Berlin

Baustelle Rente: Angst vor der Armut im Alter

In diesen Wochen haben es alle Arbeitnehmer wieder schwarz auf weiß: Die Deutsche Rentenversicherung Bund informiert jeden darüber, wie hoch seine gesetzliche Rente beim Eintrittsalter voraussichtlich ausfallen wird. Bei vielen ist die Prognose erschreckend gering. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will deshalb unbedingt die Zuschussrente einführen – und erntet dafür viel Kritik.

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Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Debatte um die drohende Armut im Alter: Warum sind die niedrigen Renten plötzlich Thema?

Bundesarbeitsministerin von der Leyen hat Zahlen vorgelegt, wonach künftige Rentner weit weniger Geld erhalten als bisher angenommen. Danach droht Arbeitnehmern, die mehr als 35 Jahre Vollzeit gearbeitet und weniger als 2500 Euro brutto verdient haben, ab 2030 Altersarmut. Denn sie würden eine Rente unterhalb des Grundsicherungsbetrags von 688 Euro erhalten, schreibt von der Leyen in ihrem Brief an die Junge Gruppe der Unionsfraktion, die sie von ihrem Konzept der Zuschussrente überzeugen will. Alle, die weniger als 2500 Euro verdienten, müssten deshalb mit dem Eintritt ins Rentenalter „zum Sozialamt“ gehen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Viele Menschen sind angesichts des „Armutsszenarios“, vor dem die Ministerin warnt, verunsichert.

Sind von der Leyens Zahlen glaubwürdig?

Experten halten die Zahlen der Arbeitsministerin für übertrieben. Die Deutsche Rentenversicherung, die sich selten politisch äußert, kritisiert, dass von der Leyen in ihren Berechnungen weder Kindererziehungs- noch Pflegezeiten berücksichtigt. Die Behörde weist auch darauf hin, „dass eine niedrige gesetzliche Rente nicht zwangsläufig mit Armut im Alter gleichzusetzen ist“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ aus einem Schreiben der Rentenversicherung. Das Einkommen des Ehepartners müsste ebenfalls berücksichtigt werden. Außerdem werde das gesetzliche Rentenniveau im Alter zwar geringer. Bei denjenigen, die zusätzlich vorsorgen, falle es jedoch insgesamt höher aus als heute. Auch Franz Ruland, Vorsitzender des Sozialbeirats, der die Bundesregierung berät, bezeichnete die Zahlen als „ärgerlich“. Die Berechnungen gingen davon aus, dass Arbeitnehmer 35 Jahre lang einzahlen. Die Altersgrenze wird jedoch zurzeit von 65 auf 67 Jahre angehoben. Viele Versicherte kommen laut Ruland deshalb schon heute auf mehr Arbeitsjahre – und damit auch auf höhere Rentenansprüche.

Steigt das Risiko der Altersarmut wirklich?

Ja, wenn nicht privat vorgesorgt wird – und das kann oder will sich nicht jeder leisten. Viele Versicherte setzen nach wie vor allein auf die gesetzliche Rentenversicherung, obwohl das Rentenniveau nach aktueller Gesetzeslage stetig weiter sinkt – 2030 liegt es noch bei 43 Prozent des Einkommens eines Durchschnittsverdieners. Zum Vergleich: 1977 lag das Niveau noch bei 59,8 Prozent. Damit soll der Rentenbeitrag, der zurzeit bei 19,6 Prozent liegt, auch mit immer weniger Arbeitnehmern bezahlbar bleiben. In der immer älter werdenden Gesellschaft mit immer weniger Nachwuchs soll die Rente für alle auf diese Weise weiter finanzierbar sein. Allerdings reicht sie allein nicht zum Leben aus. Experten wie Bert Rürup kritisieren: „Man kann nicht lebenslang jemanden in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen und dann am Ende eines Arbeitslebens, in dem er durchweg vollzeitig beschäftigt war, auf die Fürsorge verweisen.“ Aus seiner Sicht muss es deshalb „eine Zuschussrente, Aufstockrente, Sockelrente“ geben. Rürup rechnet allerdings nicht damit, dass daraus bis zur nächsten Bundestagswahl etwas wird.

Was ist die Zuschussrente?

Ursula von der Leyen gibt sich dagegen siegesgewiss. „Die Zuschussrente wird kommen“, bekräftigte sie jetzt noch einmal, obwohl Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits vor „Alarmismus“ bei dem Thema warnt. Mit dem Zuschuss will von der Leyen die gesetzliche Niedrigrente auf bis zu 850 Euro aufstocken – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Geringverdiener über Jahrzehnte in die Rentenkasse eingezahlt und auch privat vorgesorgt hat. Von der Leyen ist überzeugt, dass so Anreize gesetzt werden für Geringverdiener, privat vorzusorgen, etwa mit der Riester-Rente.

Was ist die Kritik an dem Vorschlag?

Kritiker halten die Zugangshürden für die Inanspruchnahme der Zuschussrente für viel zu hoch. Sie befürchten, dass Millionen Menschen dabei leer ausgehen würden. Die FDP ist strikt gegen das Konzept, weil sie es für ungerecht hält. Die Rente in Deutschland sei nun einmal „beitragsbezogen“, sagte Fraktionschef Rainer Brüderle. „Wer mehr zahlt, bekommt auch mehr.“ Daran soll nach dem Willen der Liberalen nicht gerüttelt werden. Auch in der Union gibt es Widerstand gegen von der Leyens plötzlichen Vorstoß – auch, weil er Geld kostet. Entweder müsste man die Rentenbeiträge erhöhen, die man angesichts der derzeit guten Lage am Arbeitsmarkt eigentlich senken wollte, oder man müsste alle Steuerzahler für die Zuschussrente zur Kasse bitten. Auch die Gewerkschaften stellen sich gegen die Zuschussrente, allerdings aus anderen Gründen. Sie wollen, wie auch der linke Flügel der SPD, die geplante Absenkung des Rentenniveaus stoppen – und dafür die Beiträge auf bis zu 22 Prozent anheben. Eine Beitragssenkung von 19,6 auf 19,0 wie sie die Bundesregierung plant, ist laut DGB nicht „generationengerecht“.

Von unseren Berliner Korrespondentinnen Rena Lehmann und Birgit Marschall