Bayreuth

„Fliegender Holländer“ Nikitin: Eklat wegen Nazi-Tätowierung in Bayreuth

Der aus St. Petersburg stammende Sänger Evgeny Nikitin auf einem exklusiv unserer Zeitung vorliegenden aktuellen Foto: Auf seiner rechten Brust war einstmals ein Hakenkreuz tätowiert, das heute nicht mehr zu sehen ist. Am Körper trägt er weitere Runen, deren Tragen strafrechtlich nicht verboten sein soll.
Der aus St. Petersburg stammende Sänger Evgeny Nikitin auf einem exklusiv unserer Zeitung vorliegenden aktuellen Foto: Auf seiner rechten Brust war einstmals ein Hakenkreuz tätowiert, das heute nicht mehr zu sehen ist. Am Körper trägt er weitere Runen, deren Tragen strafrechtlich nicht verboten sein soll.

Es ist ein einmaliger Vorgang in der langen Geschichte der Bayreuther Festspiele: Wenige Tage vor der Eröffnungspremiere sagt der Titelheld sein Mitwirken ab. Grund ist nicht etwa Krankheit oder Streit mit einem Regisseur: Evgeny Nikitin, Bassbariton und bis Freitag noch als Holländer im „Fliegenden Holländer“ gesetzt, verlässt wegen alter Tätowierungen den Grünen Hügel.

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Die Tätowierungen, die der heute 41-jährige Sänger seit gut 20 Jahren am Leib trägt, sorgten schon öfter für Aufsehen: Es gibt nicht viele Opernsänger, die solchen Körper-„Schmuck“ tragen, die Geschichte „Vom Metal-Rocker zum Opernstar“ ließ sich bisher kaum jemand entgehen. Das vermeintliche Märchen allerdings ist jetzt zu Ende – und das, weil die ZDF-Sendung „Aspekte“ am Freitag Ausschnitte aus einem alten Auftrittsvideo Nikitins zeigte. Darauf zu sehen: eine handtellergroße Tätowierung auf der rechten Brust des Sängers, die eindeutig die Umrisse eines Hakenkreuzes zeigt.

Nun waren in den vergangenen Wochen bereits mehrfach Bilder des Sängers mit freiem Oberkörper abgebildet worden, die „Welt“ hatte sie gedruckt, auch die „Bild“-Zeitung. Anstoß genommen daran hatte niemand – aus dem einfachen Grund, dass der Sänger heute das alte Tattoo nicht mehr trägt, darüber ein farbkräftiges Bild hat stechen lassen.

Der Skandal nahm erst an Fahrt auf, als die Redaktion der „Bild am Sonntag“ bei den Bayreuther Festspielen eine Anfrage wegen der alten Videobilder stellte: Die Festspielleiterinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier bestellten daraufhin am Samstagnachmittag den Sänger ein, unterhielten sich eine halbe Stunde mit ihm. Das Ergebnis: Der Sänger reiste umgehend aus Bayreuth ab und sagte seine Mitwirkung ab. Vor seiner Abreise sagte er: „Ich habe mir die Tattoos in meiner Jugend stechen lassen. Es war ein großer Fehler in meinem Leben, und ich wünsche mir, dass ich es niemals getan hätte.“ In einem Schreiben lies er mitteilen: „Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Zeichen und Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen.“ Diese Entscheidung, verlautbart die offizielle Mitteilung der Festspiele, „steht im Einklang mit der konsequent ablehnenden Haltung der Festspielleitung gegenüber jeder Form nationalsozialistischen Gedankenguts“.

Der Ersatz für Nikitin war schnell gefunden: In Bayreuth ist jede Hauptrolle mit einem sogenannten Cover besetzt, der im Krankheitsfall einspringen kann. Samuel Youn, Ensemblemitglied der Oper Köln und im aktuellen Bayreuther „Lohengrin“ als Heerrufer besetzt, hat die „Holländer“-Generalprobe am Sonntag so gut gemeistert, dass er auch alle Vorstellungen singen soll. Der „Holländer“ ist also gerettet – der Ruf Evgeny Nikitins aber geschädigt, mit etwas Pech ruiniert. Ob sich die Wagner-Festspiele, die wegen ihrer engen Vernetzung mit dem Nazi-Regime seit vielen Jahrzehnten in der Kritik stehen, mit dieser Aktion einen Gefallen getan haben, bleibt fraglich. Die Geschichte eines Mannes, der einst der NS-Symbolik erlegen war und sich läutern will, hätte gut auch zu den Wagner-Festspielen gepasst.

Von unserem Kulturchef Claus Ambrosius