Berlin

Aktionen gegen Verdächtige: Polizei erhöht Druck auf Islamistenszene

Bundesweite Aktion gegen die Islamistenszene: Wie diese Mitglieder eines Polizeisonderkommandos in der Perleberger Straße in Berlin, durchsuchten mehr als 200 Polizisten, darunter auch Spezialeinsatzkräfte, mehrere Objekte und vollstreckten Haftbefehle gegen verdächtige Islamisten.
Bundesweite Aktion gegen die Islamistenszene: Wie diese Mitglieder eines Polizeisonderkommandos in der Perleberger Straße in Berlin, durchsuchten mehr als 200 Polizisten, darunter auch Spezialeinsatzkräfte, mehrere Objekte und vollstreckten Haftbefehle gegen verdächtige Islamisten. Foto: picture alliance

Es gibt reihenweise Polizeiaktionen gegen Terrorverdächtige. Nach den Anschlägen von Paris gehen die deutschen Sicherheitsbehörden verstärkt gegen die Islamistenszene vor. Was steckt dahinter? Und wie steht es um die Terrorgefahr in Deutschland?

Lesezeit: 3 Minuten
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Von Christiane Jacke

Die Zugriffe häufen sich. In Berlin durchforsteten 250 Polizisten am frühen Freitagmorgen elf Wohnungen. Bei der Großrazzia nahmen sie zwei Männer fest. Die beiden sollen Kämpfer für Syrien rekrutiert und diese bei der Ausreise unterstützt haben. Nur ein paar Stunden zuvor hatten Ermittler in Wolfsburg einen Deutsch-Tunesier festgenommen. Der 26-Jährige soll sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben.

Die Einsätze reihen sich ein in eine ganze Serie von Aktionen gegen islamistische Terrorverdächtige in den vergangenen Tagen – etwa in Pforzheim in Baden-Württemberg oder in Dinslaken in Nordrhein-Westfalen. Auch anderswo in Europa herrscht Unruhe: Bei einem Antiterroreinsatz in Belgien starben zwei Männer, die einen größeren Anschlag auf die Polizei des Landes geplant hatten. Nach den Attentaten in Paris wächst die Nervosität – und der Druck auf die Islamistenszene.

Was steckt hinter den jüngsten Polizeiaktionen in Deutschland?

Seit den Attentaten in Frankreich schauen sich auch die deutschen Sicherheitsbehörden die islamistische Szene besonders genau an. Die rund 260 Gefährder, denen Polizei und Geheimdienste grundsätzlich einen Terrorakt im Land zutrauen, werden seitdem noch intensiver beobachtet. Schon in den Wochen vor den Anschlägen in Frankreich gab es aber eine Vielzahl von Durchsuchungen und Festnahmen: Beim Bundeskriminalamt (BKA) laufen bereits rund 500 Ermittlungsverfahren gegen etwa 800 Beschuldigte aus dem islamistischen Spektrum. Solche Aktionen bekommen nun eine noch größere Aufmerksamkeit. Aus Sicherheitskreisen ist aber auch zu hören, der Druck auf die Szene werde nach Paris spürbar erhöht. Mancher Zugriff werde wegen der aktuellen Lage vorgezogen, um die Szene zu stören und die Botschaft zu senden: Wir haben euch im Blick.

Wie groß ist die Terrorgefahr im Moment?

Deutschland ist seit Langem im Visier islamistischer Terroristen. Über Monate lautete die Sprachregelung, es gebe eine „abstrakt hohe“ Gefährdung, aber keine konkreten Hinweise auf Anschlagsplanungen. Auch kurz nach den Attentaten von Paris benutzte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) noch diese Redewendung. Der Zusatz, es gebe keine konkreten Hinweise, ist inzwischen aber nicht mehr zu hören. Der Grund: Seit Paris häufen sich auch die Drohungen gegen Deutschland. Die Behörden müssen in jedem einzelnen Fall prüfen, ob etwas dahinter steckt oder es sich nur um Wichtigtuerei handelt. „Die Lage ist ernst, es besteht Grund zur Sorge und Vorsorge, jedoch nicht zu Panik und Alarmismus“, sagt de Maizière inzwischen. Doch auch er räumt ein, dass ein Anschlag in Deutschland nicht komplett auszuschließen ist. Angst gibt es vor möglichen Einzeltätern, die zuvor überhaupt nicht aufgefallen sind.

Stockt Deutschland wie andere Länder die Sicherheitsvorkehrungen auf?

In Frankreich gilt seit dem Pariser Anschlag die höchste Terrorwarnstufe. Soldaten sind vor Schulen und auf öffentlichen Plätzen postiert. Die belgischen Behörden riefen nach dem tödlichen Antiterroreinsatz die zweithöchste Alarmstufe aus. Polizeiwachen wurden verbarrikadiert, jüdische Schulen vorerst geschlossen. Solche Warnstufen hat Deutschland nicht. Bislang gibt es hier auch nur wenige sichtbare Sicherheitsvorkehrungen wie ein wenig mehr Polizei an einigen Stellen, zum Beispiel rund um bestimmte Medienhäuser. Auf eine deutliche Verstärkung der Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit verzichten Bund und Länder bislang. Hinter den Kulissen sind Polizei und Geheimdienste aber verstärkt im Einsatz: „Die deutschen Sicherheitsbehörden unternehmen alles, um die Bevölkerung wirksam zu schützen“, betont Innenminister de Maizière. Es sei auch klar, dass man nicht jede Maßnahme sehe oder offen darüber spreche.

Warum gibt es in Deutschland bislang eigentlich keine Terrorwarnstufen?

Die Regierung findet ein starres und grobes Raster nicht geeignet, um die Sicherheitslage zu beschreiben. Schließlich könne sich die Situation je nach Region unterschiedlich gestalten, sogar innerhalb einer Stadt, lautet die Argumentation des Innenressorts. Der Vielschichtigkeit von Bedrohungen werde das nicht gerecht.

  • Berliner Gruppe wird dem salafistischen Spektrum zugerechnet

Die Berliner Sicherheitsbehörden ermitteln seit einem Jahr gegen die mutmaßliche islamistische Terrorgruppierung, gegen die sie jetzt vorgingen. Laut Polizei gab sich die Gruppe keinen Namen. Die Beschuldigten sind teils seit Jahren dem gewaltbereiten salafistischen Spektrum zuzurechnen. Ihnen wird vorgeworfen, Kämpfer für den sogenannten Dschihad rekrutiert, fanatisiert und bei der Ausreise nach Syrien unterstützt zu haben.

Dem Netzwerk gehören vor allem Türken und russische Staatsangehörige tschetschenischer und dagestanischer Herkunft an. Eine genaue Mitgliederzahl nannte die Polizei nicht. Der 41-jährige Hauptverdächtige Ismet D. erteilte als selbst ernannter Emir Islamunterricht in Berlin und Brandenburg und nutzte diesen laut Ermittlern, um Teilnehmer zu radikalisieren.