empörung in den eigenen Reihen aus. In der Frage, warum sie dennoch regelmäßig mit Traumergebnissen bei Parteitagen ausgestattet wird, kann man Gabriels Macht-Theorie folgen. Dieser Impuls der CDU, dass man die Person nicht beschädigt, die einem die Regierungsmacht beschert, wurde in Karlsruhe durch das Verhalten von CSU und SPD verstärkt. Die Delegierten hatten das Bedürfnis, Merkel gegenüber CSU-Chef Horst Seehofer zu stärken, der sie beim Parteitag der CSU auf offener Bühne gedemütigt hatte. Auch das Misstrauensvotum der SPD gegen ihren Parteichef war am Rande des Karlsruher Parteitag der CDU immer wieder Gesprächsthema. So sollte Merkel – trotz aller Kritik – nicht abgemeiert werden.

Die Chefin machte es ihrer CDU überdies leicht, sie abzufeiern. Merkel, die bislang den Ruf hatte, eine mäßige Rhetorikerin zu sein, hielt eine sehr gute Rede: Klug aufgebaut und mit viel Leidenschaft vorgetragen. Sie zog auch die großen Linien in der Politik, was sonst oft in ihren Reden fehlte.

Wieviel Frust erträgt die SPD?

Auch dies bei Gabriel umgekehrt: Er gilt als glänzender Redner, impulsiv, wortgewandt und witzig. Seine Parteitagsrede war auch gut, sie blieb aber hinter dem zurück, was er früher schon mal abgeliefert hatte. Und während die sonst so unentschlossene Merkel die Faust ballte für ihre Flüchtlingspolitik ohne Obergrenze, verlegte sich Gabriel auf Ausgewogenheit für den rechten und den linken Parteiflügel. Seine Botschaft für den Kurs der Mitte erhielt erst rhetorische Kontur, als das desaströse Wahlergebnis auf dem Tisch lag. Da stand er auf und befeuerte seinen Kurs der Mitte richtig. Für den Fortgang der Koalition wird es bedeutsam sein, wie viel Frust und Perspektivlosigkeit die SPD erträgt.

Für Gabriel ist bitter, dass er nach dem Ergebnis bei der Wiederwahl die SPD in der Flüchtlingskrise nicht mehr überzeugend als Stimme der Vernunft gegenüber Chaos und Kakofonie in der Union darstellen kann. Die Stärkung Merkels neben einem um Frieden bemühten Seehofer lässt die Union zudem geschlossener erscheinen. Eva Quadbeck