10 Jahre CDU-Chefin: Angela Merkel – gut für jede Koalition

Das Typische der Merkel-Jahre hat die Kanzlerin benannt: „Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial.“ Weil die erste Chefin einer Volkspartei so viele Facetten hat, hat die machtvolle Konstante der Union auch so viele Namen: Sie gilt als Schwarze Witwe, Mutti oder zaudernde Moderatorin. In jedem Fall ist sie gnadenlos pragmatische. Von unserer Reporterin Ursula Samary

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Die Frau aus dem Osten hat in zehn Jahren die Volkspartei kräftig modernisiert – Wer sie unterschätzt, hat schon verloren

Das Typische der Merkel-Jahre hat die Kanzlerin benannt: „Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial.“ Weil die erste Chefin einer Volkspartei so viele Facetten hat, hat die machtvolle Konstante der Union auch so viele Namen: Sie gilt als Schwarze Witwe, Mutti oder zaudernde Moderatorin. In jedem Fall ist sie gnadenlos pragmatisch.

„Kohls Mädchen“?: Wer Angela Merkel unterschätzte – auch 2000, am Anfang ihrer Karriere als CDU-Chefin – hatte schon verloren. Inzwischen hält sie sich seit zehn Jahren an der Spitze der Partei.

ist seit zehn Jahren CDU-Chefin

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Von unserer Reporterin Ursula Samary

Die Pfarrerstochter und Physikerin (55) aus Templin, immer schon hochintelligente Musterschülerin, hat in einem Crashkurs schnell gelernt, wie Machtspiele in der Politik funktionieren, und dass sich das Aussitzen von Problemen lohnen kann. Als Vize-Regierungssprecherin der letzten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière beweist sie im März 1990 erstmals ihr politisches Talent. Nach der Wahl zum gesamtdeutschen Bundestag stellt de Maizière dem Wissener Christdemokraten Ulrich Schmalz die junge Politikerin bei einer Weihnachtsfeier vor und fügt hinzu: „Die müssen Sie sich merken. Die wird noch was.“ Er irrt nicht.

Für Helmut Kohl, den die Einheit in seiner Dämmerung nach dem Bremer Parteitag noch einmal erstarken lässt, ist Merkel „sein Mädchen“ im Kabinett – ob für Frauen oder Umwelt zuständig. Wie schnell die Naturwissenschaftlerin mit sicherem Instinkt die Gesetze des Politikexperiments erkennt, ahnt er aber bis 1999 nicht, als der Spendensumpf publik wird.

Die CDU-Granden sind noch im Skandal erstarrt, da wird Generalsekretärin Merkel schon aktiv: Sie faxt der „FAZ“ einen Artikel, der am 22. Dezember 1999 die Partei verändert: Sie rechnet mit Kohls Ehrenwort ab und fordert die CDU auf, sich von ihrem „alten Schlachtross“ zu emanzipieren „und eigene Wege zu gehen“. Die Ereignisse sollen sich noch schneller für sie überschlagen: Auch CDU-Chef Wolfgang Schäuble desavouiert sich mit seinen Kontakten zu Waffenhändler Karlheinz Schreiber.

Der Weg für Merkel ist frei. Nach dem Putsch von oben kann sie in fünf Regionalkonferenzen die geschockte Parteibasis für den Neuanfang mit ihr begeistern, sie, die Frau aus dem Osten. Auf der Essener Bühne wirkt sie noch etwas ungelenk, als sie ihre Wahl (95,9 Prozent) annimmt. Verdutzte Möchtegern-Kronprinzen wie Wolfgang Rüttgers oder Volker Rühe mucken nicht auf: Soll doch die Frau mit dem merkwürdigen Topfhaarschnitt die Trümmer wegräumen. Aber wirkt sie wie ein Phänomen des Übergangs? „Wer Merkel unterschätzt, hat schon verloren“, weiß auch CSU-Chef Horst Seehofer nur zu gut. Merkel hat nicht wie Gerhard Schröder am Gitter des Kanzleramts gerüttelt, aber in einem Wutanfall über Schröder deutlich ihren Machtwillen ausgedrückt: „Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn irgendwann genauso in die Ecke stellen werde.“ 2005 ist es so weit: Sie löst ihn als Kanzler ab.

Die Strecke der kaltgestellten Männer ist lang: Friedrich Merz ist politisch out, Edmund Stoiber weggelobt, Kohl ist als großer Europäer nur noch Geschichte. Roland Koch muss gezügelt sein Gesicht wahren, Günther Oettinger in Brüssel an seinem Englisch feilen und Jürgen Rüttgers um sein Amt und die schwarz-gelbe Regierung kämpfen. Würde aber die „Schwarze Witwe“ eine schwarz-grüne Koalition überhaupt schrecken? Spöttische Beobachter meinen: Erst hat Merkel die Sozen mit ihrem Regierungsstil mehr dezimiert als Kohl mit rabiaten Mitteln. Jetzt diszipliniere sie die Liberalen, danach nehme sie sich die Grünen vor. Aber eine Vorsitzende, die für alle Koalitionen gut ist, wie Merkel-Biograf Gerd Langguth sagt, verlangt ihrer Partei auch eine Flexibilität ab, die alte Konservative höchst strapaziert. Sie können sich nur schwer mit der modernen Familienpolitik oder der vorsichtigen Anti-Atompolitik von Norbert Röttgen anfreunden. Aber Merkel, die im Wahlkampf 2009 nur sich als Programm erklärt hat und nicht mehr klare Leipziger Kante gezeigt hat, denkt an Mehrheiten jenseits der CDU.

Steht sie trotzdem nach zehn Amtsjahren mit der NRW-Wahl an einem Scheitelpunkt der Macht? Bis 2009 ist es für Merkel immer nur nach oben gegangen. Seit sie mit den Liberalen regiert und es ständig im Gebälk knirscht, sinken Umfragewerte und es ertönt in heiklen Situationen immer wieder der Ruf: „Wo ist eigentlich Merkel?“

Merkel genießt unangefochtene Macht und höchste Intelligenz. Aber wozu nutzt sie die Gaben abseits der alltäglichen Problemlösung? Ihr fehlt der Mut zur Vision. Die schwarz-gelbe Koalition hat noch nicht einmal eine knappe Grundbotschaft, mehr Kommissionen denn Konkretes beschlossen. Nach wegweisenden Projekten könnte nach den Merkel-Jahren einmal gefragt werden. Nicht nur SPD-Koalitionäre wunderten sich schon 2005 beim Ringen um den Vertrag: „Jeder kämpfte um ein Projekt. Nur Merkel nicht.“ Sie bleibt lieber im Ungefähren unangreifbar.