Auf der Suche nach der Grenze des Lebens: Hallo Maschinen-Mensch!

Auf der Suche nach der Grenze des Lebens: Roboter werden uns immer ähnlicher – Große Chance oder auch Risiko?
Auf der Suche nach der Grenze des Lebens: Roboter werden uns immer ähnlicher – Große Chance oder auch Risiko? Foto: dpa

Erica kommt aus Japan. Armar ist in Karlsruhe zu Hause, und Myon stapft in Berlin durch die Beuth Hochschule für Technik. Die drei kennen sich nicht. Aber es wäre spannend, das Trio und andere menschenähnliche Roboter bei einer Party zusammen tanzen zu sehen.

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Um zu testen, was diese Maschinen, die Augen, Hände und Körper besitzen, alles können. Als Ehrengast der Fete käme Jewgeni Tschereschnew vorbei. Der Russe trägt einen Chip im Körper, versteht sich als Mischwesen, als Cyborg. Eine solche Party unter dem Motto „Maschinen-Mensch“ läge voll im Trend.

In Europa, Asien und Amerika bauen Forscher immer neue menschenähnliche Computerwesen. Die Automaten nutzen Sensoren zum Sehen und Hören. Manche können sprechen. Diese Klasse der Maschinen ist etwas völlig anderes als die fest installierten Roboterarme, die in Fabrikhallen schon lange im Dauertrott Autos schweißen. Denn die neuen Maschinen lernen, werden schlauer – Stichwort Künstliche Intelligenz.

Forscher dringen zudem tiefer in die Prozesse des menschlichen Gehirns vor. Auf Basis dieser Erkenntnisse bauen sie Rechner, die ähnlich arbeiten wie Zellen im Kopf. Und sie imitieren den Menschen in anderen Bereichen: Sie gucken, wie unsere Hand greift – und übertragen die Ergebnisse auf die Wesen aus Metall, Kabeln und künstlichen Gelenken.

Parallel dazu schreitet die Medizintechnik voran, um Computerteile in Menschen einzupflanzen. Etwa Chips im Mittelohr, damit Schwerhörige mehr Töne wahrnehmen. Außerdem ist es möglich, den Körper von außen durch Stützroboter, sogenannte Exoskelette, zu verstärken. In diese Apparaturen schlüpft man rein. Gelähmte können kurze Strecken gehen. Gesunde stemmen enorme Gewichte.

Rüdiger Dillmann, Professor am Karlsruher Institut für Technologie, blickt auf mehr als drei Jahrzehnte Roboterentwicklung zurück. Beim Gang durch den Forschungstrakt im Institut für Anthropomatik bleibt der 67-Jährige bei einem Humanoiden aus der Armar-Reihe stehen. Der Forscher fasst dem Metallwesen fast zärtlich an den Kopf. „Es geht nicht darum, den Menschen nachzubauen. Ich halte das nicht für eine sinnvolle wissenschaftliche Zielstellung“, sagt der Informatiker.

Der Japaner Hiroshi Ishiguro hingegen kreiert Wesen, die aussehen wie menschliche Doppelgänger. Etwa Geminoid HI-1, für den Ishiguro selbst Modell stand. Noch echter sieht Erica aus. Ihr haben er und seine Mitarbeiter an den Universitäten Osaka und Kyoto sowie dem ATR-Institut eine Toptechnik zur Stimmenerkennung eingebaut. Die Roboterfrau mit den langen, braunen Haaren kann zwar nicht allein gehen, ist aber ein Kommunikationsgenie. Wenn sie spricht, bewegen sich ihre Gesichtszüge fast so menschlich wie die einer echten Frau.

Für den Forscher, der teils extreme Positionen vertritt, sind Mensch und Technik untrennbar: „Die grundlegendste Definition von Mensch lautet: Tier plus Technologie“, erläutert Ishiguro. Das heißt für ihn: „Wenn wir keine Technik benutzen können, können wir keine Menschen sein. Das bedeutet, wir können Menschen und Technik nicht trennen. Roboter sind die fortschrittlichsten Technologien.“

Warum macht die Robotik so große Sprünge?

„Die Zeit ist jetzt reif für Roboter und Computer mit einer am Menschen orientierten Intelligenz“, urteilt der Wissenschaftsautor Ulrich Eberl („Smarte Maschinen“). Seit Jahrzehnten forschen Experten zu Robotern und Künstlicher Intelligenz. Große Fortschritte gab es seit den 1970er-Jahren bei Industrieautomaten. Heute treiben mehrere Faktoren die Roboterisierung voran. Und verstärken sich gegenseitig. Als zentraler Punkt gilt die gewaltige Zunahme der Rechengeschwindigkeit von Computern. Ein Smartphone ist, betont Eberl (54), bei der Rechenleistung in etwa so schnell wie der beste Supercomputer Mitte der 1990er-Jahre. Dazu kommt das enorme Wachstum der Speicherkapazitäten.

