Tommy Jaud im Interview: Klammer auf, was dazwischen, Klammer zu

Tommy Jaud präsentierte im Café Hahn sein neues Buch.
Tommy Jaud präsentierte im Café Hahn sein neues Buch. Foto: DPA

Bindung ist toll, aber nur bis zu einem gewissen Grad: Im Film „Resturlaub“ bekommt Pitschi Fluchtgedanken, als ihm seine Freundin Biene mit Heiraten und Kinderkriegen kommt. Er flieht nach Buenos Aires. Im Interview philosophiert Buchautor Tommy Jaud mit uns über Bindungen; über Chancen und Risiken.

Lesezeit: 7 Minuten
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Wir treffen Tommy Jaud in seinem Kölner Lieblingscafé. Er wollte ein Erkennungszeichen vereinbaren – was für eine Bescheidenheit! Wir sitzen in der Sonne. Gemütlicher Smalltalk. Dann geht's los; wir sind ja zum Arbeiten hier.

Herr Jaud, wie viele Menschen sprechen Ihren Nachnamen französisch aus?

Mein Autohändler hat das gerade eben getan; ich habe mir ein elektronisches Fahrtenbuch einbauen lassen. Und da hieß es: „Herr Schoood, brauchen Sie einen Ersatzwagen?“ Insgesamt schätze ich mal, dass 17 Prozent der Menschen den Namen französisch aussprechen.

Klingt auch irgendwie edler.

Oooh, oui, c'est superb! Isch ware vor meinemö Abi Leischtathläät – ich rede wieder Deutsch, das ist zu anstrengend! (lacht) Also: Ich habe Leichtathletik gemacht, gar nicht so unerfolgreich. Und da wurde ich oft angekündigt: „Auf Bahn sieben läuft Tommy Dschod!“ Also mit amerikanischem Akzent; das hat meine Konkurrenten immer sehr eingeschüchtert: „Oh, shit, ein Ami, der ist bestimmt verdammt schnell.“ Eigentlich kommt der Name aus dem Thüringischen.

Sie sind Franke mit thüringischem Namen, der in Köln wohnt. Und Sie schreiben einen deutschen Bindungsroman – wir müssen einfach über das Thema „Bindung“ reden.

Ach du Gott. Aber werden Sie mal nicht zu privat ... O je.

Wir tasten uns langsam heran.

Bindungen sollen ja in den letzten Jahren sehr sicher geworden sein. Die Füße springen bei den Skiern nicht mehr so schnell heraus. Schreiben Sie bitte: „Klammer auf, ausweichende Geste, Klammer zu“. (ausweichende Geste)

Klammer auf, lacht verlegen, Klammer zu.

Klammer auf, steht auf und geht, Klammer zu.

Ohne zu bezahlen? Ganz harmlose Frage zu Beginn, über die Sie schön philosophieren können: Ist das Wort „Bindung“ ein böses Wort in einer Welt der Freiheitsliebe?

Philosophische Fragen mag ich. Ich glaube, dass es ein gutes Wort ist, denn ohne Bindung wäre man ziemlich überfordert. Zu Bindung zähle ich auch die Heimat, die Eltern, mein Veedel in Köln, den Kiez in Hamburg oder Berlin. Bindung ist Zugehörigkeit! Keine Bindung zu haben, hieße – ich denke jetzt mal laut –, keine Zugehörigkeit zu haben und daher sehr einsam zu sein.

Wie wächst gesunde Bindung an die Heimat?

Ich habe zwei Heimaten und spüre, dass zwei halbe Heimaten noch lange keine ganze Heimat ergeben. Heimat entsteht durch Identifikation. Ich bin schon sehr fränkisch, und ich bin es durch meine Dreharbeiten zu „Resturlaub“ noch einmal mehr geworden. Ich habe mich dazu wieder lange in Franken aufgehalten, ich spreche schon wieder Fränkisch ...

Ouh.

