Bildungspaket kommt nicht gut an

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Berlin/Rheinland-Pfalz – Erst wollte es keiner haben, nun wird es zum „Bürokratie-Monster“ erklärt. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung das Bildungs- und Teilhabepaket für 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien auf den Weg gebracht.

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Berlin/Rheinland-Pfalz – Erst wollte es keiner haben, nun wird es zum „Bürokratie-Monster“ erklärt. Vor einem Jahr hat die Bundesregierung das Bildungs- und Teilhabepaket für 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien auf den Weg gebracht.

Mit Zuschüssen zum Mittagessen, für Nachhilfe, die Mitgliedschaft im Sportverein und die Teilnahme an der Klassenfahrt sollen Kinder, deren Eltern knapp bei Kasse sind, trotzdem gleiche Chancen haben. Die Bilanz zum ersten Jahrestag des Prestigeprojekts von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) fällt nun durchwachsen aus.

Aus Sicht der Grünen hat das Paket sein Ziel gleich völlig verfehlt. Als „bürokratischste Sozialleistung aller Zeiten“ hat der sozialpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Markus Kurth, es bezeichnet. Seinen Berechnungen zufolge entfielen rund 30 Prozent der Ausgaben des Bundes allein auf die Verwaltung. Die Hürden für die Eltern wie für die Träger, eine Inanspruchnahme der Leistungen zu ermöglichen, sind aus Sicht der Grünen viel zu hoch. Es sei ein Fehler, nur Sach-, aber keine Geldleistungen an die Betroffenen weiterzugeben. Dadurch entstünden komplizierte Abrechnungsverfahren, die viel Personal binden.

Auch Gewerkschaften und Sozialverbände sehen ein Jahr nach Einführung des Pakets erheblichen Reformbedarf. Verschiedene Medien zitierten aus einer noch unveröffentlichten Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), wonach 2011 nur ein Fünftel der zur Verfügung stehenden Gelder für Schulbedarf, Mittagessen oder Gutscheine für Vereinsmitgliedschaften abgerufen wurde. Das Paket ist insgesamt 778 Millionen Euro schwer, aber nur 130 Millionen Euro sind den Berichten zufolge im vergangenen Jahr genutzt worden. Laut DGB-Zahlen wurden bundesweit 60 Millionen Euro für den Schulbedarf (Nachhilfe, Lernmittel) abgerufen, 38 Millionen Euro für mehrtägige Klassenfahrten und 14 Millionen Euro für das Mittagessen in Kitas und Horten. Weitere 6 Millionen Euro wurden für die sogenannten Teilhabe-Gutscheine, etwa für eine Vereinsmitgliedschaft, abgerufen.

Harte Worte findet auch der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Er hält das Paket für „definitiv gescheitert“ und mahnt eine „Totalreform“ an. „Insbesondere die Sport- und Musikgutscheine entpuppen sich als Luftnummern, die kaum abgefragt werden“, sagt Schneider. „Statt neuer Perspektiven und echter Teilhabechancen für Kinder in Hartz IV wurde ein neues Bürokratiemonster geschaffen.“ Der Verband fordert eine Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze für Kinder und einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Teilhabe- und Förderleistungen. Vor Ort bei den Kommunen zeichnet sich allerdings ein weit weniger dramatisches Bild ab. Der Geschäftsführer des Landkreistages Rheinland-Pfalz, Burkhard Müller (SPD), etwa bezeichnet die Inanspruchnahme der Mittel im Land von 40 Prozent als „sehr gut“. „Dass wir keine 100-prozentige Abfrage haben würden, war klar, weil Rheinland-Pfalz viele Leistungen schon vorher angeboten hat“, so Müller. Der Kommunalpolitiker räumt zwar ein, dass die Abläufe zum Teil „sehr bürokratisch“ sind und dafür viel Personal eingesetzt werden muss. „Es überwiegen aber die Vorteile. Das Bildungspaket kommt an“, sagt Müller. In Rheinland-Pfalz könnten nach Angaben des Sozialministeriums etwa rund 125 000 Kinder und junge Erwachsene unter 25 Jahren Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch nehmen. Das Ministerium konnte keine Angaben dazu machen, wie viele Menschen im Land von dem Paket profitieren. Aus Gesprächen mit den Kommunen sei jedoch bekannt, dass die Nachfrage „erfreulich gestiegen“ ist. Arbeitsministerin Malu Dreyer hält das Paket für „einen Schritt in die richtige Richtung“. Oftmals stünde aber die bürokratische Umsetzung, etwa beim Zuschuss für das Mittagessen, in keinem Verhältnis zu den Leistungen.

Nicht einmal in der Unionsfraktion im Bundestag sind alle glücklich mit dem Paket. CSU-Bildungspolitiker Albert Rupprecht hält die Abläufe ebenso für zu kompliziert. „Ich halte es für notwendig, das Bildungspaket nach zwei Jahren zu überprüfen“, sagt er. Zum Teil werde wertvolles privates Engagement durch die neuen Leistungen ersetzt. „Das Ziel, den Kindern eine bessere Bildung zuteil werden zu lassen, wird aber nicht erreicht.“ Das Problem sei ohnehin nicht die Finanzierung des Schulausflugs. „Wir brauchen mehr Lehrer und Sozialarbeiter, die die Zeit und die Kompetenz haben, sich um die Kinder zu kümmern.“ Rupprecht will mit anderen Bildungspolitikern der Unionsfraktion im Bundestag eine Kommission aus Bund, Ländern und Kommunen einrichten, die eine künftige Zusammenarbeit beim Thema Bildungschancen erörtern soll.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich erst vor Kurzem persönlich dafür ausgesprochen, das Paket zu überprüfen. Das klingt angesichts von so viel Kritik durchaus bedrohlich. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die an diesem Freitag ihre eigene Bilanz vorstellen will, wird wohl noch einmal nachbessern müssen.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann