Bewusst Konsumieren: Ein Fall fürs Reparatur-Café statt für den Müll

Das Röhrenradio ist noch zu retten.
Das Röhrenradio ist noch zu retten. Foto: Bernd Eßling

Rheinland-Pfalz – Europa muss sich aktiv dafür einsetzen, das Reparieren als eine Alternative zum Wegwerfen und neu Kaufen zu promoten. Das sagte die deutsche Umweltministerin Barbara Hendricks am 7. April auf dem Europäischen Forum für Öko-Innovation in Hannover. Und seitdem gibt es in deutschen Städten immer mehr Repair-Cafés. Da wird Altes wieder neu.

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Von unserer Redakteurin Claudia Renner

„Komm besser pünktlich, es ist immer viel los“, haben Freunde mir geraten. Wenn das Repair Café im Haus der evangelischen Kirche in Mainz einmal im Monat öffnet, sind um die 100 Leute dabei.Auch ich stehe jetzt da mit einem schweren Karton und muss hinauf in den vierten Stock. In dem Karton: ein Röhrenradio von 1958. Es hakt bei der Senderwahl, und die Mittelwelle geht gar nicht mehr. Wegwerfen kommt aber nicht infrage. Zwar besitze ich eine leidlich moderne Musikanlage, sogar ein Digitalradio. Das wird aber nie so samtig klingen wie die guten alten Röhren. Außerdem hat es kein magisches Auge. Endlich ist der Aufzug da.

Eine Mischung aus Gewusel und Konzentration erfüllt den großen Seminarraum, der für diesen Abend wieder zur Werkstatt geworden ist. Experten im Ehrenamt, meist Ruheständler aus Handwerk und Technikberufen, beugen sich über geöffnete Gehäuse. Es dominiert die Unterhaltungselektronik. Bis mein Radiosaurier an der Reihe ist, kann es dauern.

Wie in einem Wartezimmer sitzen etwa zehn Ratsuchende, auf dem Schoß ihr technisches Sorgenkind. Johanna Artinger hat einen kaputten Kassettenrekorder dabei. „Er ist halt so schön klein und handlich“, sagt die frischgebackene Ruheständlerin. Seit mehr als zehn Jahren ist das Gerät im Dienst, in der Küche und beim Bügeln nicht mehr wegzudenken. Auf CD-Player umzusteigen, bringe nichts, sagt Artinger. „Ich hab doch so viele Sprachlern-Kassetten.“

Auf einem Tisch weiter hinten offenbart ein Hi-Fi-Verstärker sein labyrinthisches Innenleben. Rainer Hornig tastet mit feinen Messfühlern von Kondensator zu Kondensator. In seinem Berufsleben hat der 72-Jährige unter anderem Hochgeschwindigkeitsrechner gebaut und war „Fehlerfinder“ für die Bordelektronik von Flugzeugen. Außer im Repair Café hilft er ehrenamtlich bei der Mainzer Tafel. „Sich im Alter eine Struktur zu schaffen, ist was Tolles“, sagt Hornig und vertieft sich wieder in den Verstärker. „Ein altes, aber sehr gutes Gerät“, sagt er anerkennend. „Ich kenn es von Kindesbeinen an“, sprudelt es aus dem Besitzer Hubertus heraus. „Für Jüngere wäre es sicher ein Ausschlusskriterium, dass er keine Fernbedienung hat. Aber ich weiß, was für einen klaren Sound er hat.“

Jürgen Klute hat gerade einen betagten Radiorekorder in der Mache. Das Symptom: Bandsalat. Aufmerksam äugt der Experte hinein, schiebt vorsichtig ein kleines Teil beiseite. „Da sitzt die Kupplung dahinter, die ist abgenutzt“ – so weit die Diagnose. In diesem Fall leider ohne Therapie: „Nein, tut mir leid. Den kriegen wir nicht mehr hin.“ Der Besitzer bedankt sich trotzdem. Wenigstens weiß er jetzt Bescheid.

Zufrieden lässt Gisela Apitzsch den Blick über die Geschäftigkeit schweifen. Die Referentin für das Thema „gesellschaftliche Verantwortung“ beim evangelischen Dekanat Mainz hat das Repair Café vor gut einem Jahr ins Leben gerufen, und es ist gleich voll eingeschlagen. „Es ist eine tolle Initiative für soziales Miteinander“, schwärmt sie.

Ganz praktisch lassen sich gleich mehrere Ziele verbinden: Ressourcenschonung, bewusstes Konsumieren und soziale Integration. Jeweils spezielle Gruppen werden mit dem gleichzeitig stattfindenden Kleidertauschtreff und einer offenen Fahrradwerkstatt angesprochen. „Der evangelischen Kirche liegt viel daran zu sagen, wir haben nur die eine Erde und keine zweite im Kofferraum.“ Eine Konkurrenz zum Fachhandel will das Repair Café aber auf keinen Fall sein, betont Apitzsch. „Hier wird nur instand gesetzt, was sonst keiner mehr repariert.“

Inzwischen hat einer der Experten die Rückwand meines Radios abgeschraubt. Die Röhrenlandschaft da drin sieht aus wie ein Zementwerk – alles von einer weißlichen Staubschicht bedeckt. Verschmutzung, so der Experte, ist schuld daran, wenn die Senderwahl nicht mehr funktioniert oder Tasten keinen Kontakt mehr bekommen. Abhilfe ist simpel: Saubermachen, mit Spezialreiniger und feinsten Bürstchen. Zum nächsten Repair Café bringt er beides mit, verspricht mir der Experte. Ich möchte ihm um den Hals fallen. Bis mir einfällt, was das bedeutet: Dieses Monster von Radio in vier Wochen noch einmal hierher schleppen. Aber was tut man nicht alles.