Auf Sommerreise: Kurt Beck lächelt die Krise am Ring weg

Trotz der Insolvenz des Nürburgrings ist die Mehrheit der rheinland-pfälzischen Bürger der Ansicht, dass Ministerpräsident Kurt Beck im Amt bleiben sollte.
Trotz der Insolvenz des Nürburgrings ist die Mehrheit der rheinland-pfälzischen Bürger der Ansicht, dass Ministerpräsident Kurt Beck im Amt bleiben sollte. Foto: DPA

Ministerpräsident Kurt Beck hat das Desaster an der Rennstrecke Nürburgring äußerlich gut weggesteckt – und sieht es nur noch als ein Thema von vielen, um das er sich kümmern muss.

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Ministerpräsident Kurt Beck hat das Desaster an der Rennstrecke Nürburgring äußerlich gut weggesteckt – und sieht es nur noch als ein Thema von vielen, um das er sich kümmern muss.

Rheinland-Pfalz. Irgendwie hatte es etwas ungewollt Symbolisches – wie so vieles bei der traditionellen Sommerreise des Ministerpräsidenten. Kurt Beck und sein Tross an Journalisten und Mitarbeitern stoppten an der Mainzer Universität, um Rheinland-Pfalz als modernen Wissenschaftsstandort zu präsentieren. Dort sprach der Mainzer Teilchenphysiker Achim Denig ausgerechnet von der Erforschung der „dunklen Materie“, deren Existenz manche Wissenschaftler auch am Rande jener rätselhaften schwarzen Löcher vermuten, die im Kosmos alles verschlingen, was in ihren Sog gerät. Derart unkalkulierbare Phänomene prägen nicht nur die Astro- und Teilchenphysik, sondern zuweilen auch die rheinland-pfälzische Landespolitik – man muss nur an all die unbezifferten Risiken und Finanz-Löcher denken, die die Nürburgring-Pleite in den Landeshaushalt gerissen hat. Mainz als Hochburg, um die dunkle Materie zu erkunden? Da gäbe es auch politisch einige spannende Ansatzpunkte.

Kneifen gibt's nicht

Beobachter hatten schon gemutmaßt, dass der politisch angeschlagene Ministerpräsident dieses Jahr auf seine Sommerreise verzichten würde. Warum sollte er sich wenige Wochen nach dem politischen Totalschaden an der Eifel-Rennstrecke den Fragen mehrerer Dutzend Journalisten aus der ganzen Republik aussetzen? Doch der Ausflug fand statt, und Kurt Beck schien ganz der Alte – ein Landesvater, der etwas wegstecken kann. Mit dem weiter zu rechnen ist. Für den der Nürburgring nur eines von vielen Themen ist, um die er sich kümmern muss. Der die Krise weglächelt. Nur in wenigen Momenten wirkte er angestrengt bei dem Bemühen, die perfekt inszenierte Normalität aufrechzuerhalten.

Reisekulisse war die rheinhessische Toskana im schönsten Sonnenschein. Die erste Botschaft setzt Beck gleich zum Auftakt. Der Aufbruch verzögert sich, weil der Ministerpräsident zuvor noch die Opel-Betriebsräte am Telefon hatte. Wichtige „Signale an die Arbeitnehmerschaft“ wurden gesendet. Becks flammender Appell: Die öffentliche Hand soll mehr Opel kaufen. Dann geht es im Schweinsgalopp durch die Tagespolitik: Das Steuerabkommen hat ihn bereits frühmorgens umgetrieben. Dagegen will der Strippenzieher im Bundesrat die SPD-Länder in Stellung bringen. „Da können wir uns nicht unterwerfen“, schimpft Beck, „das wäre nicht im Sinne aller ehrlichen deutschen Steuerzahler.“

Und natürlich hat er auch schon mit den Sanierern am Nürburgring telefonieren lassen. Er stärkt ihnen im Konflikt mit den Pächtern, die nun endgültig keine Pacht mehr zahlen wollen, den Rücken. Freilich, ohne groß über Einfluss zu verfügen. Aber die Botschaft ist klar: Beck ist handlungsfähig, packt an, hat im Land alles im Griff. Rücktritt? Kein Thema. Schwungvoll bittet er in den Reisebus. Seine Gäste sollen sehen, wie liebenswürdig Rheinland-Pfalz ist, wie idyllisch das rheinhessische Hügelland, aber auch, wie leistungsstark Wirtschaft und Wissenschaft sind. An der Uni geht es zum Institut für Molekulare Biologie (IMB). Dort wird Grundlagenforschung auf höchstem Niveau betrieben.

