Berlin

Gefährliches Spiel: NSU-Film zu nah an der Realität?

Die Entwicklung des rechtsextremen NSU-Trios als spannender Spielfilm: Das ist nicht das richtige Format, findet Kollegin Marta Fröhlich. Sie hat sich alle drei Teile in der ARD angeschaut und bewertet sie für uns.

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Von unserer Reporterin Marta Fröhlich

Wenn die mutmaßliche Wahrheit sich im Fernsehen ein Genre sucht, dann fällt die Wahl meist auf Formate wie Dokumentationen oder Reportagen. Zeitzeugen, Beobachter kommen zu Wort, Zusammenhänge werden erklärt und bebildert, eine Redaktion übernimmt die Zusammenstellung des Materials. Das spürt der Fernsehzuschauer. Er bemerkt, dass sich Kommentare und Zeitdokumente ergänzen, erkennt das Abbild der Realität und die Meinung des Kommentators. Anders liegt der Fall, wenn Geschichte in einen Spielfilm gegossen wird, der einen direkt packt und emotional mitreißt. Diese Art der Darstellung entpuppt sich beim Dreiteiler „Mitten in Deutschland: NSU“, den die ARD vergangene Woche zeigte, als Fehlgriff.

Die drei Spielfilme erzählten die Geschichte des Nationalsozialistischen Untergrunds. Er wird für Bombenanschläge, Attentate und Morde mit rechtsradikalem Hintergrund seit dem Jahr 1999 verantwortlich gemacht. Beginnend mit der Täterperspektive im ersten Teil, wurde im zweiten die tragische Geschichte eines der Opfer – des türkischen Blumenverkäufers Enver Simsek – und dessen Familie erzählt, während der dritte Fehler und Undurchsichtigkeiten der Ermittlungen in den Fokus nahm.

Drei Spielfilm-Teile über die rechtextremen Taten des NSU-Trios um Beate Zschäpe hat die ARD ausgestrahlt.

BR/Wiedemann & B

Drei Spielfilm-Teile über die rechtextremen Taten des NSU-Trios um Beate Zschäpe hat die ARD ausgestrahlt.

WDR

Drei Spielfilm-Teile über die rechtextremen Taten des NSU-Trios um Beate Zschäpe hat die ARD ausgestrahlt.

WDR


Dabei zeichnete sich besonders der erste Teil „Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“ durch viele Elemente eines klassischen Spielfilms aus. Im straffen Spannungsbogen wurde die Geschichte der drei Jugendlichen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe erzählt, die in Jena zu brutalen Rechtsradikalen heranwachsen. Starr und ratlos konnte man erleben, wie die drei realisieren, dass sie keine Chancen erwarten können und nur noch einen Ausweg sehen: das Fremde hassen, das Deutsche lieben. Am Filmende blieb Erschrecken vor der Radikalität, mit der junge Menschen zu Terroristen wurden, zurück.

Was bei dieser Erzählweise fehlte, war die Distanz, die eine Dokumentation liefern kann. Allein im Vorspann wies ein eingeblendeter Text darauf hin, dass nur Teile des Films der Wahrheit entsprechen, zurzeit ein Gerichtsverfahren gegen Beate Zschäpe läuft und große Teile Fiktion sind. Doch nach fünf Filmminuten war das längst vergessen. Die Story riss mit, die Unterscheidung zwischen Fakt und Fiktion schien unmöglich. Daraus resultierte ein Bild, das die bisher erkannte Wahrheit verzerrte, Fiktion zu Realität verschwimmen ließ.

Als wichtig und unverzichtbar erwies sich daher die Nacharbeitung der öffentlich-rechtlichen Sender, die mit Formaten wie „Der NSU-Komplex – Die Jagd auf Terroristen“ oder einem großen Internetauftritt die Geschehnisse sortierten und Hintergründe lieferten. In Sendungen wie „Hart aber fair“ berichteten Beteiligte, zum Beispiel die Tochter des ermordeten Simsek, Erlebtes, Experten diskutierten offene Fragen. Dies ist gerade bei einem so hochkomplexen Thema wie den NSU-Morden vonnöten, um zu begreifen, wie so etwas mitten in Deutschland passieren kann. Doch die Filmemacher können sich nicht darauf verlassen, dass jeder Zuschauer nach eineinhalb Stunden Film noch bereit für umfangreiche Informationen ist. So bleiben Fakt und Fiktion unaufgeschlüsselt – ein gefährlicher Weg der historischen Aufarbeitung.