Berlin

Gorki-Intendantin Langhoff: Migration als Motor fürs Theater

Die erste Intendantin mit türkischen Wurzeln an einem großen deutschen Theater: Shermin Langhoff führt seit 2013 das Berliner Maxim Gorki Theater im Verbund mit dem freien Dramaturgen Jens Hillje. Foto: Esra Rotthoff
Die erste Intendantin mit türkischen Wurzeln an einem großen deutschen Theater: Shermin Langhoff führt seit 2013 das Berliner Maxim Gorki Theater im Verbund mit dem freien Dramaturgen Jens Hillje. Foto: Esra Rotthoff

Das Berliner Maxim Gorki Theater ist neuerdings eine der gefragtesten Adressen im Berliner Theaterbetrieb. Shermin Langhoff, Deutschlands erste Intendantin mit Migrationshintergrund an einem großen staatlichen Theater, zeigt dort bewegende neue Stücke. Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt sie, dass das Theater für sie der am besten geeignete Ort ist, um über Migration und Integration zu debattieren.

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Das Interview mit Shermin Langhoff:

Sie sind die erste Intendantin mit Migrationshintergrund an einem staatlichen Theater. Welche Erwartungen spüren Sie?

Erwartungen gibt es an jemanden, der einen so begehrten Posten im Kulturbetrieb hat, immer. Ich spüre das in zweifacher Hinsicht. Ich bin ja auch noch eine Frau, und davon gibt es auch nicht viele an der Spitze der Bühnen. Bei allen Erwartungen ist am Ende entscheidend, was auf der Bühne und im Zuschauerraum passiert.

Sie haben den Begriff des postmigrantischen Theaters geprägt. Was soll das sein?

Ich wollte damit die Frage aufwerfen: Wer spricht eigentlich wie über wen? Und wer darf wen wie bezeichnen? Ist jemand, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, hier vielleicht sogar geboren ist, noch immer ein Migrant? Diese und andere Fragen wollte ich verhandeln.

Aber was heißt das für das Stück auf der Bühne?

Es ist ein Theater, das die Prozesshaftigkeit unserer Gesellschaft abbildet. Es ändert sich doch jeden Tag, wer gerade wo migriert und wer welchen Hintergrund mitbringt. Das postmigrantische Theater meint, dass es nicht DEN Migranten oder DAS migrantische Theater gibt, sondern dass Verschiedenartigkeit einfach vorhanden ist. Es geht darum, Mehrschichtigkeit von Migration zu thematisieren. Migration war immer ein Motor der Menschheit. Es heißt eben nicht, dass wir hier Ankunftstraumata von Migranten verarbeiten, sondern dass es um eine zweite und dritte Generation von Zuwanderern geht. Darum, ihre neuen deutschen Geschichten abzubilden. Mein Ausgangspunkt für das postmigrantische Theater war, dass solche Geschichten eben fehlen.

Kann nicht jede Bühne migrantische Themen aufgreifen?

Natürlich, aber im Gegensatz zum Film oder in der Literatur herrschte im sogenannten Hochkulturbetrieb Theater lange Zeit ein Konservatismus, wenn nicht gar Kulturrassismus. Viele wichtige Romane der Weltliteratur zeugen davon, dass aus dem Emigrieren spannende Geschichten entstehen. Auch gibt es heute ganz selbstverständlich transkulturelles Kino. Das Theater als Ort der Selbstvergewisserung einer Gesellschaft hat sich lange Zeit eben nicht gerade durch große Neugier für die Dazugekommenen ausgezeichnet. In Literatur und Film haben migrantische Künstler viel eher Zugang gefunden.

Ist Theater abgehoben?

Theater muss aufpassen, nicht in einer Selbstbespiegelung und in einer Nabelschau zu verbleiben. Vor allen Projekten und Inszenierungen steht erstmal die Frage „Warum?“. Wir möchten in erster Linie Stadttheater machen, das für die Menschen, die hier leben, relevant ist. Bei jeder Produktionsidee überlegen wir, warum wir das machen, für wen wir das machen und was es mit Berlin zu tun hat.

Kommen Migranten in Ihre Stücke?

Ich unterscheide unsere Zuschauer nicht nach ethnischer oder sozialer Herkunft und bin nicht angetreten, um DIE Migranten ins Theater zu holen, sondern ganz Berlin mit seinen Szenen und Communities und um die Menschen dieser Stadt für Theater zu begeistern.

Sie greifen doch aber gezielt migrantische Themen auf.

Es sind für mich Berliner Themen und nicht die Themen der Migranten. Jede Konfliktzone, die es in dieser Stadt gibt, geht diese Stadt etwas an. Was sind politische Perspektiven auf ein Thema? Aus Berlin, aus Deutschland? Was hat der Einzelne erlebt? Das sind unsere Fragen, und letztlich verhandeln wir im Theater die kleinen und großen Fragen der Menschheit, von Aischylos über Shakespeare bis heute.

Kann man auf der Theaterbühne manches besser diskutieren als in Talkshows?

Für mich ist Theater die Rettung, weil das Niveau der politischen und zum Teil auch medialen Integrationsdebatten zum Beispiel gar nicht auszuhalten ist. Ich stand schon vor 30 Jahren für Kampagnen für das kommunale Wahlrecht für Ausländer auf der Straße. Wir haben es bis heute nicht, aber Intendantin bin ich immerhin geworden. Frei nach dem Motto: Kultur ja, Rechte nein. Ich habe die Entwicklung vom Gastarbeiter zum Mitbürger und dann wieder zum Ausländer in unserer Republik mitgemacht. Ich kann in bestimmten Debatten einfach nicht wieder und wieder bei null anfangen. Das Theater ist für mich der bessere Ort für eine geduldige Verhandlung von Gesellschaft mit ihren vielen Perspektiven.

Das Gespräch führte Rena Lehmann.