Berlin

Das süße Versteckspiel in unserem Essen

Auch in den vermeintlich gesunden Speisen versteckt sich jede Menge Zucker. In einem Glas Rotkohl (680 g) ganze 20 Stück!<br />Zum Vergleich  (1 Würfel = 3 Gramm): <br />1 Tüte Gummibären (200 g)=54 Würfel<br />1 EL Ketchup=1<br />1 Kugel Milchspeiseeis (50 g)=3,5<br />1 Schokokuss=3
Auch in den vermeintlich gesunden Speisen versteckt sich jede Menge Zucker. In einem Glas Rotkohl (680 g) ganze 20 Stück!
Zum Vergleich (1 Würfel = 3 Gramm):
1 Tüte Gummibären (200 g)=54 Würfel
1 EL Ketchup=1
1 Kugel Milchspeiseeis (50 g)=3,5
1 Schokokuss=3
Foto: victoria p. - Fo

Wer hätte gedacht, dass in Ketchup deutlich mehr Zucker als in der vergleichbaren Menge Vanilleeis steckt? Und dass es ein Lebensmittel, selbst wenn Zucker gar nicht auf der Zutatenliste steht, schon mal locker auf einen Zuckergehalt von 50 Prozent bringt? In Deutschland isst jeder Bürger im Jahr rund 36 Kilogramm Zucker.

Lesezeit: 3 Minuten
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Von unserer Redakteurin Nicole Mieding

Auch in den vermeintlich gesunden Speisen versteckt sich jede Menge Zucker. In einem Glas Rotkohl (680 g) ganze 20 Stück!Zum Vergleich (1 Würfel = 3 Gramm): 1 Tüte Gummibären (200 g)=54 Würfel1 EL Ketchup=11 Kugel Milchspeiseeis (50 g)=3,51 Schokokuss=3

victoria p. – Fo

Ist doch Obst: 100 g getrocknete Apfelringe verbergen 11 Stücke Zucker.1 Glas Apfel-/Orangensaft = 41 l kalorienarmer Wellnessdrink=111 Glas Sekt=21 Glas Cola/Limonade=71 Portion Frühstückscerealien für Kinder =5,5

Nik – Fotolia

Roter Heringssalat (250 g)=9 Zuckerstückchen.Pommes mit Ketchup und Mayo (100 g)=4Erdbeerjoghurt (150 g) =7Erdbeerjoghurt für Kinder (100 g=5Schoko-Sahne-Pudding Diät (100 g)=5

Thomas Francois

Ananasscheiben Dose (570 g) = 20 Stückchen1 Glas Erdbeermilch= 8Getrocknete Cranberries (100 g)=161 Milchschnitte=31 Riegel Kinderschokolade=21 SchokoriegeL=10

daffodilred – Fo

2 TL Nuss-Nougat-Creme = 4 Zuckerstückchen1 Tafel Schokolade weiß (100 g)=121 Tafel Milchschokolade (100 g)=111 Tafel Zartbitter (80 % Kakao)=6,51 Tasse Trinkschokolade=71 Tasse löslicher Cappuccino=4

baibaz – Fotolia

Das macht rund 100 Gramm pro Tag – doppelt so viel, wie im Rahmen einer ausgewogenen Ernährung als gesund gilt. Die Folge: Jeder zweite Erwachsene ist zu dick. Der gute Vorsatz, den Kaffee künftig schwarz zu trinken, hilft leider nicht. Denn mehr als drei Viertel des Zuckers, den wir zu uns nehmen, ist in verarbeiteten Nahrungsmitteln versteckt. Und das ist noch vorsichtig geschätzt. Das heißt: Meistens essen wir Zucker und merken es nicht.

Industrie fördert Krankheiten

„Unser jetziges Ernährungssystem bringt uns um. Und die Lebensmittelindustrie hat keine Anreize, das zu ändern, weil sie damit gut verdient“, sagt Robert Lustig von der University of California in San Francisco. Der Professor ist auf Hormonstörungen und Übergewicht bei Kindern spezialisiert. Zu viel Zucker macht dick, auf Dauer sogar krank. Karies ist da noch die harmloseste Folge. Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs werden mit starkem Übergewicht in Verbindung gebracht. Das hat nun offenbar sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf die Barrikaden gebracht. Laut einem vertraulichen Papier, aus dem die britischen Zeitungen „Sunday Times“ und „The Guardian“ zitieren, hat die WHO vor, die empfohlene Tagesmenge für Zucker zu halbieren. Ein drastischer Schritt.

Und ziemlich ambitioniert. „Wir sind schon froh, wenn sich vor allem Risikopatienten bei der aktuellen Zielmarke von 10 Prozent einpendeln“, sagt Iris Brenner, Ernährungsberaterin der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Derzeit lautet die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, nicht mehr als 10 Prozent der täglichen Kalorien in Form von Zucker zu verzehren. „Um das zu ermöglichen, brauchen wir dringend Maßnahmen, die das Enttarnen von Zucker- und Kalorienbomben beim Einkauf erleichtern“, betont Brenner. Denn schon mit zwei Gläsern Limonade ist diese Grenze erreicht.

Verbraucherschützer fordern von der Politik seit Jahren Regelungen für mehr Transparenz. „Hersteller greifen tief in die Trickkiste, um den wahren Zuckergehalt zu schönen“, kritisiert Brenners Kollegin Susanne Umbach bei der Verbraucherzentrale. Für einen bundesweiten Markttest nahm sie im vergangenen Sommer mit Kollegen aus anderen Bundesländern 276 verarbeitete Lebensmittel genauer unter die Lupe. Das Ergebnis der Studie: Neben Zucker verwenden die Produzenten jede Menge andere Süßmacher. Auf der Zutatenliste sind die ohne Fachwissen meist nicht zu erkennen (siehe Randspalte). Um den hohen Zuckergehalt zu relativieren, werden zudem oft unrealistisch kleine Portionsgrößen angegeben.

Geworben wird außerdem gern mit Begriffen wie „ungesüßt“ oder „ohne Zuckerzusatz“. Solche Lebensmittel enthalten dann andere Zutaten, die den Gesamtzuckergehalt in die Höhe treiben, Molkepulver etwa. Vorsicht geboten ist auch, wenn ein Produkt mit dem Prädikat „weniger Zucker“ wirbt: In der Regel bleibt völlig im Dunkeln, womit verglichen wurde. Bei ihrem Einkauf fanden die Tester jeweils meist deutlich weniger süße Konkurrenzprodukte.

Ungesunde Extraportion für Kinder

Besonders besorgt äußern sich die Verbraucherschützer über spezielle Produkte für Kinder. Sie enthalten meist eine Extraportion Zucker – und sind damit deutlich ungesünder als entsprechende Lebensmittel für Erwachsene. Auch auf die Begriffe „Diät“ und „light“ ist kein Verlass: Lebensmittel, in denen Süßstoff verwendet wird, sind nicht automatisch kalorienärmer als reguläre Produkte. Manche liefern sogar mehr Zucker und Energie. Abhilfe ist so schnell nicht in Sicht. Erst ab 2016 sind Hersteller per EU-Verordnung verpflichtet, eine einheitliche Nährwerttabelle auf die Verpackung zu drucken. Bis dahin bleiben die Angaben auf dem Etikett freiwillig.