Auch die Datenmenge, die per Kabel und drahtlos übertragen wird, steigt stetig an. Außerdem können die lernenden Maschinen die Masse der Fotos und Informationen im Internet als Wissensquelle anzapfen. Zudem nutzen sie das Netz, um Programme und Speicher auszulagern.

Menschen bauen Roboter, und dann?

Egal wie hoch sich die Roboter technisch noch aufschwingen werden: Am Anfang ihrer Entwicklung steht bisher immer der Mensch. Er legt in einem Computerprogramm fest, was die Roboter können sollen. Mehr und mehr jedoch versuchen Forscher, ihre Zöglinge unabhängig werden zu lassen.

So ein Roboterkind ist Myon. Der Humanoide misst 1,25 Meter. Gewicht: 16 Kilo. Auf seiner Schulter sitzt ein schwarz-weißer Kopf mit Kamera-Auge. Prof. Manfred Hild und sein Team an der Beuth Hochschule haben ihn so konstruiert, dass er seine Umwelt beobachtet, geht und aus Erfahrungen lernt. „Bewegungen, die Myon allein macht, fallen ihm einfacher. Wenn ein Mensch ihn führt, muss er sich auf mehr einstellen, das wird schwieriger“, sagt Hild (48).

Werden Roboter mal schlauer sein als Menschen?

US-Autoren wie Nick Bostrom („Superintelligenz“) und Ray Kurzweil („Das Geheimnis des menschlichen Denkens“) spekulieren, wann Maschinen auf ganzer Linie schlauer als Menschen sein könnten. Und nicht nur in Spezialgebieten. Schon jetzt hilft die IBM-Software „Watson“ Ärzten durch Datenanalyse bei Diagnosen und „AlphaGo“ von Google konnte den weltbesten Go-Spieler besiegen.

Der deutsche Roboterexperte Dillmann bleibt vorsichtig: „Der Traum, mit künstlicher Intelligenz letztlich den Menschen und sein Gehirn vollständig nachbilden beziehungsweise übertreffen zu können, daran glaube ich nicht“, sagt er. „Wenn man Prozesse betrachtet, die mit Kreativität zu tun haben, nehmen wir Künstler oder Architekten, die freie Entwürfe machen, dann wird das relativ kritisch.“ Außerdem gehöre zum Denken auch das soziale Miteinander der Menschen. Das ist Maschinen fremd. Es sei kaum nachbildbar – und wenn, dann nur in groben Zügen als Karikatur.

Wie weit werden Roboter und Menschen sich annähern?

Trotzdem läuft die Annäherung zwischen Mensch und Maschine weiter. Ericas Vater Ishiguro sieht den Menschen als Wesen, das im Laufe der Geschichte immer klüger und effizienter wurde – also roboterähnlicher. Er gilt auch in Japan mit seinen Visionen als eher exotisch. Ishiguro möchte eigentlich schon heute keinen Unterschied mehr zwischen Leben und Maschine machen. „Als Menschen vergrößern wir ständig unsere Möglichkeiten und unsere Definition vom Menschsein.“

Jewgeni Tschereschnew (37) sieht sich selbst als Vorreiter solcher Mischwesen – und als Mahner. Sein Technikbaustein ist ein kleiner Chip, von außen unsichtbar. Er ließ sich – ähnlich wie eine Reihe von anderen Leuten – das Teil 2015 unter die Haut der Hand pflanzen. Den Chip mit persönlichen Daten kann er wie einen Schlüssel nutzen und Bürotüren öffnen. Der Russe mit den langen blonden Haaren arbeitet bei der Internetsicherheitsfirma Kaspersky Lab. Er will mit seinem Versuch zeigen, wie leicht solche Datenspeicher von anderen gelesen und geändert werden können. „Was wir heute als Künstliche Intelligenz bezeichnen, verdient diesen Namen eigentlich noch nicht“, sagt er. „Aber in 30 bis 70 Jahren wird es das wahrscheinlich geben. Wir müssen schon vorher eine Gesellschaft bauen, die in der Lage ist, die Kontrolle zu behalten.“

Der Berliner Professor Hild sieht die Gefahren allerdings eher darin, dass Konzerne, Staaten und Regierungen sich der Computertechniken zu eigenen, auch aggressiven Zwecken bedienen – egal ob mit Robotern, Cyborgs und allen Formen dazwischen.

Petra Kaminsky, Lars Nicolaysen