Rheinland-Pfalz

Debatte um Sicherheit: Die Polizei stößt an ihre Grenzen

Einsatz am „Rosensonntagszug“ im Zentrum von Koblenz: Polizeihauptkommissar Lothar Rink (48, rechts) kontrollierte den Alkoholkonsum junger Narren, beschlagnahmte Schnaps, Zigaretten und Feuerzeuge. Unterstützt wurde er von Kollegin Jessica Frickel (20) sowie den Ordnungsamtsmitarbeitern Mario Weyand (35, links) und Björn Bossing (34). Foto: Sascha Ditscher
Einsatz am „Rosensonntagszug“ im Zentrum von Koblenz: Polizeihauptkommissar Lothar Rink (48, rechts) kontrollierte den Alkoholkonsum junger Narren, beschlagnahmte Schnaps, Zigaretten und Feuerzeuge. Unterstützt wurde er von Kollegin Jessica Frickel (20) sowie den Ordnungsamtsmitarbeitern Mario Weyand (35, links) und Björn Bossing (34). Foto: Sascha Ditscher

Die Polizei braucht mehr Personal und bessere Ausrüstung – da sind sich die sieben größten Parteien im Land einig. Selten herrscht bei einem Thema mehr Konsens. Dennoch gibt es unterschiedliche Positionen.

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Von unserem Redakteur Hartmut Wagner

SPD und Grüne halten die Polizei für gut aufgestellt und wollen in diesem Jahr 500 neue Polizisten einstellen. Anders CDU und Linke, die noch mehr Polizisten fordern. Ganz anders FDP („Die Polizei ist kaputtgespart.“), AfD („Die Polizei ist massiv unterbesetzt.“) und Freie Wähler: „Die Polizei arbeitet technisch auf dem Stand von vor 20 Jahren.“

Die Debatte über Ausstattung und Personalstärke der Polizei entstand nach den Anschlägen vom 13. November in Paris und den Gewalttaten an Silvester in Köln sowie anderen Großstädten. Die Silvesternacht änderte das Sicherheitsgefühl der Menschen. Vor Köln hielten viele die Gefahr, zum Opfer gewaltbereiter Migranten zu werden, für rechte Propaganda. Nach Köln, nach den Bildern eines Mobs junger Ausländer, der Frauen beleidigt, bestiehlt und begrapscht, rüsteten viele auf, beantragten Waffenscheine, kauften große Mengen Schreckschusspistolen und Pfefferspray. Innenminister Roger Lewentz (SPD) versuchte, dieses neue Unsicherheitsgefühl in einem Interview zu relativieren. Er zog sich scharfe Kritik von Oppositionspolitikern zu, als er berichtete, seine Töchter hätten auch schon vor der Silvesternacht beim Ausgehen Pfefferspray dabei gehabt, ebenso seine Frau beim Joggen.

Polizei im Einsatz: Anfang März begleiteten Beamte eine Demo gegen das Flüchtlingslager Daaden. Foto: Röder-Moldenhauer
Polizei im Einsatz: Anfang März begleiteten Beamte eine Demo gegen das Flüchtlingslager Daaden.
Foto: Röder-Moldenhauer

Mehr Einsätze: Die Flüchtlingskrise und die Terrorgefahr durch den „Islamischen Staat“ stellen die Polizei vor neue Aufgaben. Sie sind seit 2015 an acht Aufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende präsent, in Birkenfeld, Daaden und Diez, Hermeskeil, Ingelheim, Kusel, Speyer und Trier. Sie sichern nicht nur Konzerte, Fußballspiele oder Karnevalsumzüge mit teils zusätzlichem Personal, sondern auch Demonstrationen gegen die Flüchtlingsunterkunft in Daaden, gegen die AfD oder für Toleranz.

Weniger Personal: Laut dem Innenministerium in Mainz gab es 2015 im Land 9357 Voll- und Teilzeitpolizisten. Sie teilten sich 8972 Vollzeitstellen, sogenannte Vollzeitäquivalente. Das entspricht dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren. 2016 will das Land 500 Polizisten einstellen. Trotzdem sinkt die Personalstärke wegen vieler Pensionierungen bis 2018 auf 9200. Bis 2023 soll es 9450 Polizisten geben, etwa 9080 Vollzeitäquivalente.

