Rheinland-Pfalz

Bischof: Wir können nicht alle Kirchen behalten

Bischof Stephan Ackermann blätterte beim Besuch unserer Redaktion mit Chefredakteur Christian Lindner in der Vergangenheit: Die Titelseiten der vergangenen Jahre faszinierten den Bischof, insbesondere auch der Text über die Wahl von Johannes XXIII. zum Papst. Dieser berief das Zweite Vatikanische Konzil ein - Bischof Ackermann immerhin die Trierer Synode.  Foto: Jens Weber
Bischof Stephan Ackermann blätterte beim Besuch unserer Redaktion mit Chefredakteur Christian Lindner in der Vergangenheit: Die Titelseiten der vergangenen Jahre faszinierten den Bischof, insbesondere auch der Text über die Wahl von Johannes XXIII. zum Papst. Dieser berief das Zweite Vatikanische Konzil ein - Bischof Ackermann immerhin die Trierer Synode. Foto: Jens Weber

Bischof Stephan Ackermann kann sich über mangelnde Arbeit derzeit nicht beklagen: Nach dem Abschluss der Trierer Synode steht nun der strukturelle Umbau des Bistums bevor. Eine Herkulesaufgabe. Die nicht einfacher wird durch den Weggang des Trierer Generalvikars Georg Bätzing, der gerade zum neuen Bischof von Limburg gewählt wurde. Beim Redaktionsbesuch in unserem Verlagshaus blickt Ackermann in die Zukunft – in eine Zukunft, in der die katholische Kirche im Bistum Trier nicht mehr Volkskirche sein wird.

Lesezeit: 8 Minuten
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Herr Bischof, Sie haben eine Synode im Bistum Trier einberufen, die Weichen für einen grundlegenden Umbau gestellt hat. Warum muss das Bistum umgebaut werden?

Wir erfinden das Bistum nicht neu. Es bleibt ein Bistum, das vor Ort und in der Fläche lebt. Aber wir haben nach den sogenannten Zeichen der Zeit gefragt, nach den Rahmenbedingungen, unter denen wir unseren Glauben heute leben. Und die haben sich grundlegend geändert. Früher waren wir Volkskirche, man hat seinen Glauben quasi geerbt. Man wurde in ihn hineingeboren, wuchs mit dem Glauben auf, Dorf und Kirche waren ganz eng miteinander verbunden. Das geht heute auseinander. Es ist nicht mehr selbstverständlich, Christ beziehungsweise Katholik zu werden. Man muss sich dafür entscheiden. Ich werde nicht mehr wie früher aus der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt, wenn ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe. Die Struktur der Volkskirche verschwindet, und dem wollte die Synode Rechnung tragen. Die Frage ist: Wie leben wir heute unseren Glauben? Und: Wie stellen wir uns als Bistum in dieser Zeit auf?

Was Sie vorhaben, ist nicht einfach und hat auch viel Kritik ausgelöst. Warum haben Sie sich diesem Prozess gestellt?

Die Frage, wie heute Glauben geht, beschäftigt nicht nur mich, sondern auch die Menschen vor Ort, die mir immer wieder sagen: „Herr Bischof, wir merken, dass es so nicht weitergeht.“ Eltern müssen feststellen, dass die Kinder den Glauben nicht mehr übernehmen. Großeltern sehen, dass ihre Enkel nicht mehr getauft werden. Wie soll die Kirche im Bistum Trier in Zukunft aussehen? Das wollte ich nicht als Bischof allein entscheiden und habe deshalb beschlossen, mich von der Diözesansynode beraten zu lassen.

Ein Punkt sorgte für den größten Aufruhr: Sie wollen die Pfarreien auflösen und pastorale Räume schaffen. Zum Beispiel könnte die Stadt Koblenz ein einziger pastoraler Raum werden. Wie kann man sich das vorstellen?

