Das Handwerk muss grüner werden: So treibt der Klimawandel die Branchen um
Doch was hat das mit dem Handwerk zu tun? Beim Ziel, Europa bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu machen, gilt auch der Kapitalmarkt als wichtiger Hebel, um Kredite für Investitionen in umweltfreundliche Produktionen und Produkte zu lenken. Darauf will die Handwerkskammer (HwK) Koblenz ihre Mittelständler rechtzeitig vorbereiten. Einzelne Pioniere sind bereits unterwegs, um sich mit dem Titel „klimaneutral“ auch einen Wettbewerbsvorteil zu sichern.
Der steigende CO2-Preis drängt die Unternehmen zum Handeln
Allein, dass der Preis für das Treibhausgas CO2 von derzeit 25 Euro auf 55 Euro bis 2025 steigt, drängt die Unternehmen schon zum Handeln. Das liegt für HwK-Hauptgeschäftsführer Ralf Hellrich in Koblenz auf der Hand. Aber er hat zudem die sogenannte EU-Taxonomie im Auge, mit der Banken beim Klimaschutz künftig eine Schlüsselrolle zukommt. Davon seien auch Sparkassen als Anbieter von Finanzprodukten direkt betroffen, wie die Sprecherin des Mainzer Wirtschaftsministeriums, Susanne Keeding, sagt. „Sie müssen künftig offenlegen, inwieweit ihre Produkte nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten unterstützen, also sich auf Klimaschutz oder die Anpassung an den Klimawandel auswirken.“ Dafür müssen sie den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln.
Für die Handwerkskammer steht fest: Wer Kriterien nicht oder nur teilweise genügt, wird es in Zukunft schwerer haben, an eine Finanzierung zu kommen, oder schlechtere Konditionen haben. Die Taxonomie wird also die Weichen dafür stellen, dass künftig Kapital vorrangig in „grüne“ (Finanz-)Investitionen fließt. Noch ist die Taxonomie eine große Baustelle, viele Bedingungen sind noch unklar, es fehlen verlässliche Maßstäbe.
HwK-Hauptgeschäftsführer Hellrich drängt daher in Gesprächen mit EU-Abgeordneten immer wieder darauf, dass es für den Mittelstand verträgliche Übergangsfristen geben muss. Es dürften auch keine zu komplizierten und bürokratischen Zertifizierungen von Betrieben verlangt werden.
Keine Frage ist aber für die Kammer: Betriebe müssen sich auf den Wandel einstellen – auch mit neuem Fachwissen. Eine Autowerkstatt brauche Know-how für die E-Mobilität, Heizungstechniker ergänzendes Wissen für Solartechnik und Wärmepumpen, um zukunftsfest zu sein. Schließlich wird Fotovoltaik auf neuen Gewerbebauten in Rheinland-Pfalz künftig Pflicht, umreißt Hellrich das Szenario. Denn das Land setzt sich noch ehrgeizigere Ziele als die EU.
Die Kammer arbeitet selbst auch schon seit Jahren an einem Energiemanagement und ist seit 2015 bereits zertifiziert. „Die ersten Schritte sind immer ganz einfach“, meint Hellrich. Denn zunächst werden Glühlampen durch LED-Leuchtmittel ersetzt, um schnell deutlich weniger Energie zu verbrauchen. „Außerdem fährt die Kammer jetzt mit E-Autos günstiger.“ 14 davon hat sie für Außendienstmitarbeiter angeschafft. Obwohl sie die E-Autos auch privat nutzen können, sei die E-Mobilität unterm Strich günstiger als das frühere gezahlte Kilometergeld, sagt Hellrich.
Dieser Umstieg sei bei Nutzfahrzeugen aber noch nicht möglich. Deshalb setzt Hellrich auf künftige Wasserstoffantriebe, die auch an der TU Kaiserslautern erforscht werden. Und daher erhofft er sich von der EU auch, dass sie den Ländern Spielräume lässt und kleinen Betrieben keine Blaupause von Großunternehmen überstülpt.
Die Kammer plant, von Corona zuletzt ausgebremst, eine Infokampagne, um die Betriebe über die neue Entwicklung aufzuklären, Modelle zu zeigen und sie bei nachhaltigen Geschäftsmodellen zu begleiten. Denn die ersten Pflichten der EU-Taxonomie sollen bereits ab dem Jahr 2022 gelten. Hellrich geht aber auch davon aus, dass Nachhaltigkeit zur Genetik der Handwerks gehört.
