Der Roboter als Wahlkampfhelfer: Parteien reagieren gemischt

Lassen sich Menschen in ihrer Wahlentscheidung von Inhalten in sozialen Netzwerken beeinflussen? Die Wahrscheinlichkeit, dass das zumindest auf einen Teil der Wahlberechtigten in Deutschland zutrifft, ist sehr hoch. Schließlich hat sich ein beträchtlicher Teil täglicher Kommunikation ins Internet verlagert.

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So nutzt mittlerweile jeder zweite Deutsche den Chatdienst WhatsApp, jeder fünfte Bürger ist bei Facebook aktiv. Doch was ist, wenn die Bedeutung von Inhalten auf solchen Plattformen von Maschinen künstlich nach oben getrieben wird? Wenn im Wahlkampf auf einmal bestimmte Botschaften große Verbreitung erlangen, obwohl sie in der Realität vielleicht nur von wenigen Menschen geteilt und weitererzählt würden? Droht im anstehenden Bundestagswahlkampf also eine Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung?

Technisch möglich ist das zumindest, und zwar mithilfe sogenannter Social Bots – abgeleitet vom Wort „robots“. Sie erzeugen den Eindruck, als würden Menschen hinter Kommentaren bei Twitter, Facebook und Co stecken. Tatsächlich sind es jedoch Computer und künstlich erzeugte Identitäten samt Profilbild, die beispielsweise die Seiten oder Profile von Politikern mit Tausenden Kommentaren fluten.

Diese erhöhte Aufmerksamkeit zu bestimmten Themen oder Personen hat dann Auswirkungen auf die Algorithmen der sozialen Netze oder der Suchmaschinen. Die Resonanz kann so noch einmal um ein Vielfaches gesteigert werden. Kurz: Es entsteht möglicherweise viel Lärm um nichts. Oder: Die öffentliche Wahrnehmung, etwa zum Ausgang eines TV-Duells zwischen Politikern, wird dadurch in eine bestimmte Richtung beeinflusst.

Donald Trump bekommt gezielt Rückendeckung durch Bots

Zu beobachten war das zuletzt im US-Wahlkampf zwischen der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und ihrem republikanischen Herausforderer Donald Trump, wo solche Bots gezielt eingesetzt werden. Vor allem Trump hatte einer Studie zufolge Rückendeckung durch Bots auf dem Kurznachrichtendienst Twitter erhalten. Die Oxford University ermittelte, dass nach der ersten TV-Debatte am 26. September mehr als jeder dritte Tweet (37,2 Prozent) in Unterstützung von Trump von einem Software-Roboter abgesetzt worden war. Aber auch Clinton profitierte demnach von Bots. Bei ihr lag der künstlich generierte Anteil der Kommentare mit 22,3 Prozent zumindest etwas niedriger.

Welche Sorgen und potenzielle Gefahren erwachsen daraus? Laut den Forschern der Oxford University gibt es einen messbaren Effekt, dass sich Menschen in sozialen Netzwerken durchaus von einer hohen Anzahl von Likes oder Zustimmungen beeindrucken lassen – und dann leichter diese Meinungen für sich übernehmen. Die öffentliche Meinungsbildung kann demnach also durch reine Quantität von Inhalten oder Botschaften gesteuert werden. Damit verknüpft ist die Sorge im Westen, dass autoritäre Staaten wie Russland gezielt Einfluss auf den politischen Prozess in freien Demokratien nehmen könnten. So warfen die US-Geheimdienste Moskau nun erstmals offiziell vor, mit Hackerattacken direkt in den Wahlkampf in den USA einzugreifen. Zudem werfen europäische Dienste Russland vor, systematisch rechtsnationalistische Bewegungen in den EU-Staaten durch sogenannte Troll-Kommentare und Desinformationskampagnen zu fördern.

Medienberichte gingen um die Welt, wonach es in Russland sogar „Troll-Fabriken“ geben soll. Hunderte würden dort für Geld Kommentare im Sinn ihres Präsidenten Wladimir Putin schreiben – oder eben im Sinn begünstigter Organisationen im Ausland. „Social Bots“ sind nun die technische Weiterentwicklung solcher menschlichen Trolle – künstliche Intelligenz macht die Verbreitung schneller, günstiger und damit effizienter. Im Netz werden beispielsweise 10 000 künstlich erstellte Twitter-Konten als Follower für weniger als 500 US-Dollar angeboten.

Aber ist es wahrscheinlich, dass derlei Instrumente auch im anstehenden Bundestagswahlkampf zur Anwendung kommen werden? Die im Bundestag vertretenen Parteien sowie die FDP haben das bereits unisono abgelehnt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich zuvor besorgt gezeigt, dass dieser Trend auch nach Deutschland schwappen könnte. „Wollen wir mal zwischen den Parteien sprechen, ob wir gemeinsam dagegen kämpfen?“, fragte sie auf dem Deutschlandtag der Jungen Union.

