Bilanz: Muslime in Deutschland sind sichtbar geworden

Männer beten am „Tag der offenen Moschee“ in Berlin. Die Islamkonferenz, die seit 2006 regelmäßig tagt, hat dazu beigetragen, dass Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland mehr übereinander wissen.
Männer beten am „Tag der offenen Moschee“ in Berlin. Die Islamkonferenz, die seit 2006 regelmäßig tagt, hat dazu beigetragen, dass Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland mehr übereinander wissen. Foto: DPA

Berlin. Gut sieben Jahre nach ihrem Beginn ist die Islamkonferenz umstrittener denn je. Muslimische Verbände fordern ihre „Generalüberholung“, das Bundesinnenministerium soll am besten gar nicht länger zuständig sein. Das einzigartige Gremium, das der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2006 mit dem Anspruch ins Leben rief, „dass Muslime verstehen, dass sie in unserem Land willkommen sind“, läuft Gefahr, zerredet zu werden.

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Doch das wäre trotz viel berechtigter Kritik ein Fehler. Die Islamkonferenz hat wichtige Debatten angestoßen, die ohne sie vielleicht nie geführt worden wären. Um die Fortschritte zu sehen, hilft ein Rückblick. Die Konferenz entstand in einer Zeit, als Vorurteile und Ängste die Sicht der Mehrheitsgesellschaft auf Muslime in Deutschland bestimmten. Muslime dagegen sahen sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und weiteren Attentaten in Madrid und London einem permanenten Generalverdacht ausgesetzt.

Bei der Islamkonferenz wurde erstmals die Vielfalt des Islams in Deutschland sichtbar. Sie zeigte Grautöne statt Schwarz-Weiß-Gemälde. Verbände wie der Zentralrat der Muslime hatten plötzlich ein Gesicht, und dass es in Deutschland eine organisierte türkische Gemeinde gibt und welche Ansprüche sie hat, wurde erstmals in einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert. „Die breite Öffentlichkeit hat ein anderes, ein differenzierteres Bild vom Islam bekommen“, lobte ihr Vorsitzender Kenan Kolat einerseits.

Erstmals wurde auch eine Studie erhoben darüber, wie muslimisches Leben in Deutschland eigentlich aussieht. Der hilfreiche Befund: Den einen Islam gibt es nicht. Die Religion kennt viele Richtungen und Unterarten, von einem fundamentalistischen Beharren auf den Gesetzen des Korans, bis hin zu liberaleren Gruppen, Aleviten und fundamentaler Opposition des „Zentralrats der Ex-Muslime“.

Bis heute liegt in der Erkenntnis seiner Vielfalt auch Vorwurf und Knackpunkt der oft beklagten mangelnden Handlungsfähigkeit der Islamkonferenz. Von staatlicher Seite wird vermisst, dass „die Muslime“ mit einer Stimme sprechen. Deshalb wisse man nicht, mit wem man überhaupt für alle Vertretbares und Verbindliches verabreden könnte. Und von muslimischer Seite wehren sich die einen dagegen, dass die anderen sich zu ihrem Sprachrohr erklären.

Die Debatten offenbarten auch viel über ihre Wortführer. Es hat deshalb nicht geschadet, sie zu führen. Ein wesentliches Ziel der Konferenz aus muslimischer Sicht, den Islam nämlich als Religionsgemeinschaft in Deutschland anzuerkennen, wurde allerdings auch wegen der Vielstimmigkeit der Verbände nicht erreicht. Der „Zentralrat der Muslime“ zog sich vor zwei Jahren mit der Begründung aus dem Gremium zurück, dass kein Dialog auf Augenhöhe geführt werde. Andere Muslime sahen sich durch den Zentralrat ohnehin nur unzureichend vertreten.

Ein weiterer Teilnehmer, der Islamrat, wurde von staatlicher Seite ausgeschlossen, weil gegen den extremistischen Mitgliedsverband Milli Görüs ermittelt wurde. Ein letzter prominenter Abgang begleitete die Diskussion um Sinn oder Unsinn der Islamkonferenz im vergangenen Jahr. „Unter Innenminister Friedrich erwarte ich keine Fortschritte mehr“, begründete die Bochumer Islamwissenschaftlerin Armina Omerika ihren Rückzug.

Das Problem der aktuellen Kritik scheint derzeit eher ein personelles zu sein: Friedrich, der das Innenressort 2011 übernahm, hat einen unglücklichen Start hingelegt. Als Antwort auf die von vielen Muslimen in Deutschland viel beachtete Äußerung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU), der Islam gehöre zu Deutschland, stellte Friedrich klar, dass er dies anders sieht.

Die wortklauberische Debatte führte dazu, dass er fortan bei muslimischen Verbänden eher auf Misstrauen traf. Dass ihm das Thema, wie Muslime in Deutschland leben, tatsächlich am Herzen liegt, nehmen ihm die wenigsten ab. Zuletzt habe er die Islamkonferenz als Vehikel für seine Sicherheitspolitik missbraucht, heißt nun der Vorwurf. Doch auch wenn es knirscht: Seit es die Islamkonferenz gibt, sind Muslime in Deutschland viel hör- und sichtbarer geworden. Sie haben zu vielen Fragen klar Stellung bezogen, etwa Zwangsheirat und häusliche Gewalt verurteilt. Das sind wichtige Signale, die man nicht klein- und schon gar nicht zerreden sollte.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann