Ausblick: So sieht Rhein-Zeitung.de in 20 Jahren aus

Der Ikea-Katalog war eine der ersten Publikationen, die Augmented Reality in den Alltag brachte. Mit einem geeigneten Lesegerät, hier einem Tablet-PC, ließen sich auf dem Papier virtuelle Zusatzinformationen einblenden.
Der Ikea-Katalog war eine der ersten Publikationen, die Augmented Reality in den Alltag brachte. Mit einem geeigneten Lesegerät, hier einem Tablet-PC, ließen sich auf dem Papier virtuelle Zusatzinformationen einblenden. Foto: Ikea/dpa

Wie sieht ein Digital-Dienst wie Rhein-Zeitung.de in 20 Jahren aus? Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, hat der Schriftsteller Mark Twain einmal mit einem Augenzwinkern gesagt. Versuchen wir es trotzdem – und spinnen die heutigen Entwicklungen einfach fort.

Lesezeit: 6 Minuten
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Das selbstfahrende Auto ist schon Realität – wie dieser Prototyp von Google zeigte. Von hier bis zum selbstfahrenden Paketdienst ist es nur ein Gedankensprung.
Das selbstfahrende Auto ist schon Realität – wie dieser Prototyp von Google zeigte. Von hier bis zum selbstfahrenden Paketdienst ist es nur ein Gedankensprung.
Foto: Google

Von unserem Digitalchef Marcus Schwarze

Der Morgen bei den Müllers beginnt am 27. Juni 2035 klassisch: mit der Zustellung der Postbox. Darin finden sich, geliefert vom sich selbst steuernden Paketauto, pünktlich zum 7-Uhr-Frühstück: die frischen Croissants aus Paris und die besonderen glutenfreien Brötchen aus der darauf spezialisierten Bäckerei aus Hachenburg; die Ersatz-LEDs für den Wohnzimmer-Beamer (weil die in den nächsten zwei Wochen kaputtgehen werden, wie der heimische Server hochgerechnet hat); und ja: auch eine Zeitung.

Ausgeliefert wird das in einer Box, die seit ein paar Jahren vom Auto-Automaten in einem Karton im persönlichen Postkasten vor der Haustür eingeliefert wird. So gut wie jeder Haushalt verfügt mittlerweile über solch einen Empfangskasten. Sie lösen zunehmend wegen der Lärmbelästigung die vor anderthalb Jahrzehnten beliebt gewordenen Lieferdrohnen ab, die diese Pakete auf den Balkon oder in den Garten beförderten.

Eine Drohne befördert ein Paket – hier im Test im Jahr 2013.
Eine Drohne befördert ein Paket – hier im Test im Jahr 2013.
Foto: dpa

Die Zeitung hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark verwandelt. Sie kommt in vier Versionen für Vater, Mutter und zwei Kinder. Weil Papas Sehschärfe nachgelassen hat, ist seine Ausgabe neuerdings sechs Seiten länger und mit besonders großer Schrift gestaltet. Mama hat jüngst einen Yogakursus gestartet, darum hat ihr die Rhein-Zeitung auf den Seiten drei bis sechs eine Spezialausgabe mit Anleitungen, Hintergrundinformationen und persönlich abgestimmten Übungen zusammengestellt – inklusive dem Hinweis, dass der nächste Yogakurs am Donnerstag mit dem Elternabend kollidiert. Und im Kalender des Ehegatten noch ein Plätzchen frei ist für diesen Termin.