Es nützt nichts, wenn wir wie bisher immer mehr Pfarreien miteinander verbinden. Dazu fehlen uns schlicht die Ressourcen. Wir haben dazu zu wenige Ehren- und zu wenige Hauptamtliche. Wenn wir Pfarreien nur zusammenlegen, bleiben sie ja ähnliche Einheiten: Überall versucht man weiter, das gleiche Grundprogramm zu sichern – und das geht nicht mehr. Gleichzeitig aber sind wir heute schon viel mobiler als früher, die Menschen leben längst nicht mehr nur in diesem engen Lebensraum der eigenen Pfarrei. Man denkt ja schon im größeren Raum! Die Leute fahren etwa nach Maria Laach zur Messe, wählen die Gottesdienste danach aus, welche Uhrzeiten ihnen passen, welcher Pfarrer sie in der Predigt anspricht, wie die Gottesdienste gestaltet sind, ob sie zum Beispiel familiengerecht sind. Viele fühlen sich heute schon nicht mehr an ihren Ort gebunden.

Was geschieht mit den Kirchen, die Sie in Zukunft nicht mehr brauchen?

Wenn ein Kirchenraum von der Bausubstanz her in Ordnung ist und gut genutzt wird, muss man sich wenig Sorge machen. Da, wo Menschen einen Raum durch Gebet und Gottesdienst beleben, soll dies weiter möglich sein. Trotzdem müssen wir schauen, was wir uns noch leisten können und was sinnvoll ist. Wir werden nicht alle Kirchen in Funktion halten können.

Wie werden die wenigen Pfarrer in Zukunft verteilt werden? Kann man sich vorstellen, dass Sie zunächst alle Pfarrer wieder zurück nach Trier beordern und dann ganz neu und von vorn dorthin schicken, wo Sie noch ein geistliches Zentrum mit Gottesdiensten haben?

Mir ist bewusst, dass dieses Szenario die große Sorge vieler Menschen ist. Wie die Zuordnung des pastoralen Personals konkret laufen wird, weiß ich auch noch nicht. Es gibt noch keine Beschlüsse dazu.

Was sind die nächsten konkreten Schritte?

Die Steuerungsgruppe, also das Team, das die Umsetzung der Synodenbeschlüsse ausarbeitet, wird bis zum Herbst einen Vorschlag über die weiteren Schritte machen. Darüber werden wir im Oktober innerhalb der diözesanen Gremien beraten. Wir setzen dann die Schwerpunkte: Beginnen wir mit dem Schaffen der pastoralen Räume? Oder mit einer anderen Aufgabe? Ende des Jahres wollen wir einen Fahrplan haben. Zu Beginn des neuen Jahres werden wir mit der Umsetzung beginnen.

Sie setzen in Zukunft auch in der Glaubensvermittlung noch mehr auf Ehrenamtliche. Wo sollen die herkommen?

Es wird wichtig sein, dass wir den Gläubigen vor Ort zeigen, dass wir sie nicht alleinlassen. Wir können nicht hingehen und sagen: „Macht mal.“ Zum Ehrenamt gehört heute auch dazu, dass man die Menschen qualifiziert. Die Frage ist auch: Wo finden wir Menschen, die etwas ganz Bestimmtes gut können? Das müssen ja nicht immer die Eltern von Erstkommunionkindern oder Firmlingen sein. Und es muss möglich sein, dass man sich auch nur in einem Teilbereich oder für ein bestimmtes Projekt engagieren kann. Es ist ja leider oft so, dass die Pfarrei gleich die ganze Hand nimmt, wenn ein Ehrenamtlicher den kleinen Finger reichen will, weil man denkt: „Der oder die ist bestimmt auch noch ein guter Lektor und kann beim Pfarrfest helfen.“ Die Leute dürfen nicht den Eindruck haben, dass sie komplett in Beschlag genommen werden. Begrenzte Engagements müssen möglich sein, man muss spüren, dass man auch wieder aus einer Aufgabe herauskommt.

