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200 Jahre Krupp: Der Mythos und sein Makel

Alfred Krupp machte den Stahlhersteller zu einem erfolgreichen Unternehmen - nachdem sein Vater an diesem Versuch gescheitert war.
Alfred Krupp machte den Stahlhersteller zu einem erfolgreichen Unternehmen - nachdem sein Vater an diesem Versuch gescheitert war. Foto: wiki

Schienen, Loks und Lastwagen, Tauchkapseln für die Tiefseeforschung und Kanonen, die bis nach Paris schießen – das Essener Stahlunternehmen Krupp hat in 200 Jahren praktisch alles gebaut, was sich in Metall denken lässt. Am Sonntag feiert die Firma mit den drei Ringen Geburtstag. Zum Fest kommen die Spitzen der Politik, angeführt von Bundespräsident Christian Wulff, auf den historischen Krupp-Familiensitz, die Villa Hügel.

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Essen – Schienen, Loks und Lastwagen, Tauchkapseln für die Tiefseeforschung und Kanonen, die bis nach Paris schießen – das Essener Stahlunternehmen Krupp hat in 200 Jahren praktisch alles gebaut, was sich in Metall denken lässt. Am Sonntag feiert die Firma mit den drei Ringen Geburtstag. Zum Fest kommen – wie eigentlich immer, wenn Krupp rief – die Spitzen der Politik, angeführt von Bundespräsident Christian Wulff, auf den historischen Krupp-Familiensitz, die Villa Hügel.

Krupp – das 1811 gegründete Familienunternehmen steht für den Mythos des „Made in Germany“ und zugleich für die düsteren Schatten über großen Unternehmen der deutschen Industrie. Auf der einen Seite Krupps nahezu märchenhafter Aufstieg durch Mut, neue Werkstoffe, technische Innovationen und Marktgespür: Allein in den letzten knapp 30 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wuchs die Firma von 20 000 auf 80 000 Mitarbeiter. Legendär ist auch der soziale Umgang des Unternehmens mit seinen „Kruppianern“, die eigene Wohnviertel, Krankenhäuser und „Krupp-Konsumanstalten“ mit vergünstigten Preisen erhielten.

Auf der anderen Seite wurden die Mitarbeiter aber politisch stark gegängelt. Und: Krupp ist seit 150 Jahren auch Waffenproduzent, der Konzern stand oft eng, manchmal viel zu eng an der Seite der Mächtigen. Krupp baute Waffen für das Kaiserreich und später – mit Tausenden Zwangsarbeitern – Granaten und Geschütze für den selbst ernannten „Führer“. Hitler war mehrfach zu Gast auf der Villa Hügel, von Gustav Krupp sind peinliche Ergebenheitsadressen überliefert, während Hitler das Unternehmen seinerseits besonders schätzte. „Hart wie Kruppstahl“, diese unsägliche Forderung Hitlers an die Jugend haftet der Firma im kollektiven Gedächtnis bis heute an.

Alfried Krupp, der Sohn Gustavs, musste dafür nach dem Krieg büßen. Er wurde aus der Villa Hügel heraus verhaftet und 1948 in Nürnberg von einem amerikanischen Militärgericht wegen „Plünderung“ und „Sklavenarbeit“ zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Vor dem Hintergrund des Koreakrieges kam er im Februar 1951 frei und holte bald – Ende 1953 – Berthold Beitz als Generalbevollmächtigten an die Spitze der Firma. Beitz ist heute nach einer beispiellosen Karriere und mit 98 Jahren immer noch Vorsitzender der Krupp-Stiftung, des wichtigsten Anteilseigners im heutigen ThyssenKrupp-Konzern.

Start unter schlechtem Vorzeichen

Die Krupp-Geschichte beginnt 1811 klein – mit einem Start-up, wie man heute sagen würde: Weil Napoleon den Kontinent mit einer Handelssperre abschirmte, witterte der reiche Essener Friedrich Krupp die Chance, mit dem bisher nur in England beherrschten Gießen von Stahl viel Geld zu verdienen. Wegen technischer Probleme verdiente er aber keineswegs daran, sondern versenkte fast sein gesamtes Vermögen. Schließlich musste er mit Frau und vier Kindern in ein kleines Aufseherhäuschen neben seiner jungen Firma ziehen. Das wiederaufgebaute „Stammhaus“ direkt neben der neuen Konzernzentrale ist heute eine sorgsam gehütete Ikone der Firmengeschichte.