Die AfD will jedoch durchaus zu dem Instrument greifen. „Selbstverständlich werden wir Social Bots in unsere Strategie im Bundestagswahlkampf einbeziehen“, sagte Bundesvorstandsmitglied Alice Weidel dem „Spiegel“. Und weiter: „Gerade für junge Parteien wie unsere sind Social-Media-Tools wichtige Instrumente, um unsere Positionen unter den Wählern zu verbreiten.“ Dafür erntete sie bereits herbe Kritik aus der SPD. „Mit der Ankündigung entlarvt sich die AfD mal wieder selbst“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Die AfD habe offenbar kein Vertrauen in die eigenen Inhalte, sonst müsse sie nicht auf die Manipulation der öffentlichen Meinung zurückgreifen, sagte Barley.

Stefan Heumann, Vorstandsmitglied der Stiftung Neue Verantwortung und Experte für Digitalpolitik, warnt davor, hysterisch auf das Phänomen Bots zu reagieren. Diese könnten nicht wählen gehen, sagte er. Dennoch bergen sie das Gefahrenpotenzial, Rechtspopulisten und deren Thesen von einer manipulierten Meinung in der Öffentlichkeit Vorschub zu leisten.

Gleichwohl kündigten alle Parteien an, im anstehenden Wahlkampf viel stärker auf das Internet und die Sozialen Netzwerke setzen zu wollen. „Die Grenzen zwischen Online und Offline lösen sich immer mehr auf, Kampagnen müssen beides miteinander verknüpfen“, sagte etwa CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Der Ausbau von Videoangeboten, zugeschnitten auf Soziale Netzwerke, gewinne an Bedeutung. Zudem deutete er an, mit dem Dienst Snapchat oder neuen Formaten wie Instagram Stories experimentieren zu wollen. Zudem werde es deutlich mehr Videokonferenzen mit CDU-Spitzenpolitikern geben, in die sich Bürger einwählen könnten, sagte Tauber.

Auch bei der SPD will man neben der Kommunikation über die Internetseite und andere gängige Kanäle wie Facebook und Twitter stärker auf Videos setzen und datenbasiert Wahlkampf betreiben. Nach Angaben eines Sprechers trage man wöchentlich zusammen, was in der Kommunikation der SPD funktioniert habe und was nicht. „So lernen wir zahlen- und datenbasiert, welche Formate, Botschaften und Themen funktionieren“, sagte er. Mittels eigener Analysewerkzeuge könne man die Inhalte dann immer zielgruppengenauer ausspielen.

Parteien könnten noch viel mehr über ihre Wähler wissen

Der Politikberater und Blogger Martin Fuchs sieht die Parteien damit auf dem richtigen Weg. Lücken gebe es jedoch noch viele: „Die deutschen Parteien könnten noch deutlich mehr über ihre Wähler und Anhänger wissen.“ Daten, die sie auf legalem Weg sammeln könnten, würden bisher unterschätzt. So verfügen die Parteien nach seiner Schätzung nur bei 30 Prozent ihrer Mitglieder über deren E-Mail-Adressen. Bei Mobilnummern sei der Anteil noch wesentlich geringer. Eine Ansprache etwa über WhatsApp sei so kaum möglich, während der Wahlkampf über den Chatdienst in den USA bereits eine große Rolle spiele.

Das Potenzial ist groß: Es gibt allein in der Bundesrepublik 38 Millionen WhatsApp-Nutzer. „Ich rechne fest damit, dass wir im nächsten Wahlkampf viel mehr digitale Maßnahmen der Parteien sehen werden“, sagte Fuchs. Er schätzt, dass die großen Parteien zwischen 15 und 20 Prozent ihres Wahlkampfbudgets in digitale Instrumente fließen lassen werden. „Das würde in etwa eine Verdreifachung zum vergangenen Wahlkampf bedeuten.“ Bisher kosteten die hiesigen Kampagnen rund 20 Millionen Euro – nicht zu vergleichen mit den 5,8 Milliarden Dollar, die der Wahlkampf zwischen Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney 2012 verschlang.

Fuchs sieht neben einem Mehr an Daten auch Chancen in der Onlinewerbung. „Eine geeignete Methode könnten Facebook-Anzeigen sein“, sagte er. Die jeweiligen politischen Botschaften dieser Anzeigen könnten zielgruppengenau versendet werden. Damit hätten Parteien direkten Einfluss auf die Algorithmen, die nicht unbedingt alle Botschaften auch an alle Fans ausspielen, sagte Fuchs. Durch Werbung und Vitalität könne die qualitative Reichweite von Postings erheblich gesteigert werden, erklärte der Experte. Klar sei aber, dass die Parteistrategen auch verstehen müssten, welche Menschen welche Kanäle nutzen. Facebook komme beispielsweise bei den Erstwählern kaum noch an.

Von Jan Drebes