Berlin

1990 begann eine deutsch-deutsche Enttäuschung

Symbolischer Händedruck: Am 31. August 1990 besiegelte die Unterschrift  von Innenminister Wolfgang Schäuble (links) und DDR-Staatssekretär  Günther Krause (rechts) unter dem Einigungsvertrag das Ende der DDR.  Ministerpräsident Lothar de Maizière (Mitte) war der einzige hochrangige  Vertreter vor Ort. Kanzler Helmut Kohl (CDU) schickte lieber seinen  früheren Kanzleramtschef Schäuble.
Symbolischer Händedruck: Am 31. August 1990 besiegelte die Unterschrift von Innenminister Wolfgang Schäuble (links) und DDR-Staatssekretär Günther Krause (rechts) unter dem Einigungsvertrag das Ende der DDR. Ministerpräsident Lothar de Maizière (Mitte) war der einzige hochrangige Vertreter vor Ort. Kanzler Helmut Kohl (CDU) schickte lieber seinen früheren Kanzleramtschef Schäuble. Foto: dpa

Die Jubiläumsmaschinerie ist fast zum Stillstand gekommen. Beschäftigten sich Politiker, Medien und Kulturschaffende im vergangenen Jahr fast täglich mit den Ereignissen von 1989, so sind sie im Jahr der deutschen Einheit nahezu stumm geworden. Dabei wurden 1990 in rasender Geschwindigkeit die Grundlagen für die Wiedervereinigung am 3. Oktober gelegt. Doch vor 20 Jahren begann auch eine lange Geschichte der Enttäuschungen – in Ost und West.

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Berlin – Die Jubiläumsmaschinerie ist fast zum Stillstand gekommen. Beschäftigten sich Politiker, Medien und Kulturschaffende im vergangenen Jahr fast täglich mit den Ereignissen von 1989, so sind sie im Jahr der deutschen Einheit nahezu stumm geworden. Dabei wurden 1990 in rasender Geschwindigkeit die Grundlagen für die Wiedervereinigung am 3. Oktober gelegt. Doch vor 20 Jahren begann auch eine lange Geschichte der Enttäuschungen – in Ost und West.

Von unserem Redakteur Christian Kunst

Berlin. Der Vorschlag von Günther Krause sagt viel über das Verhältnis zwischen Ost und West 20 Jahre nach der Wiedervereinigung: Der CDU-Politiker, der am 31. August 1990 den Einigungsvertrag für die DDR unterschrieb, setzt sich dafür ein, die zweite Strophe der früheren DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen„ in die Nationalhymne zu integrieren. In diesem Teil heißt es „Deutschland einig Vaterland“. Es waren Gedanken, die der DDR-Führung nicht genehm waren. Also durften die Bürger im Osten den Text auf Erich Honeckers Geheiß nicht mehr singen. Viele gute Gründe für Krauses Vorschlag, die auch den damaligen Chefunterhändler des Westens, Wolfgang Schäuble (CDU), überzeugen.

Der Vorstoß zeigt, dass sich Ost und West auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung mehr mit Symbolik beschäftigen denn mit den wahren Problemen der Einheit. Das war am 31. August 1990, um 13.15 Uhr im Kronprinzenpalais Unter den Linden in Berlin ähnlich: Damals unterzeichneten Schäuble und Krause den Einigungsvertrag mit goldenen Füllfedern der DDR-Marke „Markant„ auf Papier, das aus Bonn stammte. Viel deutsch-deutsche Symbolik, die den tatsächlichen Machtverhältnissen kaum entsprach.

Denn noch bevor der mit heißer Nadel in drei Verhandlungsrunden im Juli und August 1990 gestrickte, 1000 Seiten umfassende Vertrag Ende August unterzeichnet wurde, beschloss die Volkskammer – auch getrieben von der eigenen Bevölkerung –, dass die DDR der Bundesrepublik und dem Grundgesetz beitritt. Damit waren alle Debatten um eine neue Verfassung nach Artikel 146 des Grundgesetzes beendet. Und ein wesentlicher Bestandteil des Einigungsvertrags war bereits beschlossen.

Letztendlich war der Beschluss der Volkskammer Ausdruck des Drucks, unter dem die Verhandlungsführer im Sommer 1990 standen. Die Einheit musste über die Bühne gehen. Weil die außenpolitischen Bedingungen geradezu ideal waren, vor allem aber weil die DDR auch nach Einschätzung ihres ersten und letzten frei gewählten Ministerpräsidenten Lothar de Maizière kurz vor dem wirtschaftlichen Kollaps stand. Deshalb war die Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Stunde null, die viel Zeit gekostet hätte, unerfüllbar.

Angesichts dieses Zeitdrucks ist es sicherlich nicht vermessen, den Einigungsvertrag als „Meisterwerk“(de Maizière) zu bezeichnen. Es ist auch falsch, die DDR als alleinigen Verlierer der Verhandlungen zu bezeichnen. Denn immerhin bedeutete der Beitritt, dass die Bundesrepublik nicht nur das damals mit 600 Milliarden D-Mark bezifferte DDR-Volksvermögen übernahm, sondern auch die Schulden. Und die waren enorm, wie sich 1995 bei der Gründung des Erblastentilgungsfonds herausstellte. Die Verbindlichkeiten der abgewickelten DDR betrugen demnach insgesamt 336 Milliarden D-Mark (172 Milliarden Euro). Heute ist der Fonds faktisch getilgt. Auch konnten die ostdeutschen Verhandlungsführer die Ergebnisse der DDR-Bodenreform zwischen 1945 und 1949 in den neuen Staat retten, was bis heute zu Verwerfungen mit Alt-Eigentümern führt.

Andererseits hatte der Einigungsvertrag auch viele Schwächen: Erstens blieben viele Fragen zunächst ungeklärt und mussten später nach heftigen Zerreißproben beantwortet werden. Dazu gehört etwa der künftige Regierungssitz oder die Regelung des Abtreibungsparagrafen, bei dem die DDR mit der erweiterten Fristenregelung einen späten Sieg erzielte.

Zweitens, und das wiegt deutlich schwerer, hat die Finanzierung der Einheit vor allem aus Mitteln der Sozialversicherungssysteme statt über Steuern dem Wirtschaftsstandort Deutschland nach Ansicht vieler Experten nachhaltig geschadet. Staatsverschuldung und Lohnnebenkosten stiegen rasant an; und die massenhafte Frühverrentung nach dem Anstieg der Arbeitslosigkeit im Osten leerte die Rentenkassen.

Diese fatale Entwicklung ist ebenso mit dem Namen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) verbunden wie die falsche Versprechung von „blühenden Landschaften„, die im Osten zu einer massiven Enttäuschung geführt hat. Diese Enttäuschung war allerdings bereits im Einigungsvertrag angelegt. Innenminister Thomas de Maizière, damals Mitglied der DDR-Verhandlungskommission, drückt es so aus: „Im Nachhinein hätte man ein paar Dinge mehr aus der DDR übernehmen müssen als den grünen Pfeil oder das Ampelmännchen. Es wäre wichtig gewesen und bleibt bis heute unsere Aufgabe, dass die Menschen, die in der damaligen DDR gelebt haben, nicht das Gefühl haben, dass ihre Lebensleistung an den Rand gedrückt wird.“ Die zweite Strophe der DDR-Hymne dürfte nicht reichen.