Ein Rückschritt, nicht wahr. Ich fühle mich zum Fränkischen hingezogen, weil ich das Ruhige, Kauzige und auch Skeptische mag – die Franken sind die Wiener Deutschlands. Und ihre Liebe zum Essen! Nur Franken kriegen es hin, beim Essen über ein anderes Essen zu reden, das auch gut geschmeckt hat, aber billiger war. Hier in Köln erlebe ich teilweise das Gegenteil – und auch das schätze ich sehr! Man ist hier sehr viel freier, man kann tun, was man will. Man ist keine Weltstadt, aber doch eine Großstadt, und man kommt schneller mit Leuten in Kontakt. Es ist faszinierend, dass man als Kölner seine doch sehr hässliche Stadt dermaßen liebt.

Wenn Ihr Romanheld Pitschi in eine neue Stadt kommt, baut er Bindungen über häufige Kneipenbesuche auf. Wie halten Sie's?

Sprachschule und Kneipe – ja, das wäre auch mein Weg. Im Urlaub habe ich immer gern Sprachschulen besucht. Wenn ich einfach so nach Barcelona fahre, ohne Bindung, dann schaue ich mir meine Sachen an und bin ansonsten ziemlich einsam. Sprachschule ist lustiger – man kennt ein paar Leute am Abend! Und Kneipe geht auch immer. Ich saß bei meinem ersten Besuch in Buenos Aires wie Pitschi in einer Kneipe und habe gemerkt, dass die ja gar nicht auf mich gewartet haben. Da muss man schon was tun, um Kontakte zu knüpfen. Beim zweiten Mal war es deshalb viel einfacher: Das war damals so mein Autorentraum: mit Laptop, eigener Wohnung im schicken Viertel – „hach, jetzt recherchier ich mal.“ Und da hatte ich schon meine Kontakte, ich wurde mitgenommen und eingeladen ... Ja, das ist nicht einfach, Bindungen aufzubauen; ich glaube, dass das für Frauen noch viel schwieriger ist, wenn sie allein sind.

Halten wir fest: Bindungen sind toll, wenn man sich an Freunde und sein Viertel bindet. Und was ist mit Bindungen an die Lebenspartnerin?

Tja, das ist das Problem. Da geht es um eine irreversible Bindung. Eine abgeschlossene Tür. Freunde, ausgehen, Spaß – das ist dann Vergangenheit. Bisher musste man sich nicht final entscheiden, man konnte ein Stück weit verantwortungslos leben. Das ist der Unterschied, das finale Entscheiden! Normal entscheiden muss man sich jeden Tag, „trinke ich Kaffee oder Erdbeershake?“ Aber wenn es die falsche Entscheidung ist und mir der Shake hier nicht schmeckt, dann bestell ich halt beim nächsten Mal etwas anderes. Aber bei diesen ultimativen Geschichten, die im Leben nicht so oft vorkommen, ist das vertrackter.

Muss man dann flüchten?

Hab ich so nicht erlebt, ich bin viel zu heimatverbunden. So war ich nicht immer; als junger Mensch war ich in Schottland im Urlaub und habe mich in Edinburgh sofort erkundigt, ob man hier nicht studieren könnte. Habe ich aber natürlich nicht gemacht. Aber ich kann verstehen, wenn Menschen aus Bindungsangst davonlaufen.

Aber die wenigsten ziehen es so konsequent durch wie Pitschi in „Resturlaub“, der wirklich für eine Woche nach Argentinien abhaut.

Das stimmt. Es ist schön, wenn man seine kleinen Fluchten im Alltag hat, und wahrscheinlich halten Partnerschaften auch länger, wenn man sich nicht zu eng auf der Pelle sitzt. Sondern wenn man sagt, dass der Partner auch mal allein oder mit seinen Freunden in Urlaub fahren darf. Sind Sie verheiratet?

Ja.