Manche Firma ist daher bereits weit voraus: beispielsweise der Handwerksbetrieb „Die Tischlertekten“, der in Großmaischeid (Kreis Neuwied) hochwertige Möbel samt Innenausbau anfertigt und schon als klimaneutral zertifiziert ist. Wie der Tischlermeister und Geschäftsführer Frank Gross sagt, hat er mit Eric Schaaf an der Spitze bereits aus eigenem Anspruch heraus vor drei Jahren begonnen, den CO2-Fußabdruck zu untersuchen. „Dies ist von Kunden nachgefragt worden.“ Beraten vom Experten Helmut Frorath (Agentur „Geht-doch“, Neuss) wie auch von der HwK, ist seitdem einiges passiert. Statt sich bundesweit weiter auf gewerblichen Ladenbau zu konzentrieren, steht inzwischen der Innenausbau beim Privatkunden in einem Umkreis von etwa 50 Kilometern im Fokus, berichtet Gross. Das spart Sprit und Reisekosten. Für das Zertifikat auch wichtig: Die etwa zehn Mitarbeiter wohnen in der Nähe des Betriebs.
Möglichweise können sie bald auch Strom für E-Autos tanken, den eine neue Fotovoltaikanlage der Schreinerei liefert. Vorher hat der Betrieb bereits den Stromvertrag gewechselt und bezieht inzwischen Ökostrom. Geheizt wird bereits seit Jahren mit Holzabfällen. „Bei der Produktion greifen wir, wann immer es möglich ist, auf heimische Hölzer zurück.“ Gross bilanziert „gute Investitionen“, weil man „weit vorn vor der Zeit ist und nicht hinterherläuft“. Da der Betrieb aber bei allen Anstrengungen trotzdem noch CO2 verbraucht, kompensiert er noch nicht vermeidbare Treibhausgasemissionen durch den Kauf von CO2-Zertifikaten aus dem Forstprojekt der BaumInvest AG. Für 2021 und 2022 werden 74 Tonnen CO2 über ein Aufforstungsprojekt in Costa Rica ausgeglichen.
Berechnet hat das Konzept der Ingenieur Helmut Frorath, der in der Nachbarschaft auch das Fertigungsunternehmen Reuth in Großmaischeid beraten hat. Diese Firma hat sich auch als klimaneutral zertifizieren lassen, konnte ihren CO2-Fußabdruck von 270 im Jahr 2018 auf 113,6 Tonnen reduzieren und gleicht ebenfalls mit einem Aufforstungsprojekt in Costa Rica noch 228 Tonnen der Emissionen aus.
Was eine Zertifizierung kostet, hängt, wie Frorath sagt, ganz von den individuellen Bedingungen ab. Dies bestätigt auch der Energieeffizienzberater der HwK, Norbert Dümpelfeld, unserer Zeitung. Denn der Energieverbrauch eines Bäckers lasse sich schließlich nicht mit dem eines Tischlermeisters vergleichen. Als grobe Faustregel nennt Frorath die Summe von rund 4000 Euro bei einem Unternehmen mit 80 bis 200 Mitarbeitern.
Das größte Problem: „Handwerksbetriebe haben derzeit keine Zeit, intelligent Energie und Geld zu sparen, weil die Auftragsbücher randvoll sind und Fachpersonal fehlt“, meint Dümpelfeld. Aber wer sich wie die „Tischlertekten“ dazu entschlossen hat, sieht sich in der gesellschaftlichen Diskussion und im Wettbewerb im Vorteil. Der Betrieb ist wie die Kammer überzeugt, dass das Thema Klimaschutz in absehbarer Zeit alle Handwerksbetriebe erreichen wird. „Da rollt gerade eine große Welle an, die alle erfassen wird!“
Nachhaltigkeitsbeauftragte bei Förderbank und Sparkasse
Ein wichtiger Partner des Mittelstands ist auch die Förderbank ISB des Landes. Sie geht zwar davon aus, dass alle ihre Förderprogramme bereits seit Jahren nachhaltig sind. Aber wie Sprecherin Claudia Wichmann sagt, hat die ISB inzwischen auch eine Nachhaltigkeitsbeauftragte berufen, die dieses Ziel überprüft. „Nachhaltigkeit ist kein Trend, der irgendwann wieder vorbei ist”, betont der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Rhein-Nahe, Peter Scholten, der auch einen Nachhaltigkeitsbeauftragten berufen hat. Die europaweite Verpflichtung der Finanzinstitute, den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition zu ermitteln, werde ab Ende 2022 „auch Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben“, sagt Scholten. Darauf müsse man sich gemeinsam mit den Kunden einstellen.
Ursula Samary