Ernst Scharbach, Chef der Gewerkschaft der Polizei im Land, kritisiert diese Entwicklung massiv: Die Polizei sei am Limit, auch ohne Flüchtlingskrise und Terrorgefahr. Sie habe mehr Aufgaben, aber weniger Personal, die Internetkriminalität steige, die Zahl der Einbrüche sei auf Rekordhoch. Scharbach fordert gut 1000 zusätzliche Polizisten, insgesamt 10 000 Vollzeitäquivalente.

Mehr Frust: Benno Langenberger, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft im Land, fordert ebenfalls gut 1000 zusätzliche Polizisten – und schildert die Stimmung in der Polizei in drastischen Worten: „Jetzt, in der Krise, in der wir mit einer latenten Anschlagsgefahr, stark gestiegenen Einbruchszahlen und den Problemen im Zusammenhang mit den hohen Flüchtlingszahlen umgehen müssen, ist das Maß bei vielen voll.“ Und: „Die Polizisten sind zutiefst frustriert und desillusioniert.“ Als Gründe nennt er viele Zusatzdienste, hohe Arbeitsbelastung, zunehmende Gewalt und den Umstand, dass die Verantwortung reflexartig auf die Polizei abgeschoben wird, wenn etwas schief geht.

Polizei im Einsatz: Er kürzlich machte die Gewerkschaft der Polizei in Idar-Oberstein auf die Personalnot aufmerksam. Foto: Hosser
Polizei im Einsatz: Er kürzlich machte die Gewerkschaft der Polizei in Idar-Oberstein auf die Personalnot aufmerksam.
Foto: Hosser

Mehr Überstunden: Die 9357 Polizisten im Land häuften 1,7 Millionen Überstunden an. Jeder hat im Schnitt 182, was 23 Urlaubstagen entspricht. Es gibt Polizisten mit 2000 Überstunden (heißt: 250 Urlaubstagen). Auch der Koblenzer Polizeichef Wolfgang Fromm konstatiert bei den Überstunden einen Anstieg um 14 Prozent seit 2013. Er fordert aber keine konkreten Maßnahmen, sondern stellt lediglich fest: „Natürlich wäre es gut, mehr Personal zur Verfügung zu haben.“ Überhaupt sieht er die Lage deutlich positiver: Seine 2500 Mitarbeiter zwischen Altenkirchen und Simmern, Cochem und Bad Ems seien „hoch engagiert“, die Polizei „nach wie vor handlungsfähig“.

Alte Ausrüstung: Vor zwei Wochen prangerten die 75 Mitarbeiter der Polizeiinspektion Montabaur in unserer Zeitung massive Mängel in ihrer Wache an. Dessen Herzstück, der Einsatzleittisch, stammt aus dem Jahr 1993 und ist großteils defekt. Beamte nehmen an dem Tisch alle Notrufe entgegen und dirigieren die Streifenwagen. „Seit Jahren werden wir hingehalten. Das Maß ist voll!“, schimpften die Polizisten. Karl Hofstätter, Chef der Polizeiinspektion im 25 Kilometer entfernten Diez, war begeistert vom Hilferuf der Kollegen. Er schrieb unserer Zeitung: „Jetzt muss endlich ein Aufschrei durch die Polizei gehen, dass es in den Ohren unserer Politiker klingelt.“ Und tatsächlich: Der Landtag diskutierte über die marode Wache. Polizeichef Fromm kündigte eine Modernisierung an – erklärte aber im Gespräch mit unserer Zeitung, seine Mitarbeiter seien in der Gesamtschau materiell gut ausgestattet, vor allem im Vergleich mit anderen Bundesländern.

Kein Respekt: Polizisten schildern stets die gleiche Erfahrung: Der Respekt vor ihrem Amt ist massiv gesunken. Da gibt es Halbstarke, die demonstrativ bei Rot über die Ampel gehen oder einem Hauptkommissar ihr T-Shirt mit dem Kürzel „ACAB“ zeigen, dann aber behaupten, dies stehe nicht für „All cops are bastards“ („Alle Polizisten sind Bastarde“), sondern für „Acht Cola, acht Bier“. Und da gibt es den Schläger vom „Rosensonntagszug“ in Koblenz, der plötzlich ausrastet, eine Polizistin bedrängt und als „Fotze“ tituliert – bis deren Kollegen ihn in eine Ausnüchterungszelle schaffen. Er beschäftigt zeitweise fünf Polizisten.