Das kennen Sie doch auch: Die Frau sagt: „Ich bin zwei Tage lang nicht da.“ Dann reagiert man zuerst so: „Ah, super, dann kann ich endlich mal das und das erledigen.“ Man liebt sich wirklich, und deshalb freut man sich auch, mal allein sein zu dürfen. Dann ist die Frau weg, man sitzt da und denkt: „So, was mach ich jetzt ... Ich könnte ... äh ...“ Und dann ruft man erst mal Freunde an. Aber deren Frauen sind ja nicht weg, also haben sie keine Zeit. „Aber nächste Woche könnte ich!“ Aber, nee, da können Sie ja nicht mehr. Und es dauert keinen halben Tag, da rufen Sie Ihre Frau an.

„Und? Wie geht's 'n so?“

(lacht laut) Genau. „Und? Wie geht's 'n so? Hast du's schön krachen lassen?“ Und dann fragt die Frau: „Es ist toll, und was machst du gerade?“ Und Sie sagen: „Och, ich guck gerade Derrick. Und ich hab mir ein Brot gemacht.“ Tja, man scheitert schon recht früh als Mann in seinen Freiheitsmöglichkeiten. Das geht mir selbst ganz genau so. Ich freu mich auf einen Männerabend, auch mit mir ganz allein. Aber dann schmelze ich viel zu schnell.

Wir sind einfach zu gut für diese Welt, Herr Jaud.

Ja. (seufzt) Wir sind aber schon normal, oder?

Ja. Im Roman und im Film graust es Pitschi vor der Vorstellung, ein Haus mit Kiesauffahrt zu haben. Wie halten Sie's mit dem Thema Kiesauffahrt?

Oh, ich habe nichts gegen Kies; weißer Kies in einem Land am Meer – davon träume ich schon lange. (lacht) Was ich wie die Pest hasse, sind Urbanisationen, Reihenhäuser, diese Gettos. Diese Uniformität – auch im Luxus! – das geht gar nicht. Da werde ich bekloppt, auch wenn es vielleicht schöne Häuser sind. Wenn da irgendwelche Porsche-Cayenne-Tussis aus ihrem Haus trippeln, nein, da gehöre ich nicht hin. Wir wohnen jetzt schön kurz vor Köln, vier Bahnstationen, es gibt Kneipen, einen Bäcker, das ist mir ganz wichtig. Und ich habe mein Büro nicht umsonst hier im Belgischen Viertel; ich muss Menschen sehen, wenn ich aus dem Fenster gucke. Mein Horror: Reihenhaus, Mann kommt nach Hause, parkt sein Auto in der Doppelgarage, Plastikspielsachen der Kinder im Garten, die Frau hat schon was gekocht – buä.

Zusammengefasst: Sie mögen es weder zu spießig noch zu hip.

Das kann man so sagen, ja. (lacht)

Das ist anspruchsvoll, Herr Jaud.

Finden Sie? Ja, Sie haben recht. Unfassbar, eigentlich. Aber zu verwirklichen!

Interview: MICHAEL DEFRANCESCO

  • Tommy Jaud wurde 1970 in Schweinfurt geboren und lebt heute in Köln. Er studierte Germanistik an der Universität Bamberg und begann in dieser Zeit, bei Antenne Thüringen eine eigene Radiosendung zu moderieren. Später schrieb er als freier Mitarbeiter für die „Harald Schmidt Show“. Er brach sein Studium ab, zog nach Köln und arbeitete bei der Comedy-Firma „Brainpool“ unter anderem als Creative Producer für „Ladykracher“ und als Chefautor für die „Wochenshow“. 2004 erschien sein erster Roman, „Vollidiot“, gefolgt von „Resturlaub“ (2006), „Millionär“ (2007) und „Hummeldumm“ (2010). Die Bücher wurden Bestseller, die beiden Kinoverfilmungen erhielten jedoch durchwachsene Kritiken.
    „Resturlaub“ läuft derzeit in den Kinos und erzählt die Geschichte von Pitschi, dessen Freundin auf einmal sesshaft werden will. Pitschi flieht nach Buenos Aires, haut dort mächtig auf den Putz, kehrt aber am Ende doch zu seiner Liebsten nach Franken zurück.