Wien

Eurovision Song Contest: Ann Sophie und das Fräuleinwunder

Ann Sophie geht beim ESC-Finale in Wien für Deutschland ins Rennen. 
Ann Sophie geht beim ESC-Finale in Wien für Deutschland ins Rennen.  Foto: dpa

Der Sieger des 60. Eurovision Song Contest (ESC) am Samstag (ARD, 21 Uhr) in der Wiener Stadthalle heißt Schweden. Das versuchen uns zumindest die internationalen Buchmacher und Wettbüros zu suggerieren, die auf einen Sieg des smarten Måns Zelmerlöw gerade einmal im Schnitt 25 Euro für 10 Euro Einsatz auszahlen.

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Von unserem Chefreporter Markus Kratzer

Wer darauf setzt, dass Ann Sophie nach Nicole und Lena zum dritten Mal den Grand-Prix-Titel nach Deutschland holt, braucht schon eine gehörige Portion Risikobereitschaft. Denn je nach Anbieter liegt hier die Quote für 10 Euro Einsatz zwischen 126 und 201 Euro, und damit ähnlich hoch wie bei Litauen oder Montenegro. Eine Fortsetzung des deutschen Fräuleinwunders auf der ESC-Bühne ist also bedingt möglich, wenn auch eher unwahrscheinlich – sagen jedenfalls die Buchmacher.

Es soll ja aber auch Menschen geben, die sich dem weltweit größten musikalischen TV-Spektakel von einer anderen Seite nähern und einfach mal schauen und hören, was auf der Bühne aufgeführt wird. Und da sind sich die Experten diesmal relativ uneins, ob der schwedische Beitrag „Heroes“ wirklich das Zeug dazu hat, die Nachfolge von „Rise Like a Phoenix“ anzutreten. Mit diesem Titel hatte die österreichische Dragqueen Conchita Wurst im vergangenen Jahr der Alpenrepublik nach 48 Jahren wieder einmal einen Sieg beschert. Zwar reizt der 28-jährige Skandinavier mit spektakulären Effekten fast alles aus, was die Bühne in Form eines überdimensionalen Auges hergibt, doch blickt man auf den Song, so hat er doch ein paar Probleme, sich die Gunst des Ohrs zu erkämpfen.

ESC-Vorjahressiegerin Conchita.
ESC-Vorjahressiegerin Conchita.
Foto: dpa

Insgesamt füllen die 27 Lieder des Finalabends (ebenso wie die 13 in den beiden Halbfinals ausgeschiedenen Beiträge) ein sehr breites Musikspektrum aus. Von der unaufgeregten Ballade bis zum schmachtvollen Liebesduett, vom einfach gestrickten Popsong bis zur progressiven Dance-Nummer ist alles vertreten. Die deutsche Sängerin Ann Sophie singt und pendelt sich irgendwo dazwischen ein. Ihr „Black Smoke“, der heute Abend auf Startplatz 17 aufsteigt, verfolgt eine klare Soul-Linie. Entscheidend wird aber sein, inwieweit die stimmgewaltige 24-Jährige dies auch live rüberbringen kann. Denn eine Erkältung zwang sie dazu, noch am Mittwoch alle Termine für diesen Tag abzusagen, was im Wiener Pressezentrum schon die wildesten Spekulationen ausgelöst hatte. Kann sie überhaupt auftreten, muss Deutschland auf die Teilnahme verzichten, wird vielleicht nur ein Video eingespielt? Allen Kaffeesatzlesereien bereitete der NDR dann einen Tag später ein Ende: „Ann Sophie geht es besser, ihrem Auftritt steht nichts im Wege“, heißt es in einer offiziellen Verlautbarung. Und die letzten Zweifel beseitigte die Sängerin dann selbst, als sie in der Wertungspause des zweiten Halbfinales am Donnerstagabend Moderatorin Arabella Kiesbauer charmant Rede und Antwort stand.

Wobei „charmant“ ein gutes Stichwort ist, um das zu beschreiben, was die Österreicher als Ausrichter des runden ESC-Geburtstages auf die Beine stellen. Trotz aller Terminhatz, eines dicht gedrängten Probenplans, unzähliger Pressekonferenzen und gefühlt noch mehr Empfängen bleibt der „Wiener Schmäh“ spürbar. Neben Arabella Kiesbauer werden Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler die Show moderieren, die weltweit mehr als 100 Millionen Menschen verfolgen werden. Vorjahressieger(in) Conchita, der/die zur Freude aller Vegetarier die „Wurst“ abgelegt hat, wird während der Show im Greenroom die aufgeregten Künstler betreuen und beküssen. Und wer sich wundert, dass Australien am Wettbewerb teilnimmt: Nein, so eng ist die Welt geografisch noch nicht zusammengerückt. Aber der ferne Kontinent überträgt die Show schon seit mehr als 30 Jahren und ist so ESC-verrückt, dass Europa den treuen Zaungästen einmalig einen Startplatz eingeräumt hat. Und so heißt es heute Abend auch: „Hello Melbourne, can we have your points, please.“