Der Eisenbahnboom der industriellen Revolution und das Waffengeschäft brachte Friedrichs Sohn Alfred dann doch den Durchbruch zum Massengeschäft. Er ließ 1875 die drei übereinandergelegten Ringe als Markenzeichen eintragen. Sie stehen für Alfreds wichtigste Erfindung: nahtlos geschmiedete Eisenbahnreifen, die weltweit reißenden Absatz fanden.

Im Ersten Weltkrieg wurde Krupp zum zentralen deutschen Kriegskonzern mit einem Rüstungsanteil von bis zu 82 Prozent, wie der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser bilanziert. Der Ruhm mächtiger Geschütze wie der 42-Zentimeter-Kanone „Dicke Berta“ nützte „Kanonenkönig“ Krupp nach 1918 aber herzlich wenig. Gerade weil die Firma zuletzt fast nur noch Waffen hergestellt hatte, stürzte sie umso tiefer in eine existenzgefährdende Krise.

Auch wegen dieser Erfahrung habe Krupp in der Aufrüstungsphase vor dem Zweiten Weltkrieg lange auf der Bremse gestanden, schreibt Abelshauser. Mit zunehmendem Fortgang des Krieges konnte die zum „Wehrmachtsbetrieb“ umdeklarierte Firma der Steuerung durch das Rüstungsministerium Albert Speers aber immer weniger Widerstand entgegensetzen, meint der Historiker. Hitler habe Krupp zu einer „Art industriellen Erbhof“ umgewandelt.

Für den Neustart nach 1945 – bald mit Beitz in zentraler Position – wandte sich Krupp von der Rüstung ab und setzte maßgeblich auf den Anlagenbau. Da Alfrieds Sohn Arndt wenig Interesse an der Firma zeigte, überredete Beitz ihn 1967 zum Erbverzicht. Der Großkonzern ging in den Besitz einer Stiftung über.

Stahlkrise traf Konzern hart

Bald darauf drückte die Stahlkrise alle deutschen Produzenten. Krupp schrieb schon wieder Schlagzeilen, als Vorstandschef Gerhard Cromme mit der Unterstützung von Beitz das Werk in Duisburg-Rheinhausen stilllegen lassen wollte. Bei Demonstrationen blockierten wütende Stahlarbeiter eine Rheinbrücke. Ende Dezember 1987 drangen sie sogar in die Villa Hügel ein. „Und dafür haben wir geschuftet“, soll einer von Ihnen gerufen haben, als er die Ölgemälde in der Riesenvilla sah, berichtet der Essener Journalist Frank Stenglein.

Krupp übernahm 1992 den Dortmunder Konkurrenten Hoesch. Dann begann Cromme, heimlich Aktien des mächtigen Thyssen-Konzerns aufzukaufen. Der geheime Übernahmeplan kam aber zu früh ans Licht. Nach heftigen Diskussionen gab es 1999 eine mehr oder weniger friedliche Fusion mit einer ThyssenKrupp-Doppelspitze.

Die Eigenständigkeit, auf die die Gründer immer so großen Wert gelegt hatten, konnte Krupp nicht erhalten, wohl aber den Firmennamen und einen erheblichen Teil der Macht im neuen Doppelkonzern. Das Unternehmen ist mit knapp 180 000 Mitarbeitern groß genug, um am Weltmarkt mitzuhalten. Es heißt zwar ThyssenKrupp und nicht KruppThyssen, aber der Firmensitz ist seit dem vergangenen Jahr wieder Essen – das Unternehmen residiert heute fast genau da, wo Friedrich Krupp einst seine erste Gussstahlfabrik gegründet hatte.

Von Rolf Schraa