Mit der Spezialbrille bekommt man zusätzliche Informationen in sein Sichtfeld eingeblendet.
Mit der Spezialbrille bekommt man zusätzliche Informationen in sein Sichtfeld eingeblendet.
Foto: dpa

Für den Sohnemann findet sich auf der Seite 1 ein anderes Bild als für den Vater. Anstelle des Fotos von der Fußball-Europameisterschaft der Roboterfußballer findet Sohn Tilo eine Aufnahme von Altmeister Jimmy Mundt: Dessen Vater Florian war vor zwei Jahrzehnten mit der damaligen Youtube-Generation groß geworden. Abgespielt wird das Video mit dem üblichen Doppelklick per Augenaufschlag: Tilo muss einfach die Spezialbrille aufsetzen, auf das Bild schauen, und per zweimal Blinzeln schwebt plötzlich, nur für ihn sichtbar, virtuell eine eingeblendete Glasscheibe über dem Frühstückstisch, auf dem das Video in dreidimensionaler Darstellung läuft. Die schnell vorgetragenen Nachrichten von Jimmy Mundt sind für andere am Tisch nicht hörbar. Der Ton wird per Ultraschall über Sensoren in der Küchenwand in die Ohrmuscheln des einzigen Zuschauers projiziert.

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Tochter Sarah indes bekommt über ihre Brille besonders kurze Texte in einfacher Sprache eingeblendet – pro Satz ein Sachverhalt, sie lernt als Sechsjährige eben gerade erst Lesen. Wenn sie ein Wort nicht versteht, muss sie es nur anschauen und doppelblinzeln – schon schwebt über diesem merkwürdigen Wort „Ring-Racer“ eine dreidimensionale Ansicht einer Achterbahn, und ein Sprecher erklärt in zwei Sätzen, was es mit diesem Industriedenkmal auf sich hat. Es wurde inzwischen um eine 5D-Kino erweitert, in dem man eine Achterbahnfahrt durch den Himalaya simuliert bekommt.

Mit dem Zeigefinger kann sie das virtuelle Objekt dank ihrer Lesebrille antippen, drehen, es von verschiedenen Seiten betrachten. Und per Finger-Wischgeste zum Vater schicken: „Können wir da nächstes Wochenende mal hin?“, denkt und fragt sie still. Noch ist die Gedanken-Scan-Software nicht so ausgereift, dass daraus eine direkte Terminanfrage im Familienkalender wird. Aber dass die Tochter dazu eine Frage hat, poppt in Papas Sichtfeld bei nächster Gelegenheit auf. Denn der hat eingestellt, dass zu dieser Tageszeit zu stattlichen 50 Prozent Meldungen von Familienmitgliedern in seine Timeline eingeblendet wenden. Ab 10 Uhr hat dann der Chef Vorrang.

Eine Technik namens Augmented Reality blendet zusätzlich zum realen, gefilmten Geschehen künstlich hergestellte Zusatzinformationen ein – hier noch auf einem iPhone, künftig häufiger mittels Computerbrille.
Eine Technik namens Augmented Reality blendet zusätzlich zum realen, gefilmten Geschehen künstlich hergestellte Zusatzinformationen ein – hier noch auf einem iPhone, künftig häufiger mittels Computerbrille.
Foto: Layar/dpa

Den ganzen Tag über können sich die Müllers Rhein-Zeitung.de einblenden lassen. An der Bushaltestelle blickt der Sohn auf das Bushaltestellenschild, die Brille blendet die Ankunftszeiten des nächsten Busses ein.

In der Schule herrscht seit einigen Jahren Brillenverbot, aber in den Pausen darf man damit immerhin ein Spiel namens Minedraft spielen, in dem die gemeinsame virtuelle Stadt aufgebaut wird und gegen die Schule oben am Talrand zu verteidigen ist. Auf dem Schulhof werden dabei über die Brillen der Kinder virtuelle Gebäude von Schmiede und Bauernhof in die Gesichtsfelder projiziert, und wer die meisten Schweine züchtet, bekommt zur Belohnung eine „Breaking News“ der Rhein-Zeitung mit Vorrangstatus in den persönlichen Freundeskreis gepostet.

