Brustkrebs: Die Patientin soll den Takt vorgeben

Plastische Chirurgen nutzen unterschiedliche Möglichkeiten, um Brüste wiederherzustellen – Implantate bergen hohes Risiko – Experten bevorzugen Transplantation von Eigengewebe. Foto: dpa
Plastische Chirurgen nutzen unterschiedliche Möglichkeiten, um Brüste wiederherzustellen – Implantate bergen hohes Risiko – Experten bevorzugen Transplantation von Eigengewebe. Foto: dpa

Seit sich Hollywoodstar Angelina Jolie ihre Brüste vorsorglich entfernen ließ, um sich so vor Krebs zu schützen, beschäftigt die Arbeit von plastischen Chirurgen wie Dr. Nina-Kathrin Kauer aus Koblenz die Öffentlichkeit.

Lesezeit: 4 Minuten
Anzeige

Doch Fälle wie der von Angelina Jolie sind für das Brustzen-trum im Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein, in dem Dr. Kauer im Evangelischen Stift St. Martin arbeitet, eher selten: Drei Patienten in diesem, zwei im vergangenen Jahr haben sich in der Klinik für Plastische, Hand-, Ästhetische und Verbrennungschirurgie in Koblenz wie Jolie die Brüste entfernen lassen, weil es in der Familie einen genetisch bedingten Brustkrebs gegeben hat, sagt die Medizinerin.

Viel häufiger müssen sich Dr. Kauer und ihre Kollegen im Brustzentrum mit Patientinnen beschäftigen, die nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung Brüste oder Teile davon rekonstruieren lassen. Durch den Fall Jolie rückt auch dieses Thema zunehmend aus einer Tabuzone in eine größere Öffentlichkeit. Anlässlich des Brustkrebsmonats beantworten wir zusammen mit Dr. Kauer und ihrer Kollegin, der Onkologin Dr. Maria Theresia Keller, wichtige Fragen:

Wann ist eine Brustrekonstruktion sinnvoll? Nur wenn sie medizinisch indiziert ist oder wenn die Patientin es will?

Sowohl als auch. „Taktgeber ist immer die Patientin“, sagt Dr. Kauer. Oftmals sind es nach ihrer Beobachtung ästhetische Gründe, die zur OP führen. Bei einer Mastektomie (vollständige Entfernung der Brustdrüsen) liegt dies auf der Hand. Aber: „Das kann auch eine Kleinigkeit sein. Viele möchten außerdem endlich mit dem Krebs abschließen.“ Häufig kommen jedoch medizinische Gründe hinzu: Da die Brüste laut Dr. Keller immer seltener vollständig abgenommen werden, kann es gerade bei einer einseitigen Entfernung zu Problemen in der Statik des Körpers kommen, was etwa zu Schmerzen in der Halswirbelsäule führen kann. Auch können sich Narben verhärten, sodass sich die Brust wie ein kleiner Tennisball anfühlt. Generell beginnt Dr. Kauer jedoch erst mit einer aufwendigen Brustrekonstruktion, wenn die gesamte Krebsbehandlung abgeschlossen ist.

Welche Möglichkeiten der Brustrekonstruktion gibt es?

Die schnellste Lösung, die oft sogar Gynäkologen anbieten, sind wie in der ästhetischen Medizin Silikonimplantate. „Doch leider fühlen sie sich nicht wie eine Brust an. Und sie bergen große Risiken, weil sie eine Kapselfibrose auslösen können“, sagt Dr. Kauer. Denn der Körper nimmt das Silikon als Fremdkörper wahr und umschließt das Implantat mit Bindegewebe, das sich im schlimmsten Fall schon nach wenigen Monaten entzünden und eine schmerzhafte Kapsel bilden kann. Das muss nicht passieren. Das Risiko ist aber laut Dr. Kauer groß. Denn Fakt ist nach ihren Worten, dass die sogenannte Standzeit bei Implantaten in der ästhetischen Medizin bei etwa zehn Jahren liegt, bei Implantaten, die Brustkrebspatientinnen eingepflanzt werden, jedoch nur bei zweieinhalb Jahren. Das heißt, dass selbst die Hersteller nach dieser Zeit nicht ausschließen können, dass eine Kapselfibrose entstehen kann. „Warum die Zeiten so unterschiedlich sind, ist noch nicht geklärt. Es sind aber meist biologische, keine Materialgründe.“

Welche Alternativen gibt es?