Gefangen fühlen sich auch viele Priester: Was tun Sie gegen Burn-out-Vorfälle im Bistum?

Burn-out kommt nicht nur durch Überforderung, sondern bei Priestern oft dadurch, dass sie ihre Arbeit als vergeblich empfinden: „Ich ackere und ackere, und die Kirche wird trotzdem leerer.“ Oder der Priester verdoppelt seine Anstrengungen, aber dennoch steigt die Zahl der Kirchenaustritte: So etwas ist schwer zu verkraften, wenn man dann auch noch allein ist. Wir haben deshalb ein Programm aufgelegt, um den Pfarrern die Möglichkeit zu geben, sich untereinander besser auszutauschen und zu stützen. Das hat sehr großen Anklang gefunden.

Warum nützen die Anstrengungen der Pfarrer oft nichts mehr?

Das hat im Tiefsten mit einem fehlenden Gottesglauben zu tun. Die Wirklichkeit Gottes schwindet für die Menschen. In früheren Generationen konnte man sich vieles nicht erklären, da kam Gott viel schneller ins Spiel. Bis Gott in unserer heutigen aufgeklärten Gesellschaft in Sicht kommt, gibt es unzählige andere Erklärungsmethoden. Dass Gott eine Realität in meinem Leben ist, ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Und wenn Gott in die Ferne rückt, verliert auch die Kirche an Plausibilität. Die Priester sprechen von Gott, aber für die Leute klingt das nicht mehr plausibel, wenn sie sich fragen, ob es Gott überhaupt gibt.

Wie wird ein Katholik im Jahr 2040 seine Kirche im Bistum Trier erleben?

Ich denke, dass die flächendeckende Präsenz der Kirche, so wie wir sie heute kennen, verschwunden sein wird. Aber es wird lebendige Knotenpunkte geben: Orte, an denen sich Menschen versammeln, denen der Glaube wichtig ist, die den Glauben feiern und teilen. Diese Menschen werden in Glaubensdingen deutlich sprachfähiger sein – sie werden es sein müssen. Und dadurch kann auch wieder eine neue Attraktivität von Glaube entstehen.

2015 hat sich die Kirche in der Gesellschaft stark eingemischt, als mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Diese Frage hat unser Land gespalten. Mit welcher Sorge haben Sie gesehen, dass mehr als eine Million Menschen, vorwiegend Muslime, in unser Land gekommen sind?

Unser Land als gespalten zu bezeichnen, halte ich für zu dramatisch. Natürlich gibt es viele Diskussionen, bis in die Familien hinein. Aber ich kann nicht erkennen, dass die Gesellschaft gespalten wäre. Natürlich gibt es ernste Anfragen; es gibt Menschen, die sich mit ihren Fragen nicht ernst genommen fühlen, die Angst haben. Es gibt Menschen, die versuchen, aus dieser Angst Kapital zu schlagen. Für mich ist es eine humanitäre Verpflichtung, Menschen auf der Flucht zu helfen, zumal wir an den Krisenherden, die es gibt und die zu dieser Fluchtbewegung geführt haben, nicht ganz unschuldig sind. Selbst wenn ich von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen spreche: Wenn Menschen in ihrer Heimat keine Zukunft mehr sehen für sich und ihre Familie und sich auf einen lebensgefährlichen Weg nach Europa machen, dann kann uns das nicht kalt lassen. Natürlich braucht es eine gerechtere Verteilung der Lasten in Europa. Denn das Problem hat sich – auch wenn die Zahl derjenigen, die bei uns Zuflucht suchen, deutlich abgenommen hat – nicht erledigt. In Syrien herrscht nach wie vor Krieg, der Islamische Staat treibt immer noch sein Unwesen, Staaten in Afrika sind alles andere als sichere Länder. Das muss uns Sorge machen. Wenn wir zugleich selbstbewusst unsere Demokratie und auch unser Christsein leben, brauchen wir keine Angst vor den Muslimen zu haben.

