Berlin

Berlin-Terror: Neue Details kommen ans Licht

Die Nacht des Terrors: Anis Amri hat kurz zuvor einen Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gelenkt.  Foto: dpa
Die Nacht des Terrors: Anis Amri hat kurz zuvor einen Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gelenkt. Foto: dpa

Seit zwei Wochen verfolgen Ermittler europaweit die Spur des Berlin-Attentäters Anis Amri. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten und mehr als 50 Verletzten kommen nur spärlich Details ans Licht. Zentrale Fragen sind noch immer offen. Jetzt gibt es Antworten zur Flucht – und Ermittlungen zu möglichen Helfern.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Was wir wissen:

Über die Tat. Am 19. Dezember 2016 rast der 24-jährige Anis Amri mit einem Lastwagen in eine Budengasse des Weihnachtsmarkts an der Berliner Gedächtniskirche. Elf Menschen sterben, ein weiterer Toter wird im Lkw-Führerhaus entdeckt: der aus Polen stammende eigentliche Fahrer. Ein automatisches Bremssystem stoppt das Fahrzeug nach 70 bis 80 Metern und verhindert eine größere Tragödie.

Über den Täter Anis Amri: Die Bundesanwaltschaft hält Amri für den Täter: „Nach unseren Erkenntnissen, nach all dem, was wir zusammengetragen haben, gehen wir davon aus, dass Anis Amri den Anschlag begangen hat“, sagt eine Sprecherin.

Über die Stunden vor der Tat: Am Abend zuvor trifft sich Amri laut Bundesanwaltschaft mit einem Bekannten in einem Restaurant im Stadtteil Gesundbrunnen. Die beiden reden dort sehr intensiv miteinander. Am Tattag versucht Amri vor- und nachmittagsn einen ehemaligen Mitbewohner anzurufen. Die Bundesanwaltschaft weiß aber nicht, ob sie tatsächlich miteinander gesprochen haben.

Bereits am Nachmittag ist Amri in der Straße, wo er später den Lastwagen mitnimmt. Dann fährt er zu einer in der Nähe gelegenen und als Salafisten-Treffpunkt bekannten Moschee, die Amri nach Ermittlererkenntnissen häufig besucht hat. Gegen 19.30 Uhr kommt der Tunesier laut Bundesanwaltschaft zurück zum Lastwagen. Hier schießt er auf den polnischen Fahrer – das hat die Analyse der Schmauchspuren ergeben. Dann fährt er in Richtung Weihnachtsmarkt.

Über Amris Leben in Deutschland: Nach Deutschland kommt er im Juli 2015. Zuvor ist er in Italien registriert, sitzt dort auch im Gefängnis. In Deutschland hält er sich in Nordrhein-Westfalen und Berlin auf. Er nutzt mehrere Identitäten, weswegen in Duisburg und Berlin gegen ihn ermittelt wird. Sein Asylantrag wird abgelehnt, er kann aber nicht nach Tunesien abgeschoben werden, da nötige Papiere aus dem nordafrikanischen Land fehlen. Amri wird von Sicherheitsbehörden als sogenannter islamistischer Gefährder geführt und etwa ein halbes Jahr lang überwacht. Man traut ihm zu, ein Attentat zu verüben. Beweise für konkrete Anschlagspläne finden die Ermittler damals nicht.

Über den eigentlichen Lkw-Fahrer: Der Pole Lukasz U. wird im Lkw-Führerhaus gefunden. Laut Bundesanwaltschaft hat Amri vor der Terror-Fahrt auf ihn geschossen. Eine dritte Person sei nicht in der Fahrerkabine gewesen.

Über die Waffe: Im Lkw-Führerhaus wird eine Schusswaffe, Kaliber 22, abgefeuert. Auch nach Amris Schusswechsel mit den Polizisten in Italien wird ein Projektil Kaliber 22 gefunden. Laut Bundesanwaltschaft stammen die Projektile von derselben Waffe.

Über die Opfer: Zehn der Todesopfer hatten ihren Wohnsitz in Deutschland. Drei davon waren Ausländer.

Über die Flucht: Direkt nach der Flucht wird am Bahnhof Zoo ein Mann gefilmt, den die Bundesanwaltschaft für Amri hält. Er zeigt in die Kamera den ausgestreckten Zeigefinger – ein Zeichen, das von IS-Anhängern genutzt wird. Danach reist er über die Niederlande, Belgien und Frankreich nach Italien. Überwachungskameras filmen ihn am 21. Dezember in Nimwegen und Amsterdam in den Niederlanden. Am späten Nachmittag fährt er laut niederländischer Staatsanwaltschaft mit dem Zug direkt nach Brüssel. Später wird er in Lyon, Turin und Mailand in Bahnhöfen gefilmt.

Was wir nicht wissen:

Hatte Amri Komplizen und Mitwisser? Das ist weiterhin unklar. Die Ermittler wissen noch nicht, an wen Amri unmittelbar vor dem Attentat aus dem Fahrerhaus des Lkw eine Sprachnachricht und ein Foto geschickt hat. Ein Bekannter Amris wird am 3. Januar in Berlin vorläufig festgenommen – allerdings wegen Leistungsbetrug. Der Verdacht, er könne in die Tat eingebunden gewesen sein oder zumindest von ihr gewusst haben, erhärtet sich zunächst nicht ausreichend für einen Haftbefehl.

Die Ermittler hatten am 29. Dezember in Berlin bereits einen 40-jährigen Tunesier als mögliche Kontaktperson festgenommen, ihn aber wieder gehen lassen, weil sich der Verdacht nicht erhärtete.

Wie gelang Amri die Flucht? Zwei Tage nach dem Anschlag ist Amri in Nimwegen in den Niederlanden. Wie er dorthin gelangt und was er bis dahin macht, ist nicht abschließend geklärt. Laut Bundesanwaltschaft gibt es Erkenntnisse, wonach er über Nordrhein-Westfalen gereist ist. Das muss aber noch weiter untersucht werden.

Wie kam Amri an die Tatwaffe, eine Pistole? Das stellt die Ermittler noch vor Rätsel. Die Ermittlungen seien schwierig, weil die Herstellerfirma Erma Ende der 90erJahre Insolvenz angemeldet hat, sagte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft.

Wie kam Amri an den Lastwagen? Die Bundesanwaltschaft untersucht noch, ob er möglicherweise schon in Italien Kontakt zu dem später in Berlin getöteten polnischen Fahrer hatte. Es gebe dazu aber bislang keine Erkenntnisse. Der Fahrer hatte mit seinem Lkw am 19. Dezember Stahlteile aus Italien nach Berlin-Moabit gebracht, wo Amri den Lastwagen kaperte. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass der Tunesier Vorkenntnisse zur Bedienung des Lkw hatte.

Wie konnte Amri untertauchen? Das ist unklar. Laut Berliner Generalsstaatsanwaltschaft konnte er etwa zum Ende seiner Überwachung im September in der Hauptstadt „nicht mehr festgestellt werden“. Anschließend war er Berichten zufolge aber noch Thema im Gemeinsamen Terrorabwehrzen-trum von Bund und Ländern. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen warnte der marokkanische Geheimdienst noch im September und auch im Oktober vor Anschlagsplänen Amris.

Von Theresa Münch, Sebastian Engel, Jörg Blank