Berlin und Paris streiten über Kurs der NATO

Brüssel (dpa) – Deutschland und Frankreich streiten offen über den Kurs einer neuen NATO. Berlin unterstützt ausdrücklich den geplanten Raketenschirm der Allianz in Europa und pocht auf ein Signal für Abrüstung beim NATO-Gipfel in Lissabon Mitte November.

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Brüssel – Deutschland und Frankreich streiten offen über den Kurs einer neuen NATO. Berlin unterstützt ausdrücklich den geplanten Raketenschirm der Allianz in Europa und pocht auf ein Signal für Abrüstung beim NATO-Gipfel in Lissabon Mitte November.

Paris bremst hingegen und beharrt insbesondere auf der Bedeutung seiner Nukleararsenale. Der französische Verteidigungsminister Hervé Morin verglich am Donnerstag in Brüssel den Raketenschirm mit dem weitgehend wirkungslosen Bunkerwall (Maginot-Linie), der Frankreich im Zweiten Weltkrieg vor einer deutschen Invasion schützen sollte.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zeigte sich nach einer Ministerkonferenz jedoch zuversichtlich, bis zum Spitzentreffen in Lissabon einen Kompromiss zu finden. Der Däne will am Freitag in Paris mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy zusammentreffen.

Der italienische Außenminister Franco Frattini sagte: «Die französische Position hat vor allem die Bedeutung der Nuklear-Mächte betont.» Er fügte hinzu: «Das ist etwas, was die Deutschen nicht unterstreichen. Darüber gibt es einen deutsch-französischen Dissens, das wurde heute bestätigt.»

Mit der Raketenabwehr soll der Kontinent mit Milliardenaufwand gegen Bedrohungen aus dem Iran oder anderen Ländern geschützt werden. Auch Russland könnte eingebunden werden. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte: «Wir sehen durchaus langfristig Chancen, dass ein funktionierender Raketenschirm auch den einen oder anderen Abrüstungsschritt nach sich ziehen könnte.»

Sein US-Amtskollege Robert Gates widersprach, er sehe keinen Zusammenhang zwischen Raketenabwehr und den Möglichkeiten zu atomarer Abrüstung. «Ich habe nichts über eine Verbindung zwischen Raketenabwehr und Abbau von Atomwaffen gehört.»

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, Abrüstung und Rüstungskontrolle müssten «Markenzeichen unseres politischen Bündnisses» sein. Die Pariser Vorbehalte nahm der Berliner Minister gelassen auf: In Verhandlungen baue jeder auf bestimmten Positionen auf, «um anschließend vom Ergebnis her möglich viel in seine Richtung zu bewegen».

Die Staats- und Regierungschefs der Allianz wollen bei ihrem Treffen in Portugal am 19. und 20. November auch eine neue Strategie beschließen, die als eine Art «Grundgesetz» die Aufgaben des Militärbündnisses bis 2020 festschreibt.

Die nukleare Abrüstung wird in der bisher offiziell geheim gehaltenen Strategie zwar thematisiert, konkrete Schritte wie der von Westerwelle angestrebte Abzug der vermutlich noch 10 bis 20 in Deutschland stationierten Atomsprengköpfe sind darin aber nicht enthalten.

Zu den Kosten des Raketenabwehr-Projekts für Deutschland gab es keine konkreten Angaben. Laut Diplomaten dürften die Kosten inklusive des Aufbaus von Abfangraketen in den Mitgliedstaaten Milliardenhöhe erreichen.

Um Mittel für ihre ehrgeizigen Pläne freizuschaufeln, spart die NATO bei der Verwaltung. Die Zahl der Hauptquartiere wird von 11 auf maximal 7 verringert. Die Zahl der dort Beschäftigten wird von 12 500 auf unter 9000 sinken. Die Zahl der NATO-Agenturen wird von 14 auf 3 schrumpfen. Welche Standorte betroffen sind, wird erst später entschieden.

In Deutschland gibt es mit dem Headquarters Allied Force Command Heidelberg und dem Headquarters Allied Air Command Ramstein zwei Hauptquartiere der NATO. Die Zentrale der AWACS-Flotte der NATO im rheinischen Geilenkirchen zählt offiziell nicht als Hauptquartier.

Die Ressortchefs der 28 NATO-Staaten debattierten auch über den Afghanistan-Einsatz, den größten der Allianz. US-Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates verteidigten die afghanischen Bemühungen um eine «nationale Aussöhnung».

Rasmussen sagte, die Allianz sehe keine Probleme, in Afghanistan Kontakte der radikalislamischen Taliban mit der afghanischen Regierung zu ermöglichen. «Unsere Position ist: Wenn wir den Aussöhnungsprozess durch praktische Hilfe erleichtern können – warum nicht?»