Auch wegen der großen Probleme mit Silikonimplantaten setzen Mediziner wie Dr. Kauer seit vielen Jahren verstärkt auf die Verpflanzung von Eigenfett. „Wir saugen das Fett an einer Stelle an, die uns die Patientin vorgibt, um es dann in den Brustraum zu spritzen.“ Ein Problem ist jedoch, dass sich in dem Fett Stammzellen befinden, die sich auch in bösartige Tumorzellen wandeln können. Daher wird diese Variante nicht bei Patientinnen eingesetzt, die eine Vorstufe von Brustkrebs (DCIS) hatten – zumindest laut Leitlinie nicht innerhalb der ersten drei Jahre nach der Operation. Auch darf das Fett nicht in eine entzündete Brust gespritzt werden, weil dies die Erkrankung noch verschlimmern könnte. Der große Vorteil für Patientinnen ist, dass sich die Brust nicht künstlich wie ein Implantat anfühlt und dass sie vor allem überhaupt wieder ein Gefühl in den Brüsten bekommen. Zudem können die Patientinnen quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Denn ganz nebenbei entfernt ihnen der plastische Chirurg unliebsame Fettpölsterchen an Problemstellen. Allerdings brauchen Betroffene für diese Rekonstruktion viel Geduld. Dr. Kauer kalkuliert mit drei bis fünf Operationen in einem Abstand von je vier Monaten, sodass für die gesamte Rekonstruktion leicht zwei Jahre vergehen können. Und derzeit sperren sich die Kassen laut Dr. Kauer gegen eine Finanzierung, weil sie das Eigenfett-Verfahren für nicht ausreichend wissenschaftlich belegt halten.

Geht es noch besser?

Ja. Optimal ist laut Dr. Kauer die Verpflanzung von Eigengewebe inklusive von Blutgefäßen, meist aus dem Unterbauchbereich. Dieser freie Gewebetransfer ist quasi die hohe Kunst der Chirurgie, weil die Verpflanzung unter dem Mikroskop geschieht, wobei die im Unterbauch entnommenen Adern an das Blutgefäßsystem im Brustbereich angeschlossen werden. Aber auch diese Verpflanzung ist nicht völlig komplikationslos, weil sich etwa die Blutgefäße verschließen können.

Wie entscheide ich mich richtig?

Dr. Kauer nimmt sich nach eigenen Worten mindestens eine bis eineinhalb Stunden Zeit, um die Patienten über die Risiken und Vorteile der unterschiedlichen OP-Varianten zu informieren. Das sollten Patienten bei ihren Ärzten einfordern. Bei Silikon-Implantaten hat sie nach dem Skandal in Frankreich die Erfahrung gemacht, dass Patientinnen sehr genau nach der Herstellerfirma fragen. „Sie sind sehr gut informiert.“ Bis heute entfernt sie Patientinnen diese französischen Implantate, bestehend aus billigem Industriegel. Generell gilt: Wer eine schnelle Lösung will, wird eher zur Implantatlösung greifen, wobei es für den Übergang auch Prothesen gibt. Bei der Transplantation von Eigengewebe braucht es nicht nur Geduld. Bei sehr schlanken Frauen kann es auch das Problem geben, dass sie nicht über ausreichend Reservoir für Eigenfett oder -gewebe verfügen. Nach der Operation rät Dr. Kauer Patientinnen dazu, bis zu zwölf Wochen auf Sport zu verzichten.