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Der persönliche Datenschutz wird seit den Datenkriegen von 2020 dank einer Weltresolution ernst genommen. Seitdem ist jede Videoaufnahme an das „Londoner Protokoll“ gebunden: Bei weniger als sieben aufgenommenen Gesichtern werden alle dargestellten Personen automatisch unkenntlich gemacht, außer vertrauenswürdige lizenzierte Medien wie die Rhein-Zeitung entscheiden für ein öffentliches Interesse – oder die Aufnahme wird nur einem als zulässig zum Anschauen markierten Personenkreis dargeboten. Das hat zwar anfangs, Mitte der 2020er Jahre zu Verwirrungen geführt, aber die mittlerweile zur UN-Behörde verstaatlichte Firma FaG Inc. (ein Zusammenschluss aus Facebook und Google) konnte das Problem mit den Sieben Digitalregeln in den Griff bekommen.

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Beim Fußballtraining sollen die jungen Spieler die erste halbe Stunde mit, die nächste halbe Stunde ohne Dibri trainieren (Dibri: Digitalbrille). In Echtzeit bekommen die Spieler empfohlene Laufwege und Spielzüge eingeblendet. Später spielt der Trainer das vergangene, verlorene Spiel noch einmal durch: Auf dem Tisch in der Mitte der Spielerkabine wird in 3D das Spielfeld angezeigt, einzelne Meldungen vom Spielverlauf von Rhein-Zeitung.de poppen auf der virtuellen Anzeigetafel hoch. Es war zwar kein Reporter der Zeitung vor Ort, aber mehrere intelligente Kameras und „das Netz“ haben die entscheidenden Spielzüge wiederabspielbar aufgenommen.

Die 20 Zuschauer vom Spielfeldrand haben mit ihren Handy- und Brillenvideos sowie den üblichen Satellitenaufnahmen dazu beigetragen, dass die entscheidenden Spielszenen aus mehreren Perspektiven für dieses Training auffindbar und wiederabspielbar werden. Für den guten Ton ist der Schiedsrichter zuständig: Auch seine Pfiffe und Entscheidungen lassen sich für jede Sekunde des Spiels abrufen, denn der Deutsche Fußball-Bund stellt die Tonaufnahme samt Spielentscheidungen als Datenpaket bereit. Mit ihren Dabris auf der Nase stehen die Spieler um den Tisch herum, sehen die Spielszenen gemeinsam – und der Trainer hält zwischendurch mal an, markiert Miniaturspieler auf dem Tisch und verdeutlicht mit Zeige-, Wisch- und anderen Gesten die Spielzüge.

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Derweil läuft das Nachrichtengeschäft für die Macher von Rhein-Zeitung.de im Jahr 2035 in aufregenden Bahnen. Sensoren haben Hinweise gegeben, dass der Rhein zum gefährlichen Hochwasser anschwillt. Der florierende Vergnügungspark Nürburgring will nach Informationen des Landeskorrespondenten ein früher großes, inzwischen darbendes Unternehmen namens Disney in Florida übernehmen. Und auf dem Schlaglochportal der Rhein-Zeitung meldet ein Schlagloch intern an die Redaktion und auf einer Website, dass innerhalb der nächsten sieben Tage mit einem Kollaps zu rechnen ist. Die Redaktion der Rhein-Zeitung sortiert und ordnet ein – und entscheidet, dass das Schlagloch mit zweiter Priorität für alle jene bereitgestellt wird, auf deren Arbeitsweg sich die Straße befindet. Alle Sechsjährigen wie Sarah erhalten an erster Stelle in ihrer Zeitung die Disney-Nachricht – vereinfacht erzählt, samt 3-D-Darstellung, inklusive Auflistung der Flüge dahin.

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Ob der Papa den kostspieligen Ausflug zum Ring-Racer zahlen möchte, steht auf einem anderen Blatt: Antippbar in der Zeitung, sobald er die Brille aufsetzt. Noch während er darüber nachdenkt, fällt sein Blick auf eine dezente Anzeige unterhalb des Textes. Just dort wird (für ihn eingeblendet) ein Rabatt angeboten, wenn sich zwei Familien für den Ausflug zusammenschließen. Mit einem Doppelblinzeln markiert er die Rabattanzeige – und bekommt später einen Hinweis, dass aus seinem Freundeskreis zwei andere Eltern die gleiche Idee hatten.