Von den Höhen der Wissenschaft führt die Reise ins beschauliche Rheinhessen. Idyllische Weinberge. Kleine Dörfer und Straußwirtschaften. Beck blüht auf. Scheint bestens aufgelegt. Der Ministerpräsident mag Ursprüngliches, Handgemachtes, Bodenständiges. Dieses Interesse führt ihn in die frühere „Villa Merkel“. Dort, in Flörsheim-Dalsheim, vertreibt das „Sekthaus Raumland“ Spitzenerzeugnisse. Beck probiert und genießt. Für einen weiteren Moment ist die Welt in Ordnung.

E-Mails gegen den Rücktritt

Wo Beck hinkommt, da klicken noch immer viele Kameras. Da wollen Menschen Autogramme. Da bildet sich eine Traube um ihn. Er begrüßt, scherzt, erzählt hemdsärmelig Anekdoten. Unzählige Briefe und E-Mails will er bekommen haben, in denen Bürger ihn auffordern, jetzt nicht das Handtuch zu werfen. Beck fühlt sich von unten getragen. Und er achtet stets darauf, ein paar persönliche Worte auch an die kleinen Angestellten zu richten.

Die Ministerinnen Doris Ahnen (SPD), Ulrike Höfken und Eveline Lemke (beide Grüne), die Beck etappenweise begleiten, sind eher Statisten in Becks Gute-Laune-Show. Zwischen Rot und Grün passt, so scheint's, nicht mal das Blatt einer Weinrebe.

Um den Nürburgring kommt der Ministerpräsident natürlich trotzdem nicht herum. „Das waren schwere, sehr schwere Wochen“, sagt er. Und er räumt Fehler ein. „Wir haben zu groß gebaut.“ Die Hoffnung, dass sich der Ring „auch betriebswirtschaftlich trägt, hat sich nicht erfüllt“, gibt er zu. Doch eigentlich will er immer den volkswirtschaftlichen Nutzen als Legitimation für die investierten Landesmillionen gesehen haben. Er wollte etwas Gutes für die Region. Auf Vorwürfe, er habe die Öffentlichkeit getäuscht, lässt Beck sich nicht ein. Er scheint mit sich im Reinen. Und seinem früheren SPD-Finanzminister Ingolf Deubel („meinem Freund“) hält er die Treue. „Ich halte ihn für einen anständigen Menschen.“

Becks Verhältnis zur Presse indes ist eher angespannt. „Wer von der Lustigkeit von Journalisten spricht, hat noch nicht erlebt, wie sie nach dem dritten Bier fragen“, frotzelt er beim Besuch von LSG Sky-Food, einem Alzeyer Unternehmen, das jährlich 470 Millionen Essen für Fluglinien in aller Welt produziert.

Zu später Stunde erfüllt sich Becks Prophezeiung. Von Fragen zum Nürburgring-Komplex provoziert, fordert er Journalisten auf, endlich wahrzunehmen, was ihre Berichterstattung für die betroffenen Menschen bedeutet. „Haben Sie darüber mal nachgedacht?“, zürnt er. Beck spricht dabei über Deubel, aber vermutlich meint er auch sich selbst.

Trauma Berlin ist noch lebendig

Und dann ist da natürlich Beck und Berlin. Er mag keine „Negativberichterstattung“, sagt er, kein Schlechtreden und Runterschreiben. Wer ihn nach seiner Einschätzung der Kanzlerkandidatendebatte in der SPD fragt, wird scharf zurückgewiesen. „Ich werde mich dazu nicht äußern. Ich werde dem Parteivorsitzenden nicht zumuten, was mir zugemutet wurde.“ Beck hat nie verwunden, dass ihm das Vorschlagsrecht für den Kanzlerkandidaten in seiner Zeit als Bundesparteivorsitzender aus der Hand genommen und damit seine Autorität untergraben wurde. Deshalb trat er 2008 zurück. Tief verletzt.

All das hat ihn misstrauisch gemacht. Seine Kraft zieht er aus der Begegnung mit den Menschen, gleich, ob sie Arbeiter oder Unternehmer sind. Deshalb tut ihm die Sommerreise gut. Doch in der Sphäre von Politik und Medien hat er sich eingekapselt. „Beck traut fast keinem mehr“, sagt jemand, der ihn kennt. Der Preis der Macht?

Von unseren Redakteuren Rena Lehmann und Dietmar Brück