Chefsache: Die Kanzlerin entmachtet de Maizière

Entmachtung, Klatsche, Ohrfeige: Die Beschreibungen für das, was Thomas de Maizière gerade widerfahren ist, sind wenig schmeichelhaft. Der Bundesinnenminister ist zuständig für die Lösung der übergroßen Probleme bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Linke und Grüne schimpften über Wochen, der CDU-Mann sei überfordert und offenbar nicht in der Lage, die Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Aber auch der Koalitionspartner hielt sich nicht zurück mit Kritik. Nun hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entschieden, jemand anderen zum Gesamtkoordinator in der Asylkrise zu machen. Ihren Parteikollegen de Maizière bringt sie damit in eine unangenehme Situation.

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De Maizière schaffte keine spürbare Verbesserung der Situation

Bislang ging vieles schief in der Flüchtlingspolitik. Bund und Länder zankten sich über Monate ums Geld, die Ministerien im Bund legten sich oft quer, verzettelten sich in internen Kämpfen, während in den Kommunen die Betten für Schutzsuchende knapp wurden und bei der obersten Asylbehörde die Aktenberge immer größer. Und de Maizière? Er arbeitete vor allem an Gesetzen, ohne dass sich spürbar etwas an der Lage besserte.

Merkel hat offenbar genug von all dem. Das Kanzleramt zieht die politische Koordinierung der Flüchtlingskrise an sich. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) übernimmt die Rolle als „Gesamtkoordinator“. Die „operative Koordinierung“ bleibt beim Innenressort. Dort tagte schon seit Längerem regelmäßig eine Runde von Staatssekretären.

Künftig sollen dort ein paar mehr Menschen aus den verschiedenen Ressorts mit am Tisch sitzen. Und das Innenressort soll den anderen Ministerien auch Ansagen machen können. Bislang gab es da Probleme, heißt es in Regierungskreisen.

Die Opposition versteht das so: Merkel hat de Maizière abgesägt. Altmaiers Berufung sei „ein Eingeständnis bisheriger Konzeptlosigkeit und eine heftige Klatsche für den Bundesinnenminister“, sagt Grünen-Chefin Simone Peter. Spott auch von der Linken: Fraktionsvize Jan Korte meint, die „Entmachtung“ sei die Quittung für de Maizières Versagen.

Die Opposition spottet, die Regierung wiegelt ab

Die Regierung bemüht sich, diesen Eindruck zu zerstreuen. Entmachtung? „Das ist völliger Quark“, sagte Vizeregierungssprecher Georg Streiter. Überforderung? Nicht doch. Er betont, dass de Maizière nichts weggenommen werden soll. Im Gegenteil. Sein Ressort werde gestärkt. Es werde alles ein wenig institutionalisiert, „weil hier das Problem ein bisschen größer ist“. De Maizière selbst nennt die Umstrukturierung einen wichtigen Schritt und sagt, dass er selbst die Bündelung der operativen Verantwortlichkeiten im Innenressort vorgeschlagen hat. Altmaier versucht es mit menschelnden Worten: „Wir kennen uns seit Langem und arbeiten eng und vertraulich zusammen.“ Doch es ergießt sich weiter Häme über de Maizière. Die Linke nennt ihn schon den „Pannenminister“.

Inhaltlich sind die neuen Strukturen gar nicht ungewöhnlich. Das Flüchtlingsthema betrifft in großen Teilen außenpolitische Fragen oder Interessen der Bundesländer. Außerdem haben fast alle Bundesministerien mit der Krise zu tun. Dass sich das Kanzleramt hier den Hut aufsetzt, ist vielleicht sogar längst überfällig.

Doch die Art und Weise der Verkündung macht stutzig. Merkel oder Altmaier hätten das Vorhaben mit de Maizière zusammen vorstellen können – als gemeinsames Konzept. Stattdessen landen die Pläne leise vorab in den Medien. Und de Maizière verzichtet darauf, seine Sicht auf die Dinge öffentlich ausführlich zu erläutern, in die Offensive zu gehen. Damit lässt er viel Raum für Interpretationen – einmal mehr.

Christiane Jacke