Berlin

De Maizière im Interview: Einigungsvertrag war ein Meisterwerk

Thomas de Maizière (CDU) war 1990 Mitglied der DDR- Verhandlungskommission für den Einigungsvertrag. Später war der heutige Bundesinnenminister und Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer in führenden politischen Positionen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen tätig. Der 56-Jährige, Cousin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, ist also ein Experte für die Entwicklung des vereinten Deutschlands in den vergangenen 20 Jahren.

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Berlin – Thomas de Maizière (CDU) war 1990 Mitglied der DDR- Verhandlungskommission für den Einigungsvertrag. Später war der heutige Bundesinnenminister und Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer in führenden politischen Positionen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen tätig.

Der 56-Jährige, Cousin des letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière, ist also ein Experte für die Entwicklung des vereinten Deutschlands in den vergangenen 20 Jahren.

Am 31. August 1990 unterzeichneten der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der Staatssekretär beim Ministerrat der DDR, Günther Krause, nach anstrengenden Verhandlungen den Einheitsvertrag. Er sollte die Rechtsgrundlagen für das Zusammenwachsen beider deutscher Staaten und für einheitliche Lebensverhältnisse in den alten und neuen Bundesländern schaffen. Was ist aus heutiger Sicht – nach 20 Jahren Einheit – Ihrer Ansicht nach besonders gut gelungen?

Kürzlich habe ich in Bremen zu einer Diskussionsrunde zwischen Partnerstädten in Ost und West eingeladen und einer der Diskutanten sagte: „Faszinierend, dass es schon 20 Jahre her ist!“ Mir ergeht es ähnlich, vor allem, weil ich selbst unmittelbar an den Ereignissen im Jahr 1990 teilhaben durfte und auch einige Dinge gestalten konnte. Die Menschen, die sich in dieser Aufgabe gefunden haben, ich bezeichne sie gerne als „89'er Generation“, haben in kurzer Zeit unglaublich viel erreicht, ideell und materiell. Ich denke, als sichtbarstes Zeichen ist die Aufbauleistung im Bereich der Infrastruktur besonders gut gelungen. Was die sogenannte Angleichung der Lebensverhältnisse angeht, diesen Anspruch, diese Forderung habe ich nie geteilt. In meinen Augen ist das Erreichen von Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse die richtige „Messlatte“. Vielfalt in Einigkeit ist besser als eine imaginäre innere Einheit.

Was würden Sie nicht wieder so machen und warum?

Rückblickend muss man wohl sagen, es wäre besser gewesen, nicht auf einen Schlag das gesamte westdeutsche Rechtssystem auf Ostdeutschland zu übertragen. Manche Dinge wären dann vielleicht etwas improvisiert über die Bühne gegangen, aber gewiss auch mit weniger Hemmnissen. Das hätte uns zum Beispiel in den Fällen, wo schnelle Entscheidungen für Investoren notwendig gewesen wären, sehr weitergeholfen. Man muss aber auch folgendes beachten: Es gibt meterweise Literatur zum Übergang vom marktwirtschaftlichen System zum Sozialismus/Kommunismus, aber es gab nur wenig bis gar keine „Ratgeber“ für den umgekehrten Weg. Da bleiben Fehleinschätzungen nicht aus. Georg Milbradt, langjähriger sächsischer Finanzminister und dann bis 2008 Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, hat das so formuliert: „Bei der nächsten Wiedervereinigung machen wir es besser!“

Hätte mehr aus dem Osten übernommen werden können und müssen?

Im Nachhinein hätte man auch ein paar Dinge mehr aus der DDR übernehmen können als das symbolische Straßenschild für „Naturschutzgebiet“, den „Grünen Pfeil“ oder das „Ampelmännchen“. Es wäre wichtig gewesen und bleibt bis heute unsere Aufgabe, dass die Menschen, die in der ehemaligen DDR gelebt haben, nicht das Gefühl haben, dass ihre Lebensleistung durch die Wiedervereinigung nicht „überschrieben“ (Jana Hensel) oder an den Rand gedrückt wird. Ganz praktisch wäre eine problemlose Anerkennung der Bildungs- und Berufsabschlüsse der DDR für das geeinte Deutschland ein sichtbares Zeichen gewesen, um gegenseitige Achtung der Biografien und Solidarität zu zeigen.

Ist der Einigungsvertrag heute umgesetzt?

Das ist kein Vertrag, der irgendwann umgesetzt oder abgearbeitet ist. Er hat die Bedingungen des Beitritts festgelegt und die Maßstäbe für die Zeit danach formuliert. Er war – insbesondere angesichts der kurzen Vorbereitungs- und Verhandlungszeit – ein Meisterwerk von Politik und Verwaltung. Den Geist, in dem er verhandelt wurde, bräuchten wir heute auch noch, wenn es um schwierige Verhandlungen geht.

Eine letzte Frage zum Umgang mit den Unterlagen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. Wie schätzen Sie heute – nach 20 Jahren Erfahrung – den Umgang mit den Stasi-Akten ein?

Es war richtig, sie nicht zu vernichten und allen Betroffenen Akteneinsicht zu gewähren. Nicht alle Überprüfungen führten zu angemessenen Ergebnissen. Manche Entscheidungen waren zu großzügig, manche zu streng. Und wir haben SED-Größen als die Befehlsgeber im Verhältnis zur Stasi zu wenig beachtet. Nur: Man kann eine Diktatur nicht im Nachhinein „gerecht“ abarbeiten.