Berlin

Angela Merkels neue CDU

Die Mehrheit der Deutschen finden Angela Merkel und ihre Koalition wenig überzeugend. Nur 36 Prozent würden laut ARD-Umfrage derzeit für Schwarz-Gelb votieren. Die Union dümpelt bei 31 Prozent. Selbst bei Helmut Kohls Abwahl 1998 kamen CDU und CSU noch auf 35,2 Prozent. Klingt nach Zutaten für einen ungemütlichen Bundesparteitag der CDU. Droht gar ein Aufstand gegen Merkel?

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Berlin – Die Mehrheit der Deutschen finden Angela Merkel und ihre Koalition wenig überzeugend. Nur 36 Prozent würden laut ARD-Umfrage derzeit für Schwarz-Gelb votieren.

Die Union dümpelt bei 31 Prozent. Selbst bei Helmut Kohls Abwahl 1998 kamen CDU und CSU noch auf 35,2 Prozent. Klingt nach Zutaten für einen ungemütlichen Bundesparteitag der CDU. Droht gar ein Aufstand gegen Merkel?

Mitnichten. „Die Partei ist zufriedengestellt“, sagt ein sonst eher Merkel-kritisches CDU-Regierungsmitglied. Seitdem die „Chefin“, wie die Kanzlerin genannt wird, mit bisher ungeahnter Entschlossenheit und Angriffslust aus der Sommerpause in die Berliner Politik kam, applaudiert die Basis ihrer Vorsitzenden wieder. Geschickt hat sich Merkel zuletzt als polarisierende Konservative präsentiert. Ein harter Kurs in der Atompolitik, klare Kante beim umstrittenen Infrastrukturprojekt Stuttgart 21. Dazu markige Sätze in der Integrations-Debatte („Multikulti ist gescheitert“), ein Veto gegen Gentests bei Embryonen und der von ihr im Leitantrag durchgesetzte Hinweis auf die „christlich-jüdische Leitkultur“ – schon fällt der Aufstand der Konservativen aus.

Mit ihrer neuen Führungsmannschaft setzt Merkel nun den personellen Höhepunkt einer seit Jahren währenden Modernisierung der Partei. Sozialministerin Ursula von der Leyen hat gegen die konservativen Kräfte in der Partei – aber unterstützt von Merkel – eine unideologische Familienpolitik (Stichwort: Elterngeld) umgesetzt. Umweltminister Norbert Röttgen nannte zum Schrecken der Wirtschaftsliberalen die Kernenergie ein Auslaufmodell und empfahl der CDU, das Thema nicht als Markenkern zu betrachten. Lieber solle sich die Partei auf Nachhaltigkeit konzentrieren. Beide CDU-Minister können am Montag mit einem ordentlichen Ergebnis bei der Wahl zum Merkel-Stellvertreter rechnen. Der dritte Bewerber, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, soll den konservativen Flügel abdecken. Der CDU-Innenexperte spielt auf der bundespolitischen Bühne bisher aber keine Rolle. Annette Schavan, die einzige Merkel-Stellvertreterin, die sich erneut bewirbt, verkörpert als Bildungsministerin ein zentrales Thema der Partei und ist Ansprechpartnerin für die Christen in der CDU. „Alle, die sich um die Führung bewerben, stehen für ein großes gesellschaftliches Zukunftsthema“, lobt Schavan die Aufstellung.

So kommt es, dass Kanzlerin Merkel in der Führungsrunde fast wie die letzte Konservative der Partei erscheint. Zumal sich in Karlsruhe auch die „Altherrenriege der West-CDU“ (ein Präsidiumsmitglied) verabschiedet. Ex-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wurde in Nordrhein-Westfalen abgewählt, Niedersachsens früherer Ministerpräsident Christian Wulff zum Bundespräsidenten und Hessens Ex- Regierungschef Roland Koch zum Vorstandsvorsitzenden eines Baukonzerns befördert.

Wohl noch nie hat die CDU in ihrer 60-jährigen Geschichte eine derart umfassende personelle Zäsur erlebt. Sie wird trotzdem geräuschlos über die Bühne gehen. Auch inhaltlich gibt es für die Konservativen unter den 3000 Delegierten kaum ein Ventil, um ihrem Ärger über die miesen Umfragen Luft zu verschaffen. Die Absage an Steuersenkungen ist inzwischen Mehrheitsmeinung in der CDU, die Aussetzung der Wehrpflicht akzeptiert.

Angela Merkel ist unangefochten. „Es gibt derzeit keine personelle Alternative zu ihr. Alle möglichen Konkurrenten sind weg oder noch zu jung“, sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Einen Aufstand gebe es nur in größter Not, sagt er. Die sei aber nicht da. „Man muss davon ausgehen, dass eine CDU im Geiste Konrad Adenauers angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung vermutlich noch schlechter abschnitte als die Merkel-CDU“, glaubt Falter.

Welch Gegensatz zu einer Zeit, als die Bundes-CDU noch selbstbewusste, streitbare Flügel hatte. Etwa beim Parteitag 1992 in Düsseldorf. Da gab es deutlich mehr Andrang fürs Präsidium als heute, wo es für vier Stellvertreter vier Bewerber und für sieben Präsidiumsplätze sieben Kandidaten gibt. Damals bewarben sich fünf Christdemokraten um vier Stellvertreter-Posten, und gleich elf anschließend für die sieben Mitglieder des Präsidiums. Die meisten Stimmen bekamen übrigens Angela Merkel aus dem liberalen Lager und Heinz Eggert, der konservative Law-and-Order-Mann, es folgten der christlich-soziale Arbeitsminister Norbert Blüm und der konservative Ministerpräsident Erwin Teufel.

Eine solch ideologische Bandbreite findet sich in der Merkel-CDU von 2010 nicht mehr.

von Michael Bröcker und Gregor Mayntz