Rheinland-Pfalz

Depression: Langes Warten auf Therapie

Von Christian Kunst
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Immer mehr seelisch Kranke bekommen in Rheinland-Pfalz keine zeitnahe Unterstützung durch einen Psychotherapeuten. Hintergrund ist, dass die Wartezeiten auf eine Therapie immer länger werden, beklagt der frisch gewählte Präsident der Landespsychotherapeutenkammer, Peter Brettle, im Gespräch mit unserer Zeitung.

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„Fakt ist, dass wir bei Psychotherapeuten immer noch, wenn auch nicht flächendeckend, eine Unterversorgung haben. Ich halte die bisherige Einschätzung unserer Kammer, dass wir Wartezeiten von mehr als zwölf Wochen haben, für eher optimistisch. Ich kenne Praxen, die Wartezeiten von einem halben oder einem Jahr haben. Das ist einfach zu lang.“ Besonders betroffen seien Westerwald, Eifel und Hunsrück. „Einige meiner Patienten haben eine Anfahrt von bis zu 80 Kilometern. Das halte ich für nicht zumutbar“, sagt Brettle, der in Wittlich (Kreis Bernkastel-Wittlich) als Psychotherapeut arbeitet.

Laut einer allerdings nicht repräsentativen Umfrage der „Zeit“ unter ihren Lesern aus dem Jahr 2014 warten 36 Prozent der befragten Rheinland-Pfälzer länger als sechs Monate auf eine Therapie, bundesweit waren es 35 Prozent. 45 Prozent der Rheinland-Pfälzer müssen sich bis zu drei Monate gedulden (Bund: 50 Prozent), nur 21 Prozent (25 Prozent) können in einem Zeitraum von einem Monat mit der Behandlung beginnen.

Kurios: Rheinland-Pfalz gilt nach Worten Brettles laut der geltenden Bedarfsplanung größtenteils als überversorgt mit Psychotherapeuten. „Wir haben aber keine Überversorgung. Solange noch Patienten monatelang auf Therapien warten, kann das nicht stimmen.“ Hintergrund ist, dass sich die Bedarfsplanung laut Brettle bis heute im Wesentlichen an Zahlen aus dem Jahr 1999 orientiert. Zwar hat ein Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses im Jahr 2013 dafür gesorgt, dass sich in Eifel, Hunsrück und Westerwald 74 neue Therapeuten ansiedeln konnten. Dennoch betont Brettle: „Wir haben eine Bedarfsplanung, die die Realität nicht abbildet, das aber auch gar nicht kann, weil sie auf falschen Zahlen beruht.“

In Schieflage bringt die Planung zudem, dass die zunehmende Zahl an Therapeuten unberücksichtigt bleibt, die von Kassen nicht offiziell zugelassen sind, deren Patienten die Kosten für die Therapie aber über das Prinzip der Kostenerstattung von ihren Versicherungen zurückerstattet bekommen. Laut Brettle halten die Kassen die Daten über diese Psychotherapeuten und ihre Patienten hinterm Berg. „Hier würde ich mir verlässliche Daten von den Kassen wünschen. Dann könnte eine zielgenauere Bedarfsplanung erstellt werden.“

Derweil greifen Patienten offenbar immer häufiger zu Psychopharmaka: So wurden im Jahr 2015 laut Techniker Krankenkasse doppelt so viele Medikamente wie 2006 verordnet. Auch für die Betriebe wächst das Problem: Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Leiden hat sich je TK-Versicherten in Rheinland-Pfalz von 1,46 Fehltagen im Jahr 2006 auf 2,74 Fehltagen im Jahr 2015 erhöht.

Von unserem Redakteur Christian Kunst

Experten beantworten Fragen zum Thema Depressionen

Für Betroffene selbst ist es oft schwer zu beurteilen, ob sie an einer behandlungsbedürftigen Depression erkrankt sind. Der wichtigste Schritt ist daher, schnell Kontakt zu einem Arzt, Psychologen oder Psychotherapeuten aufzunehmen. Trotz langer Wartezeiten ist es meist möglich, einen Ersttermin bei einem Therapeuten zu bekommen, um sich beraten zu lassen. Je eher Betroffene sich Hilfe suchen, desto besser sind ihre Aussichten auf Genesung.

Heute beantworten folgende Experten die Fragen unserer Leser:

Dr. Elif Cindik-Herbrüggen, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Neuropsychiatrischen Zentrum Riem in München; Dr. Jaroslav Malevan, Chefarzt der Somnia Privatklinik in Köln/Hürth; Dr. Thilo Hashemi, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in Mettmann; Dr. Michael Landgrebe, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der kbo Lech-Mangfall-Klinik im bayerischen Agatharied. Sie erreichen die Experten heute zwischen 13.30 Uhr und 17.30 Uhr unter der gebührenfreien Nummer 0800/060 40 00

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