Die Flüchtlingshilfe dockt oft an den Kirchen an. Ist das eine Chance für die Renaissance der Kirche, weil man zeigen kann, wie man Glauben lebt?

Da wäre ich vorsichtig. Flüchtlingshilfe ist ein Dienst an den Menschen. Wir freuen uns über jeden, der mitmacht, wie immer er sonst zur Kirche stehen mag. Dass wir gerade im Bereich der Caritas auf jahrelange Kompetenzen zurückgreifen können und damit Andockpunkte für Engagement bieten, ist natürlich hilfreich. Aber was das für die Kirche bedeutet und ob das zur Stärkung des kirchlichen Lebens beiträgt? Das überlasse ich der Vorsehung.

Hat Sie die Vorsehung bei der Wahl Ihres Generalvikars Georg Bätzing zum Bischof von Limburg überrascht? Was waren Ihre Gefühle?

Die waren gemischt. Natürlich ist es ein schmerzlicher Verlust, Georg Bätzing als engsten Mitarbeiter im Bistum zu verlieren. Aber nach dem ersten Schmerz kann ich die Limburger nur beglückwünschen, und inzwischen wächst der Stolz bei mir, dass wir als „Mutterbistum“ den Limburgern behilflich sein können.

Wird er das Bistum Limburg wieder neu stärken?

Er ist sehr dialogbereit und wirkt vermittelnd und versöhnend. Da ist er der richtige Mann.

Wird er in die umstrittene Residenz einziehen?

Da bin ich überfragt.

Die Trierer Synode hat in ihren Beratungen das Thema, wie man mit wiederverheirateten Geschiedenen umgehen soll, ausgeklammert, weil man Rom nicht vorgreifen wollte. Jetzt hat Papst Franziskus in seinem Schreiben „Amoris Laetitia“ die Einzelfallentscheidung in den Fokus gerückt. Er fordert, dass die Ortspfarrer wohlwollend auf die jeweilige Situation der betroffenen Paare blicken sollen. Wie werden Sie das im Bistum Trier umsetzen?

Die Richtung, in die der Papst weist, ist klar. Sie heißt: integrieren, nicht ausgrenzen. Jeder Gläubige soll spüren, dass er trotz Fehler und Schwächen zur Gemeinschaft der Kirche dazugehört. Ich glaube übrigens, dass der Ansatz von Papst Franziskus sich gut mit dem Abschlussdokument unserer Synode verbindet.

Können sich wiederverheiratete Geschiedene also berechtigte Hoffnungen machen?

Ja. Ich sehe aber auch, dass es noch Hilfestellungen für die Priester und die Betroffenen braucht, um den Einzelfall besser beurteilen zu können und den vom Papst beschriebenen Dreischritt „begleiten – unterscheiden – integrieren“ verantwortlich gehen zu können. Sie sollen spüren: Wir stehen mit unseren Fragen und Überlegungen nicht allein, sondern diese werden von der Kirche insgesamt mitgetragen. Denn nur das ist ja katholisch: es gemeinsam und im großen Zusammenhang der Kirche zu tun.

Das Gespräch führten unser Chefredakteur Christian Lindner und unser Kirchenexperte Michael Defrancesco

Ein Video vom Besuch des Bischofs in unserer Redaktion sehen Sie im Internet unter ku-rz.de/rzbischof

Das Bistum Trier

Das Bistum Trier
Foto: picture-alliance

Das Bistum Trier ist das älteste der 27 deutschen katholischen Bistümer: Trier ist seit dem 3. Jahrhundert Bischofssitz. Heute erstreckt sich das Bistum über die ehemaligen Regierungsbezirke Trier und Koblenz sowie über weite Teile des Saarlandes. Im Bistum leben fast 2,5 Millionen Menschen, davon gut 1,5 Millionen Katholiken. Stephan Ackermann ist seit April 2009 
Bischof. 2013 berief er die Trierer Synode ein, die eine grundlegende Strukturreform forderte.