Das Weltnaturerbe Watt kämpft ums Überleben

Das Weltnaturerbe Watt kämpft ums Überleben
Natur zum Anfassen: Wattführer wie Heino Behring auf Juist weihen jedes Jahr Tausende Touristen in die Geheimnisse des Ökosystems Wattenmeer ein. Doch Naturschützer warnen: Das Weltnaturerbe Watt darf nicht nur ökonomisch ausgeschlachtet werden. Gefragt sind Konzepte zum Schutz des Lebensraums. Foto: Christian Kunst

Grand Canyon, Great Barrier Reef – Wattenmeer. Vor einem Jahr reihte sich die Heimat von Wattwurm, Herzmuschel und Kegelrobbe zwischen Sylt und Westfriesischen Inseln in diese illustre Reihe von Weltnaturerbe-Stätten ein. Doch so stolz viele Norddeutsche auf diesen Titel sind, das Wattenmeer hat bislang wenig von diesem Status-Gewinn profitiert, kritisieren Naturschutzverbände.

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Über dem Weltnaturerbe Wattenmeer schwebt ein Damoklesschwert: der Mensch. Tourismus, Ölindustrie oder der Bau großer Häfen sind nur einige Beispiele dafür, wie der Mensch das höchstsensible Ökosystem gefährdet.

3200 Arten leben in dem insgesamt 14 700 Quadratkilometer großen Gebiet zwischen der dänischen Ho Bucht und der westfriesischen Insel Texel - etwas mehr als 13 000 Quadratkilometer sind Weltnaturerbe. 250 Arten kommen allein dort vor. Wattführer vergleichen den zweimal pro Tag überschwemmten Landstrich gern mit einem menschlichen Körper. Die Gezeiten sind der Pulsschlag, die Wattwürmer die Lunge, Muscheln die Nieren, Krebse, Fische und Vögel die Leber. Das Watt ist zudem Kinderstube für viele Fische. Wer diese Kinderstube zerstört, der beschädigt auch das Ökosystem Nordsee.

Ein Jahr, nachdem die Unesco das Wattenmeer zum Weltnaturerbe erklärt hat, fällt die Bilanz gemischt aus: Einerseits feiern Tourismusverbände, Inselverwaltungen und Ministerien das Öko-Siegel als wirtschaftlichen Erfolg. Andererseits hat das Gütesiegel, mit dem die Tourismusbranche die Besucher anlockt, kaum zu verbindlichen Regelungen zum Schutz des Wattenmeers geführt. Und: Mehr Touristen bedeuten auch mehr Hotels, größere Häfen, eine Schifffahrt unabhängig von Ebbe und Flut, also ein Ausbau der Fahrrinnen, und auch eine Ausdehnung des Flugverkehrs auf die Inseln. Umweltverbände haben bereits eine Mängelliste aufgestellt. Ein Überblick:

Hafenbau: Gefordert wird ein Hafenkonzept für ganz Norddeutschland. „Ein norddeutscher Tiefwasserhafen wie der geplante JadeWeserPort macht die weitere Vertiefung von Elbe und Weser überflüssig“, meint Beatrice Claus vom WWF. Davon profitiere auch das Wattenmeer: „Der Ausbau der Flüsse verändert Strömungen und sorgt für mehr Schlick. Das wirkt bis ins Weltnaturerbegebiet hinein. Die Länder müssen also eine gemeinsame Vision für Hafenausbau und Küstenschutz entwickeln - losgelöst von ihren Einzelinteressen.“

Doch ausgerechnet die Unesco selbst scheint diese Forderung zu durchkreuzen. Hamburg, das 2008 wegen der geplanten Elbvertiefung aus der Welterbe-Bewerbung ausstieg, will 2011, spätestens 2012 doch einen Antrag stellen. Hintergrund: Die Unesco hat mittlerweile signalisiert, dass es durch das Siegel keine Einschränkungen für die Hafenzufahrt geben wird.

Öl- und Gasförderung: Beim Bau unterirdischer Gasspeicher werden in Niedersachsen große Mengen salziger Lauge in Ems und Jade gespült - direkt neben dem Nationalpark. Mitten im Wattenmeer vor der Küste Dithmarschens liegt Deutschlands größte Ölförderanlage, die Bohrinsel Mittelplate, die 2009 etwa 1,6 Millionen Tonnen Öl zur Landstation pumpte. 2011 läuft die Förderkonzession aus. Umweltschutzverbände fordern, dass sie keinesfalls verlängert werden darf. Der Welterbe-Status stehe andernfalls auf dem Spiel.

Doch Umweltministerium und Plattform-Betreiber RWE/Dea widersprechen: Die auf einer Sandbank fußende Mittelplate sei faktisch unsinkbar. Die Sicherheitsstandards seien hoch - eine Katastrophe wie im Golf von Mexiko also undenkbar. Bei der Verlängerung der Konzession spielt das Welterbe keine Rolle - entscheidend ist das alte Bergrecht. Wenn Öl vorhanden und sicher zu fördern ist, muss die Genehmigung erteilt werden, sagen Experten.

Windparks: Zu nah an der Küste gebaute Windräder gelten als Todesfallen für Zugvögel. Zudem müssen die Fundamente von Offshoreanlagen in den Nordseegrund gerammt werden. Dies ist laut Naturschützern eine große Gefahr für Schweinswale - zumal es bislang keine wirksamen Konzepte zum Schallschutz gebe. Und ein 1200 Quadratkilometer großes Areal vor Sylt, das schon 1999 als Walschutzgebiet ausgewiesen wurde, ist wegen eines Kompetenzgerangels zwischen Bund und Ländern nicht auf Seekarten verzeichnet. Ähnliches gilt für die Nullnutzungszone zwischen Sylt und Föhr.

Wie könnte ein Ausweg aus diesem Dilemma zwischen Ökonomie und Ökologie aussehen? Naturschützer fordern einen sanften Tourismus. Sie setzen darauf, dass diejenigen, die den Welterbe-Status derzeit ökonomisch ausschlachten, begreifen, dass sie sich damit ins eigene Fleisch schneiden. Denn wenn Nordsee-Urlauber im Watt keine intakte Natur mehr vorfinden, dann werden sie nicht wiederkommen.

Von unserem Redakteur Christian Kunst